Komme gerade von der ersten richtigen Probefahrt zurück, und jetzt geht es mir wie Falcone damals:
Zitat von Falcone im Beitrag RE: Die Jungfrau
Und die Eindrücke muss ich wirklich erst mal setzen lassen. Ich weiß echt nicht so recht, was ich jetzt schreiben soll.
Mit ein wenig Distanz und nach erneuter Lektüre seines ausführlicheren und sehr guten
Erfahrungsberichtes komme ich im Wesentlichen aber zu den selben Resultaten. Deswegen schwierig, was Neues zu finden.
Der Lenker war mir heute (vor allem auf Grund des lädierten Daumens) ein wenig zu niedrig und ich fand die Sitzposition bisweilen recht anstrengend. Hatte aber auch mit der relativ passiven Gangart zu tun, mit der ich unterwegs war. Nach Tacho maximal 20 zu viel, so meine unbedingte Vorgabe!
Damit schöpft man das Potential einer solchen Maschine natürlich nicht ansatzweise aus und bleibt in Bereichen, für die sie nicht wirklich gemacht ist. Gleichwohl erstaunlich, wie geschmeidig die Federung bereits diesseits der legalen Beschränkungen anspricht und wie sanft diese angebliche Bestie von Motor am Gas hängt. Bleibt man unterhalb von vier- bis fünftausend Touren, bekommt man von dem versprochenen Inferno überhaupt nix mit und kann ganz entspannt im Verkehr mitschwimmen.
Trotzdem röchelt, knurrt und hustet dich das in diesen Bereichen nicht gerade überbordende Drehmoment flüssig und manchmal bereits ein wenig sportlich von einer Kurve zur nächsten, dass es richtig Freude macht, und man kann sich vorstellen, wie das erst vorangeht, wenn in einigen Wochen die Sonne den Asphalt wärmt. Im Moment vermitteln die in der Fachpresse hochgelobten Metzeler Sportec K3 alles andere als Haftung auf dem eiskalten Hochgebirgsasphalt. Und weil ich weiß, dass es de facto auch so ist, wenn es sich so anfühlt, nehme ich die Kurven am Julier mit Bedacht.
Die Radien gelingen noch nicht zuverlässig rund, weil dieser Supersportler speziell bei niedrigen Geschwindigkeiten mit mehr Nachdruck in die Kurve gezwungen werden muss als der Boxer. Bei höheren Geschwindigkeiten und größeren Radien dann wendet sich das Blatt: wo man bei Alltagsmotorrädern bereits die Linie korrigieren muss, zieht diese Hochgeschwindigkeitsfeile derart unbeirrt ihre Bahn, dass ich das kaum glauben kann. Jetzt aber mal - nur zum Spaß - drei Gänge runter geschaltet und den Hahn aufgezogen. Was dann passiert, ist mit Worten kaum zu beschreiben: die SQ jedenfalls kann da nicht mit, und vor ich’s versehe brülle ich vor blankem Entzücken so laut und kräftig in den Helm, dass ich dabei selbst erschrecke. Schnell wieder runter vom Gas, schnell! Bei dem Pech, das mich zur Zeit verfolgt ...
Und spontan ist die Erinnerung an sportlich engagiertes Fahren geweckt und wie viel Spaß das machen kann, wenn man auf der Rennstrecke an die Grenzen geht. Das muss einfach unglaublich geil mit dieser Maschine sein! Aber noch ist es nicht so weit, und ich begnüge mich wieder mit lockerem Kurvenschwingen auf der phantastischen Strecke zwischen Burvagn und Tiefencastel. Das Motorrad fühlt sich unheimlich kompakt und versammelt an. Das Fahrwerk erwartungsgemäß sehr straff, aber keinesfalls unkomfortabel. Mangelnder Federungskomfort war bei BMW schließlich noch nie ein Thema, und das ist freilich auch auf der RR nicht anders.
Noch steckt mir die Begegnung mit dem eisharten und stahlkalten Asphalt von neulich im Knie und in den Gliedern, und ich bin immer noch ein wenig blockiert, aber das ändert sich spürbar auf der Rückfahrt. Einerseits waren nirgendwo Eisfallen auf der Fahrbahn, andererseits auch keine militärisch getarnten Kästchen am Wegesrand. Das macht den Kopf frei für die wirklich entscheidenden Abläufe und Kontrollen auf dem Motorrad, die dem sicheren Fahren dienlich sind.
Ein großer, offenbar stark motorisierter Audi hängt sich ans Heck und wartet anscheinend darauf, dem stärksten Geschoß auf Erden mit Straßenzulassung zu zeigen, wie er mit seinen vier Rädern am Pass den Leistungsnachteil locker wett macht, aber der in den Mittagsstunden inzwischen doch etwas angewärmte Asphalt erlaubt mir, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Der aus den Kehren heraus gewonnene Vorsprung beim lockeren Gasaufziehen ist dermaßen übermächtig, dass er schnell ins Glied zurücktritt und mich ziehen lässt. Dabei bin ich nicht wirklich schnell unterwegs - dazu kenne ich die Maschine ja noch viel zu wenig. Aber Gas aufziehen nach der Kurve ist halt ein Kinderspiel, und speziell bergauf macht das jedes Auto platt.
Ein wenig schäme ich mich ja für solch billige Tricks, die ich früher auf der W und später auf dem Scrambler für das Verabscheuungswürdigste gehalten habe, das ein Motorradfahrer überhaupt tun kann: um die Kurve zuckeln und danach Stoff geben, so dass die 50 PS des Hintermanns wieder mal nicht zum Überholen reichen. Und sich dann noch als der Sieger fühlen. Aber erstens wäre der Audi so oder so nicht vorbei gekommen, und zweitens hab ich mit den Sportreifen um diese Jahreszeit eine gute Ausrede.
Da doch noch recht viel Salz auf der Fahrbahn liegt, mach ich zum Schluss den (gewohnten) Abstecher über die Waschanlage, um die Maschine davon zu befreien und für den Test, ob auch diese BMW wie jede andere BMW vor ihr der Waschlanze trotzen kann. Sie kann - zumindest springt sie unmittelbar darauf wieder an und läuft mit gewohnter Drehzahl ruckfrei rund.
Da steht sie nun frisch genudelt in der Garage und wartet auf die nächste Ausfahrt. Irgendwie fehlen mir ein wenig die spontanen Emotionen wie im Herbst vor 18 Monaten beim Sportboxer. Es ist diesmal eine weitaus erwachsenere Annäherung mit weniger unmittelbarer Begeisterung, dafür aber umso mehr berechnender Erwartung und kühler Überlegung. Dazu zählt auch, dass die Emotionen sicher noch kommen werden. Allerdings weniger spontan, sondern kontrollierter und gesünder. Und nachhaltiger.
Hoffentlich.
Gruß
Serpel