Heute war's dann soweit. Bei bestem Probefahrtwetter habe ich beim Frankfurter Vespa(!) und Enfield Händler eine orangemetallic Interceptor gefahren.
Alles nachstehende Anmerkungen sind rein subjektiv und dienen nicht zur wissenschaftlichen Überprüfung durch seltsame Physiker o.ä. fahrendes Volk.
Ich bin mit meiner W650 hingefahren, einerseits wg. "Vergleichbarkeit" andererseits um die beiden nebeneinander optisch beurteilen zu können. (Da ich keine Kamera dabei hatte, gibt es davon keine Fotos. Die gibt es aber in ausreichender menge im Netz.)
Sitzposition Der Sattel ist relativ stramm, deutlich besser als meine Original 99er Bank, nicht ganz so straff wie meine Corbin. Füße finden automatisch auf die Rasten, die im Vergleich zur W eher zierlich und hübscher sind. Negativ ist, dass ich beim Anhalten meine Beine genau auf Höhe der Rasten auf den Boden stelle. Also entweder muss man die Beine mehr spreizen (als bei der W) oder man muss sie vor oder hinter den Rasten zu Boden bringen. Alternative: man haut sich die Knöchel an den weit raus ragenden Rasten ein paar Mal an, bis man es geschnallt hat. Durch die lange, gerade Bank ist das Verändern der Sitzposition einfach möglich. Auf der Corbin bin ich etwas mehr fixiert. Auf der W sitze ich niedriger und in der Maschine (evtl. wg. der Corbin), auf der RE sitze ich mehr auf der Maschine
Bedienung/Ergonomie Mangels raketenwissenschaftlicher Gimmicks steckt man den Zündschlüssel rein, dreht auf Start und drückt den Anlasser. Feddich. Kupplung verlangt wenig Handkraft, kommt sehr spät. Das Getriebe lässt sich unglaublich leicht schalten, dagegen ist die Box der W eine Krachbude. Am Anfang war ich nicht sicher, ob der Gang überhaupt drin ist. Schaltwege sind recht kurz. Die Stellung des Schalthebels könnte für Fahrer mit Quadratlatschen zu eng bzw. steil sein. (Evtl. einstellbar) Der Tankdeckel ist putzig. Einerseits schön gemacht mit dem Dom auf dem Deckel (wird beim Tarusa-Benutzer keine Freude aufkommen lassen.) Andererseits geht der Tankdeckel beim Öffnen ab, d.h. man muss das Ding an der Tankstelle irgendwo hin legen, wo es nicht herunter fällt. (War knapp bei mir.) Seitenständer lässt die Maschine deutlich schräger (und evtl. sicherer?) stehen als die W. Hauptständer ist ähnlich zu bedienen wie bei der W, evtl. etwas schwerer aufzubocken.
Fahreindruck Wie gesagt kommt die Kupplung ziemlich spät. Verbunden mit der gefühlten Schwäche "unter herum" führte das erste Losfahren fast zu Abwürgen. Der Motor läuft einerseits seidenweich für einen Zweizylinder, andrerseits kommt aus den Auspufftüten ein ordentlich Klang für einen Serien-Puff. Da würde ich akustisch nichts ändern. Die Motor-Charakteristik ist ganz anders als bei der W. Die RE ist ja wohl im Vergleich zur W kein Langhuber, was man deutlich spürt. "Unten herum" fühlt sie sich relativ schlapp an. Meine Vergleiche sind 650er W, 800er W und die ebenfalls langhubige NC750X. Die RE dreht praktisch ohne spürbare Vibrationen hoch, deutlich höher als die W. Fahrwerk wirkte beim Ritt auf den Feldberg stabiler als bei der W, wenn auch nicht Welten entfernt. Derbe Stöße von den Fahrbahnschwelle an der Applauskurve wurden recht deutlich weiter gereicht. Ich hatte ein ähnliches Fahrgefühl wie bei der W, war allerdings beim Blick auf den Tacho meist etwas schneller als mit der W an der Stelle. Bremsen geht prima mit ordentlich Verzögerung und wenig Handkraft. Bedenkt man, wie die RE bei Test gegen die Bonnie letztens verrissen wurde, merkt man, wie schlecht die W-Bremse am Ende ist.
Gesamteindruck Insgesamt gefällt mir die RE wirklich gut. Hatte ich bei den 500er Bullets immer mehr so ein Gefühl von Welpenschutz, ist die 650er ein richtiges Motorrad. Sie erscheint mir im Vergleich zur W etwas größer oder erwachsener, damit passt sie vermutlich auch besser zu größeren Fahrern. Optisch schön gemacht, auch beim Fahren habe ich keine Ecken gefunden, die irgendwie grottenhässlich wären.
Hätte ich keine W, wäre da sicher ein gewisser Habenwollen-Effekt. Vermutlich wird sie im direkten Vergleich zur Bonnie (wie bereits geschehen) und zur W schon etwas abfallen. (bei der neuen W reine Spekulation), andrerseits sind die beiden aber auch fast 50% teurer.
Ich werde zunächst mal keine kaufen, denn als ich dann nach vollbrachtem small-talk mit der netten RE-Händlerin wieder auf meiner 20 Jahre alten W saß und losbollerte, war mir klar, dass die RE meine W nicht ersten kann.
danke für den schönen und teils witzigen bericht . das die re in einigen bereichen nicht mit der bonni usw. mithalten kann ist angesichts ihrers preises schon selbsterklärend . sonst hätten triumph und co. bei fast doppeltem preis vieles falsch gemacht . aber für ihren kurs ist die re für mich optisch wie techn. eine absolute kaufempfehlung wenn ich nicht schon eine w hätte .
Darf ich diesen 1 zu 1 in den entsprechenden Thread im Enfield-Forum kopieren/einfügen mit der Erklärung, dass er von einem langjährigen W-Fahrer aus dem W-Forum stammt?
Zitat von tom_s im Beitrag #617 Insgesamt gefällt mir die RE wirklich gut. Hatte ich bei den 500er Bullets immer mehr so ein Gefühl von Welpenschutz, ist die 650er ein richtiges Motorrad.
Interessanter, umfangreicher und aufschlussreicher Probefahrtbericht. Der direkte Vergleich mit der W gefällt mir.
In einem Punkt mache ich eine Anmerkung. Die Bullet erweckt bei mir kein Gefühl von Welpenschutz, da sie meinem Gefühl vermittelt, ein ausgewachsener "Hund", ein indischer, zu sein. Aber kein fieser...
Wisedrum, der weder die neue RE noch die neue W probefahren wird. Warum auch, bin schon gut bedient...
Zitat von Silence im Beitrag #621Darf ich diesen 1 zu 1 in den entsprechenden Thread im Enfield-Forum kopieren/einfügen mit der Erklärung, dass er von einem langjährigen W-Fahrer aus dem W-Forum stammt?
Zitat von PeWe im Beitrag #619Tom, steht in Ffm-Vespenstich auch die Continental GT 650 zur Probefahrt zur Verfügung ?
Nein leider nicht. Die haben zwar eine Continetal im Laden aber logischerweise bei zwei Maschinen nur eine zugelassen.
Es scheint aber Probleme mit der Lieferfähigkeit zu geben. Vespenstich führt eine Liste von Interessenten, die sie informieren werden, sobald klar ist, wann in nennenswerten Stückzahlen geliefert werden kann.
Wenn also schon welche in freier Wildbahn gesichtet wurden, sind das entweder Vorführer oder seltene Ausnahmen.
Heute war's dann auch bei mir soweit. 20 km über die Bahn zum Freundlichen (in Gross-Gerau/Nauheim) nach voheriger Androhung meines Kommens. Den Lappen (Mann, was ist der alt....) und den Perso checken lassen und einen Probefahrt-Bogen ausgefüllt.
Anschauen. Die Leitungen und Züge sind allesamt gut verlegt. Die Lackierung des Rahmens ist on top. Die Schalterarmaturen sind auf dem Stand der Zeit. Die Instrumente sind etwas zu klein und deren Skalen sind sehr gewöhnungsbedürftig. Der Tankdeckel ebenso. Da ist die W eindeutig stimmiger. Die Blinker sind von der Form her unpassend und wirken billig ! Der Haupständer-Ausleger sieht aus wie im Prototypen-Stadium !!! Die Schmutzlappen (an den Kotflügeln) sind zwar sicher sehr wirksam, jedoch optisch unschön. Andererseits sind diese Kotflügel zwar aus Kunststoff, wirken aber als seien sie aus Metall. Der Kühler samt der beiden Hupen ist perfekt integriert. Die Sitzbank ist durch die Rauten-Steppung optisch "aufgepeppt", was mich persönlich jedoch überhaupt nicht anspricht.
Aufsitzen. Instrumente/Schalter anschauen und probieren: alles quasi fast wie auf der W-altraud. Jedoch ist die Sitzbank vergleichsweise schmal, die Fussrasten sind zu weit auseinander, der Lenker etwas zu niedrig. Es ist so gut wie kein Knieschluss am Tank möglich !!! Ergo, die Sitzposition ist nicht optimal. Wirkt so ein bisschen, wie für Hippster gemacht. Ist bei der W eindeutig besser, versammelter. Nebenbei: die Tachoskalen sind schlecht ablesbar, die Kontroll-Leuchten deutlich zu klein und nicht hell genug !
Anlassen. Der Motor läuft sehr schön rund und vibrationsarm, kommt blitzschnell auf Touren, wenn man am Quirl dreht. Der Klang der Auspuff-Anlage ist unerwarteterweise sehr schön, vor Allem bei mittlerer oder auch höherer Drehzahl. Da braucht es absolut keinerlei Modifikationen. Die Maschine nimmt das Gas sauber an und zieht kontinuierlich hoch. So ähnlich wie bei der W 800, quasi digital. Die W 650 ist da viel geschmeidiger, man könnte auch sagen "smooth".
Fahren. Die Kupplung geht wunderbar leicht, und mit dem Schalthebel kann man spielend leicht die Gänge wechseln. Die Beschleunigung (vor Allem aus dem mittleren Drehzahlbereich) ist durchaus richtig gut, wenn man kräftig am Gas dreht. Die Anschlüsse der Gänge sind in Ordnung. Schaltfaules Fahren, also im 6. Gang mit 2000 U/min. ist absolut kein Problem. Das Fahrwerk macht einen sehr stabilen Eindruck und die Bremsen sind eindeutig besser, als bei der W !!! Jedoch das Handling der W wirkt spielerischer, leichter. Die Federung ist etwas straffer, als die der W, was aber bei längeren Bodenwellen durchaus positiv ist. Die Kurvenstabilität ist ausgeprägter als die der W . Die W ist früher am "Schaukeln", was so gesehen für die Enfield spricht.
Die Probefahrt war zwar denkbar kurz (ca. 45 Minuten), jedoch gab sie auf jeden Fall einen gewissen Aufschluss über die Maschine als solche.
Fazit: Ein durchwegs sehr erstrebenswertes Motorrad, welches die INTERCEPTOR ist, vor Allem für den Kaufpreis. Stärken und Schwächen halten sich absolut die Waage. Und gewisse Schwächen ließen sich problemlos beseitigen.
Hätte ich noch keine W 650 und hätte noch meine damalige HONDA CB 500 (Baujahr '97) dann hätte ich sofort eine Kaufvertrag unterschrieben.