Die Conclusio gleich vorweg: Die R ist genau das und fährt genau so, wie man sich das vorstellt, wenn man von der RR kommt und in Gedanken einen höheren, breiteren und weniger schräg nach hinten und unten gekröpften Lenker montiert. Mit wenigen Ausnahmen: der Motor läuft sahniger, macht weniger mechanische Geräusche und der Auspuffklang passt besser zum Konzept als bei der alten RR. Akrapovič hat das ganz hervorragend hingekriegt!
Aber der Reihe nach: Beim Aufsitzen bemerke ich die Kanten im Sattel. Warum das denn? Ist das der Optik geschuldet oder zwecks besseren Einklemmens des Füdlispalts beim Hang-off?! Oder sieht das einfach gut aus? In den Augen der BMW-Designer ... egal, gibt schon mal ein Minus!
Aber dann: Die Armaturen machen allesamt einen hochwertigeren Eindruck als an der 2014er RR. Schwierig zu beschreiben, aber wie die Tasten "Klick" machen hat den Namen BMW verdient. Auch der Druck auf’s Starterknöpfchen fühlt sich wertig an. Und der Motor läuft. Sofort, unmittelbar und fällt in stabilen Leerlauf. Aber hallo, wie tönt das denn?! Das unangenehme Raspeln der RR ist weg und weicht einem dumpf und weich brabbelnden Auspuffton. Ein völlig anderes Gefühl für den Motor macht sich breit. Beim Einlegen des ersten Gangs wirkt die Kupplung weicher und kommt sanfter als gewohnt. Ohne Gas schiebt die elektronische Leerlaufregelung den Töff wie von Geisterhand an und schon geht’s los.
Durch die aufrechte Sitzposition und den breiten Lenker stellt sich im Handumdrehen ein aktives Streetfighter-Feeling ein. Die Hände im ersten Moment unangenehm weit nach außen und vorn gedreht, denke ich, "na, das wird schon noch - ist sicher nur Gewöhnungssache!" Völlig unspektakulär biege ich auf die Hauptstraße ein und gebe Gas. Jetzt erinnert mich die R zum ersten Mal an die RR. Bei höheren Drehzahlen ist er plötzlich wieder da, der vertraute Vierzylinder Flatplane-Klang. Allerdings auch hier weicher, japanischer. Die Sitzposition ist gut - deutlich aufrechter als bei der RR, aber trotzdem etwas nach vorn gebeugt.
Wozu das gut ist, bemerke ich dann auf der Bahn. Zwar nur mit maximal 130 Tacho, aber der Winddruck reicht aus, um die Handgelenke zu entlasten. Jetzt bemerke ich ein leichtes Rühren in der Lenkung. Klar - bedingt durch den deutlich längeren Hebelarm in der Lenkung leite ich ständig Störimpulse ins Fahrwerk ein! Da war die RR mit ihren kurzen Stummeln und der gebückten Sitzposition deutlich im Vorteil. Ob ich das in den Griff bekommen werde und den Lenker ebenso leichthändig werde führen können, wage ich im Moment zu bezweifeln. Hochgeschwindigkeitsfahrten auf der Bahn werden sich damit vermutlich nicht realisieren lassen. Aber solches Treiben ist ja bereits auf Grund des fehlenden Windschutzes nicht wirklich zu empfehlen.
Bis Thusis geht es auf der Bahn zuerst mit 110-130 und später mit 90-110 dahin. Ich fahre in Wellen - der neue Motor soll ja nicht mit konstanter Drehzahl traktiert werden. Ich spüre bereits den extremen Durchzug, den die Einfach-R bietet. Trotzdem bin ich froh, als es bei Thusis endlich auf die Kantonsstraße geht. Bergauf im Tunnel bemerke ich die Klappensteuerung des Auspuffs. In den ersten vier Gängen schön gedämpft und schwiegermuttertauglich, stellt der Akra in den Gängen fünf und sechs offenbar auf Durchzug. Dort tönt er bereits bei niedrigen Drehzahlen richtig voll, dumpf und kernig. Ein Fest für die Ohren! Dabei nicht übermäßig laut. (Arme E-Biker! Tödliche Langeweile, mit Elektromotor bis zur akustischen Unkenntlichkeit kastriert.)
Vor mir eine lange Schlange, die ich auf der noch feuchten und komplett im Schatten liegenden Fahrbahn mit den taufrischen S20 besser nicht in Angriff nehme. Also warten bis Tiefenkastell, wo es auf die Hauptstrasse 3 Richtung Julier geht. Aber dann geht’s los! Ja, dann geht es so was von los, wie ich das noch nie auf keinem Motorrad dieser Welt jemals erlebt habe. Der Antritt ist dermaßen phänomenal, dass mir die Tränen der Ergriffenheit waagrecht nach hinten abfließen (um mit Walter Röhrl zu sprechen). Herrgott - ist das überhaupt möglich, das! Schalten im Grunde völlig überflüssig - ich umrunde im Fünften engste Kurven und sause bereits auf die nächste zu, ehe der Gedanke ans Schalten überhaupt aufkommt. Dazu dieser herrliche Sound - wow, das ist Motorradfahren in reinster Form!
Alles passt zusammen - Motor, Fahrwerk, Sound! Wenn es jemals ein perfektes Motorrad gegeben hat: hier ist es! Völlig neutrales Einlenkverhalten, sattes Anlehngefühl in Schräglage, kindereasy durch komplizierteste Kurvenfolgen zu zirkeln. Und wer jetzt sagt, das sei langweilig, ist noch nie wirklich Motorrad gefahren oder hat schlicht keine Ahnung. Hier verschmelzen Ross und Reiter zur Einheit und genießen die Fahrphysik des Einspurigen in Reinkultur! Wie wird das erst in der warmen Jahreszeit, wenn die Reifen richtig haften und ich mit der Mühle verwachsen bin?
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, auf der Jungfernfahrt größte Vorsicht walten zu lassen, aber auf der Berg- und Talbahn des Julierpasses geht es mit mir dahin. Viel einfacher als mit der RR lassen sich Kehren umrunden und der Fahrstil ist ansatz- und ausnahmslos rund. So lange keine vereisten Stellen kommen, sollte das so klappen. Und tatsächlich: die vergangenen zwei Wochen waren so sonnig und warm, dass der letzte Schnee auf der Fahrbahn geschmolzen ist. Einlenken, umlegen, aufrichten, Gaaas, bremsen, einlenken, umlegen, aufrichten, Gaaas, bremsen usw. usf. Die Reifen sind schon bald bis zur Kante, also nicht übertreiben jetzt! Runterwärts dann etwas entspannter und im Tal unauffällig und vorschriftskonform. Derweil versuche ich meine Gedanken zu sammeln und ein erstes Resümee zu formulieren.
Dabei fällt mir auf, dass ich zwei Grad über Null auf dem Pass nicht gefroren habe und die Hände immer noch warm sind. Ja, die Griffheizung wirkt auf dem Roadster eine ganze Spur kräftiger als auf dem verkleideten Rennerle. Auch die Federung ist in der weicheren "Road"-Einstellung deutlich komfortabler als auf der Doppel-R. Und wenn man nicht gerade mit dem Lenker kämpft, spürt man sogar, dass die R in Schräglage eine Nuance stabiler liegt. Eine Dreingabe des längeren Radstands und flacheren Lenkkopfs. Die "Dynamic"-Einstellung lässt das Fahrwerk spürbar aushärten, wobei die Maschine dann liegt wie das sprichwörtliche Brett. Mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen.
Die Bedienung ist BMW-typisch simpel und in der Wirkung effektiv und die Farbe ist ... grau. Jetzt steht sie erstmal und muss warten, bis das schlechte Wetter der kommenden Tage und Wochen durch ist ...
Gruß Serpel
"DA SIND WIR LETZTES MAL AUCH GESESSEN MIT BLICK AUF DAS MURMELTIER!"
Da haben sich die beiden Richtigen gefunden. Es ist gut, wenn das Motorrad nach dem Kauf einen beim Fahren so anspricht. Kann dein Gefühl verstehen. Mir geht es mit jedem meiner Motorräder so, wie Du es beschreibst. Mit jedem auf seine Art. Objektivität hin oder her, es geht um Gefühl, auch beim Fahren, das einem ein Motorrad vermittelt. Wenn das angesprochen wird und stimmt, ist sehr viel erreicht.
Jetzt noch nach gelungener Jungfernfahrt beim Motorrad stehend oder sitzend die Kiste betrachten und den Anblick genießen (können), das wär's und wäre das viel Geld wert, doch Ansprüche sind dahingehend verschieden. Abgestellt, abgewendet und tschüs, auch das kann ich verstehen.
Ist ja immer wieder das faszinierende, wenn man von den großen auf kleinere Straßen geht und eine etwas aufrechtere Sitzposition hat. Wie viel Spaß man haben kann, obwohl die absolute Geschwindigkeit nicht so hoch ist. Sicher auf ganz anderem Niveau liebe ich Straßen, auf denen man mit 80 schon eigentlich zu schnell ist.
Was mich an der aufrechten Sitzposition am meisten stört, ist die damit verbundene Positionierung des Lenkers. Damit kann ich nicht mal dann wirklich kräftefrei fahren, wenn es drauf ankommt. Bei niedrigeren Geschwindigkeiten muss ich das Körpergewicht (teilweise) abstützen und bei höheren Geschwindigkeiten sorgt der Wind indirekt dafür, dass ich mich am Lenker festhalten muss.
Gruß Serpel
"DA SIND WIR LETZTES MAL AUCH GESESSEN MIT BLICK AUF DAS MURMELTIER!"
Zitat von Serpel im Beitrag #336Zonko bringt es auf den Punkt:
"I bin immer eifach im Modus des blinden Wütens gfoahn und do brauchst du diese Motorleistung (der 1000er), die dir dann diese Fehler ausmerzt. Aber i glaub - aner, der wirkli präzise foahrn kann, ist mit dem (Street Triple RS) sicher sehr schnöll!"
"Modus des blinden Wütens" - sehr schön!
Gruß Serpel
Was ist eigentlich aus Zonko geworden? Nachdem der vom Reitwagen abgestiegen ist, war mir der bald etwas fad...
Zitat von SerpelBeim Aufsitzen bemerke ich die Kanten im Sattel. Warum das denn? Ist das der Optik geschuldet oder zwecks besserem Einklemmen des Füdlispalts beim Hang-off?! Oder sieht das einfach gut aus?
Wie jetzt ... gekauft ohne Probesitzen?! Egal ... viel Spaß und unfallfreie km damit.
grüße piko
edit: was'n das für eine Box rechts neben dem HR ... Bord-Werkzeuch? Warndreieck??