konkret zum Thema: 2 Bikes, identische Geometrien, einmal wiegt die Kurbelwelle 5 kg, beim anderen 15 kg (ohne Ausgleichswelle etc.): spürt man einen Unterschied beim schnellen Schräglagenwechsel oder nicht?
Zitat von UlfGeht das auch mit Gang drin und drehendem Hinterrad?. Da hätten wir ja einen etwas realeren Versuchsaufbau.)
Dann wirds schon schwieriger, weil das rotierende Hinterrad beim Kippen ein Drehmoment um die Hochachse des Motorrad ausübt, das evtl. groß genug ist, dass entweder Vorder- oder Hinterrad auf dem Boden rutscht, was wiederum die ganze Fuhre stabilisieren könnte. So ins Unreine gesprochen ...
Zitat von Gandalf2 Bikes, identische Geometrien, einmal wiegt die Kurbelwelle 5 kg, beim anderen 15 kg (ohne Ausgleichswelle etc.): spürt man einen Unterschied beim schnellen Schräglagenwechsel oder nicht?
Geduld, soweit sind wir noch nicht. Bisher hab ich nur die Grundlagen dargestellt. Wenn auch offenbar noch mancher Mühe damit hat:
Zitat von UlfBei den Kisten scheint es trotzdem zu funktionieren
er einachsig eingespannte Kreisel ist in der Tat sehr einfach zu berechnen. In diesem Fall sage ich mal: alle haben Recht.
Beim Vorderrad eines Motorrades ist aber der einachsig eingespannte Kreisel nicht gegeben (oder eben auch doch, wie mans nimmt). Falcones Beobachtung mit dem Vorderrad ist selbstverständlich richtig. Aber die "Sträubung" gegen das Verkippen entsteht nicht durch die Drehung des Kreisels allein, sondern durch die zugelassene Auslenkung in Richtung des wirkenden Momentes. Hält Falcone mit eiserner Faust das Rad fest (aber eben nur einachsig, was uns Menschen mit unserer biologischen Ergometrie schwerfällt) dann kippt das Vorderrad ihm tatsächlich so herunter, als drehte es sich nicht.
Was bedeutet das für das Motorrad? Beim Kippen in die Kurve wird am Vorderrad ein Kreiselreaktionsmoment aufgebaut (Coriolismoment), welches bestrebt ist, in die Kurve einzulenken. Läßt der Fahrer dies auch zu, so wirkt das selbstverständlich der Kurvenschräglage entgegen - ergo spürt der Fahrer das Sträuben des Motorrads.
Wir haben in unseren Armen keine gut ausgebildeten Stellungsmesser und sie würden uns auch nicht viel nützen, weil wir nicht starr wie ein Roboter auf der Maschine sitzen. Hätten wir aber eine Vorrichtung, die beinhart den Lenker in der gewählten Stellung festhält, dann würde ein Motorrad mit einer bleiernen Vorderrad genauso schnell in die Kurve kippen, wie eins mit leichtem Rad.
Wir müssen also gegen dieses Moment anarbeiten und das spüren wir subjektiv als Weigerung, Sträubung wie auch immer gegen das Einleiten der Kurve.
Subjektiv heißt, der eine mags, dem anderen isses zu störrisch. Fahrwerksdynamik ist derart vom Wohlgefühl des Fahrers geprägt, daß man diesen Aspekt nicht einfach rauslassen darf! Wir haben alle keine geeichten Kraftmesser in den Armen und unser Geschick beim Rennen fahren hängt von ganz vielen Faktoren ab.
Zitat von Gandalf2 Bikes, identische Geometrien, einmal wiegt die Kurbelwelle 5 kg, beim anderen 15 kg (ohne Ausgleichswelle etc.): spürt man einen Unterschied beim schnellen Schräglagenwechsel oder nicht?
wenn das Motorrad in die Kurve kippt, versucht das Hinterrad genauso, wie das Vorderrad, die Maschine in Kurvenrichtung einzulenken. Allerdings wirkt sich das nur aus im Verhältnis des Nachlaufes zum Radstand. Das heißt die Wirkung ist nur
Lenkermoment = Kreiselmoment mal Nachlauf geteilt durch Radstand
Ihr könnte Euch ohne Berechnung vorstellen, wie klein diese Momente am Lenker spürbar werden.
Verliert das Hinterrad aber die Bodenhaftung, dann kann Verkippen der Maschine durchaus eine spürbare Drehung um die Hochachse bedeuten. Ich behaupte, daß der Crosser sich schlicht an diese Drehmomentzutat gewöhnt und in seinem frei programmierbaren Kennfeld auch die Drehzahl des Hinterrades mitaufnimmet. Es läßt sich berechnen, aber die Wirkung bleibt subjektiv.
Mit der Kurbelwelle sieht das ganz genau so aus. Sie muß über den langen Hebelarm des Radstandes und den kurzen Nachlauf des Vorderrades ihr spürbares Lenkermoment zustande bringen. Dabei kommt nicht viel rum.
Es macht mir überhaupt keine Probleme, diese Momente zu berechenen, aber wenn ich im Ergebnis am Lenker eine Kraft von x Newton bekomme, kann ich persönlich gar nichts damit anfangen. Ich weiß aber, daß die Kräfte so im Rahmen bleiben, daß der Ingenieur nicht über Bauteildimensionierung nachdenken muß.
Irgendwo war mal zu lesen, dass man am Lenker Kräfte von bis zu um +/- 10 Kilo aufbringen müsste, um ein Motorrad zu lenken und dass man nicht zuletzt deswegen doch einiges an Energie beim Motorradfahren verbraucht. Könnte sein, dass das bei dem Großversuch mit Braunschweiger Polizisten war.
Aber das weicht ja auch von der ursprünglichen Frage ab: Spürt man nun bei einem ansonsten baugleichen Motorrad den Unterschied von Kurbelwellen mit unterschiedlichem Gewicht im Fahrverhalten?
Zitat von FalconeIrgendwo war mal zu lesen, dass man am Lenker Kräfte von bis zu um +/- 10 Kilo aufbringen müsste, um ein Motorrad zu lenken und dass man nicht zuletzt deswegen doch einiges an Energie beim Motorradfahren verbraucht.
Das ist auch richtig, nur die Begründung, die man in diesem Zusammenhang meist hört oder liest, ist falsch.
Das Bewegen des Lenkers an und für sich ist (nahezu) kräftefrei, so lange das Fahrzeug dabei seine aufrechte Position nicht aufgibt. Beim Auto ist das zwar der Fall, nicht aber beim Zweirad. Dort bewirkt das Einlenken (bekanntlich stets zur "falschen" Seite hin) ein Kippmoment des Fahrzeugs zur Kurveninnenseite, als direkte Folge der Kreiselreaktion. Dieses Kippen wiederum bewirkt ein (zweites) Drehmoment, welches versucht, die Lenkachse nach innen - also entgegen der ursprünglichen und weiterhin unveränderten Armkraft - zu drücken. Diese Gegenkraft ist umso größer, je schneller das Motorrad kippt und je größer das Massenträgheitsmoment des Vorderrads ist.
Von entscheidender Bedeutung erscheint mir mithin die Tatsache, dass die Lenkung des Motorrads nur deswegen nicht kräftefrei funktioniert, weil das Motorrad gleichzeitig nach innen kippt. Würde es das nicht tun (wie beispielsweise beim Gespann oder Auto), wäre die Lenkung nahezu kräftefrei. Jedenfalls frei von (direkt oder indirekt verursachten) Kreiselkräften. Oder hatte irgendwer schon mal mit seinem Auto bei hohem Tempo eine schwergängige Lenkung zu beklagen?!
Einen entscheidenden Einfluss auf die Stabilitätsbedingungen haben die Kreiselkäfte. Stößt man einen schnell laufenden Kreisel senkrecht zu seiner Drehachse an, so weicht er nicht in Richtung der Störkraft aus, sondern senkrecht dazu. (Dreifinger-Regel der linken Hand: Zeigefinger = Drehachse, Daumen = Stoßrichtung, Mittelfinger = Ausweichrichtung)
Die Größe des Kreiselmoments Mk ist abhängig vom Trägheitsmoment des Kreisels Jk, von der Winkelgeschwindigkeit und von der Ausweichgeschwindigkeit Va Das Kreiselmoment errechnet sich zu
Wobei für ein Rad V die Geschwindigkeit in m/sek und R der Reifenhalbmesser in m ist.
Trägheitsmoment des Laufrades Da das Trägheitsmoment J eines Laufrades, dessen Hauptmassen ja in reifen und Felge liegen, etwa quadratisch mit dem reifendurchmesser zunimmt und die Drehzahl bei gleichbleibender Geschwindigkeit mit dem raddurchmesser abnimmt, so wächst Mk etwa mit dem Raddurchmesser. Das Kreiselphänomen bildet die Grundlage für die weitgehende Eigenstabilisierung des einspurigen Fahrzeuges.
… Jetzt wird erläutert, was beim Lenken passiert, aber das ist ja bekannt und Serpel hat es im Post drüber gerade noch mal geschrieben …
Und nun kommts:
Die Kreiselkräfte des Vorderrades addieren sich zu den Kreisekräften des Hinterrades durch die kleinere Neigung und durch die ungünstige Übersetzung im verhältnis Nachlauf : Radstand allerdings nur mit 5 bis 8%. Die Kreiselkräfte des in Fahrtrichtung drehenden Motors addiert sich zur Kreiselkraft des Hinterrades, bei rückwärts drehendem Motor muss sie abgezogen werden. Ihr Anteil ist abhängig von der Übersetzung und liegt im höchsten Gang zwischen 10% und 30% des Hinterradmomentes. Die Kreiselkraft von Motoren mit in Fahrtrichtung liegender Kurbelwelle wirkt sich auf die Kurvenneigung nicht aus.
im wesentlichen erklärt der Bönsch (den ich nicht kenne) ja das Gleiche.
Serpels Vergleich mit dem Auto paßt allerdings nicht. Das Auto neigt sich beim Einlenken in die Kurve nur so wenig, daß man die Vorderräder tatsächlich als einachsig eingespannt betrachtet kann und somit auch keine Coriolis-Trägheit auftritt. Die Radlager allerdings werden mit dem Coriolismoment beaufschlagt. Diese addiert sich zu den Momenten, die durch die Seitenkräfte aufgebaut werden und gehen damit in der Berechnung unter.
In einem Punkt widerspreche ich aber dem Bönnsch. Auch ohne Kreiselmomente ist man sehr wohl in der Lage ein einspuriges Fahrzeug zu stabilisieren. Der Hauptanteil des "in die Kurve Kippens" entsteht nicht durch die Coriolismomente, sondern dadurch, daß das Fahrzeug den Schwerpunkt oberhalb des Reifenaufstandspunktes hat und beim Linkslenken der Trägheit folgt => also geradeaus weitermöchte. Bildlich gesprochen ziehen wir beim Einleiten in die Kurve die Räder seitlich unter uns weg.
Klarerweise wirken auch Kreiselmoment, aber . . . . . Serpel schreibt, daß das Kippen in die Kurve eine "direkte Folge ist des Lenkerausschlages". Dazu passen die Größenverhältnisse nicht. Ich schlage meinen Lenker maximal 2 bis 3° in eine Richtung aus, meist noch viel weniger . . . und das Fahrzeug kippt ein einen Kurvenwinkel von 20 - 30 - 40°. So etwas würde mit einem kardanisch aufgehängten Kreisel gar nicht passieren können. Die Auslenkreaktion eines Kreisel kann maximal den gleichen Winkelbetrag haben, wie die eingeleitete Drehbewegung.
Als Kind bin ich gerne mit so einem einspurigen Skifahrzeug gefahren. Leider wurden diese Dinger auf den Skipisten verboten und da ich kein Skifahrer bin, war das für mich das Ende des Wintersports. Die Kufenfahrzeuge hatten eine Hauptkufe und eine Steuerkufe davor. Man saß auf eine Sitzbank, wie beim Motorrad, und hatte Gleitschuhe unter den Fußen. Mit etwas Geschick ging es auch ohne Gleitschuhe (sowas hatte ich nämlich nicht ).
Sobald man mit diesem Kufenfahrzeug eine zügige Laufgeschwindigkeit hatte konnte man mit hochgestellten Füßen einwandfrei damit fahren. Ich erinnere mich noch, daß der Lenkkopf auch schräg stand und daß die vordere Kufe gelenkig angebaut war. Die Fahrt verlief auch nicht so spurgerade, wie beim Fahrrad, aber das lag auch am Schnee, der nicht wie eine topfebene Piste ist. Die Gewöhnung ging sehr rasch, als Kind hat man nicht drüber nachgedacht, sondern ist einfach gefahren. Mir sind sogar kleinere Sprünge gelungen.
Ich glaube, es hat mit den Dingern schwere Unfälle gegeben. Ich habe sie jedenfalls nicht mehr gesehen. Ein Einspursnowborder fährt aber nach den gleichen Kräfteregeln - und das ganz ohne drehende Elemente.
Also es gab in Bonn mal das Bönnsch - ein Konkurrenzbier zum Kölsch. Das hat mir eigentlich ganz gut geschmeckt, aber mich in Sachen Motorrad wenig weitergebracht. Soll ich jetzt erröten ? mhmm, klappt nicht
Wir sind als Ingenieurstudenten durch die Kreiseltheorie gejagt worden, das war ne heiße Sache. Wenn z.B. ein sog. Round-Up, das Lieblingskarrussel unseres Professors, sich während der Drehung aufstellt, dann werden die Coriolismomente derart groß, daß die Winkelgeschwindigkeit begrenzt werden muß, sonst bricht der Arm ab. Beim Hochfahren kein Problem, da kann die Hydraulik einfach nicht schneller, aaaaber beim Ablassen . . . . da muß eine sicherheitsgerichtete und zigmal geprüfte Vorrichtung sicherstellen, daß das drehende Rad nicht einfach mit Schwung wieder runterkommt, sonst gibt wieder Zeitungsmeldungen.
Ich kenne Bönnsch wirklich nicht, habe ihn aber beim Motorradfahren und beim Auslegen technischer Artikel auch noch nicht vermißt. Ernst Leverkus kenne ich - aber nicht persönlich. Und dann kenn ich noch FALCONE , sogar schon mal persönlich begegnet. Also was will man mehr?
Helmut Werner Bönsch war der Motorrad-Technik-Guru der 70er und 80er Jahre. Er hat uns damals in der Theorie das beigebracht, was Klacks "nur" aus seiner Erfahrungen heraus wusste. Und der Bernt Spiegel hat es dann weiter geführt, der war mit dem Bönsch wohl auch privat gut befreundet. Bekannteste Bücher: "Der schnellaufende Zweitaktmotor" und "Einführung in die Motorradtechnik"
Aber was ist ein "Round-UP"? Ich hab das zwar, aber es dient bei mir zur Unkrautvernichtung. Ist also sicher was anderes