Wenig später bekam ich Gelegenheit, mich für den Ritt auf der R69S zu revanchieren. Mannis ansonsten klinisch saubere Maschine fing an, kleine Pfützchen zu hinterlassen, und in der Höhle zwischen Ölwanne und Getriebe stand immer ein Löffelchen Öl - alte Boxerfahrer wissen, was das heißt: entweder ist ein Ventildeckel verzogen und hält nicht mehr dicht, sodaß die Kurbelgehäuse-Entlüftung den Unterdruck nicht aufrecht erhalten kann, oder der Simmerring an der Schwungscheibe ist perdü. Und es steht geschrieben:
Zitat von Murphy"Bei zwei möglichen Ursachen liegt diejenige vor, deren Behebung eine Größenordnung aufwendiger ist als die der anderen."
Der alte Murphy kennt sich aus, die Ventildeckel waren's nicht. Und noch ein ehernes Gesetz kam zum Tragen:
Zitat von Murphy"Zur Reparatur eines dringend zu behebenden Schadens benötigt man immer ein Werkzeug mehr, als man hat."
Das gilt übrigens auch dann, wenn man die Aktion vor einem halbem Jahr schon mal durchgezogen hat, denn das war an einem anderen Baujahr gewesen, und mit unserem Drehmomentschlüssel konnten wir zwar den 5 kleinen Schrauben an der Kurbelwelle des Gleitlagermotors Bescheid tun, mangels einer 41er Nuß aber nicht der großen am Ess-Motor (es sollten auch noch andere Kleinigkeiten hochkommen…).
Der Simmerring wäre leicht zu beschaffen gewesen, wenn der Manni nicht darauf bestanden hätte, die neue Bauform (mit der doppelten Dichtlippe und den spiraligen Öl-Leitrippchen) einzubauen, und den hatte der örtliche Kfz-Teile-Gemischtwarenladen nicht, mußten wir in München beim Schorsch Meier holen. Auch die drei Feingewindespindeln zum fachgerechten Lösen und Spannen der Kupplungstellerfeder hatten wir nicht, aber da kann man improvisieren. Und weil die Ess keinen perfekten Leerlauf hatte, wollte der Manni die Gelegenheit nutzen, um die Vergaser zu zerlegen und gründlich zu reinigen.
Ich hatte mir ja (schon vor der Anschaffung meiner R60/5) H.-J. Mais "1000 Tricks für schnelle BMWs" gekauft, und da stand minutiös drin, wie bei dieser vergleichsweise harmlosen Reparatur vorzugehen war. Auf so unwichtige Nebendetails, wie z.B. daß wir keine Hebebühne in einer feinen, neonhellen Werkstatt hatten, sondern kritische Operationen auf dem Bauche liegend in einem schlecht beleuchteten Schuppen durchführen mußten, hatte uns der Hans-Joachim natürlich nicht vorbereitet. Und sein vielfältiges Arsenal an Hilfsvorrichtungen und Spezialwerkzeugen stand uns auch nicht zu Gebote. Aber endlich hatten wir alles beisammen, und das mittlerweile arg inkontinente Motorrad wurde in den OP-Schuppen beim Peter in Oggenried geschoben.
Ich sollte vielleicht noch eine Nebensächlichkeit erwähnen. Unsere gemischte Spielgruppe hatte Zuwachs bekommen, eine gewisse Konstanze, Töpferin von Beruf, mit grünen Augen, Grübchen, und einer phantastisch dreckigen Lache - verflixt, so hatte die Elisabeth Wiedemann (alias Else Tetzlaff) mit 20 ausgesehen… die war gerade zu haben, und besagte Spielgruppe hatte ein Hüttenwochenende im Oberland anberaumt - ohne Fahrzeug konnte der Manni aber nicht da hin, und ohne den Manni konnte ich die Hütte nicht finden, und wer weiß, was da ohne uns für dumme Zufälle passieren, also wir mußten das bis zum Abend hinkriegen.
Um 14 Uhr machten wir uns guten Mutes ans Werk. Beim Zerlegen obwaltete die Sorgfalt, saubere Fußmatten schützten den Lack der Rahmenrohre, als wir das Getriebepuzzle lösten, alle Teile landeten ordentlich auf sauberen weißen Tüchern auf der Werkbank, die Kupplung wurde ohne davonspringende Kleinteile demontiert (obwohl die Schlitz-Senkschrauben eine harte Nuß waren), dann waren wir an der Schwungscheibe, die große Schraube hatte sich nach dem Aufmeißeln des Sicherungsblechs brav lösen lassen, die improvisierte Abziehvorrichtung anschrauben, Schlüssel drauf und drehen, drehen, drehen… Es gab nach, prima, aber was nachgab, war nicht der Konus, sondern die Abziehvorrichung. Mist. In Windeseile suchten wir einen stabileren Ersatz für das verbogene Flacheisen, Peter hopste in den Käfer und war nach einer halben Stunde mit einem Stück U-Profil wieder da, messen, absägen, ankörnen, bohren, ummontieren, neuer Versuch: wüüürrg… Ping! die Schwungscheibe war ab. Na dann.
Der Simmerring war, wie erwartet, in einem erbärmlichen Zustand, aber das wußten wir ja schon. Was wir nicht gewußt hatten, war, daß die polierte Lauffläche an der Schwungscheibe eine häßliche Riefe aufwies. Tief durchatmen. Kriegsrat. Papier, Bleistift, Schnittskizze (Manni, der Maschinenbauer, und ich, der Sepp-geschulte Physiker in Hochform), gefährlich blitzte die Schieblehre auf, Maße eintragen, erneuter Kriegsrat, dann hatten wir eine (Not-)Lösung: Eine 0.5 mm dicke Distanzscheibe unter den Simmerring gelegt, würde diesen veranlassen, seine Dichtlippe knapp neben der Riefe auf der unverschlissenen Lauffläche aufliegen zu lassen. Gerettet. Eine Pertinaxplatte in der passenden Dicke fand sich, der Manni hatte einen Kreisschneider in seinem wohlsortierten Werkzeug, und der Zusammenbau konnte beginnen. Scheibe rein, paßt, Simmerring mit dem Gummihammer reinhämmern, Dichtlippe einölen, beide Konusflächen mit Preßluft abblasen, den Keil in der Konusnut mit einem Hauch Fett fixieren, gefühlvoll die Schwungscheibe in den Dichtring drücken, mit der Schwungscheibennut nach dem Keil zielen, Konus sitzt, Schraube mit Sicherungsscheibe rein, stimmt das Anzugsdrehmoment, jawohl, 22 mkp, Kupplung in der richtigen Reihenfolge einfüllen, mit den drei Spindeln fixieren, die Reibscheibe zentrieren, fest anziehen, die anderen Schrauben rein, festziehen, mit leichten Körnerschlägen neben den Schlitzen sichern, jetzt das Getriebe einfädeln, Vorsicht mit dem Lack, die blöde Schraube unten links hinfummeln, Kupplungsseil-Widerlager nicht vergessen, es könnte gehen, wir schaffen das.
Als wir die Schwinge drin und zentriert hatten und Manni gerade das Hinterrad hineinfummelte, gab es mir plötzlich einen Ruck, das Blut schoß mir ins Gesicht. Uh Oh. Ich sah meine Mitstreiter an. "Wir müssen noch mal aufmachen." - "Wieso jetzt?" - "Wir ham was Wichtiges vergessen. Glaub's mir." Es war 18 Uhr. Wir zerschraubten alles wieder bis unter die Kupplung. Dann sahen es die anderen beiden auch. Wir hatten vergessen, das Sicherungsblech der Schwungscheibenschraube hochzubiegen. Der Peter half beim Zusammenstecken nach Kräften mit, während der Manni die - tatsächlich versifft gewesenen - Vergaser wieder zusammenpfriemelte, und um 21 Uhr hatten wir den letzten Handgriff getan. Benzinhahn auf, Tupfer, 2 mal kalt kicken, Zündnagel rein, der dritte Kick bringts, brrrubbelbrubbel sie lebt! Standgas war'n bißchen sehr hoch, aber das machen wir unterwegs.
In Windeseile machten wir uns ein bissel fein, denn für unser Vorhaben sollten wir keine schwarzen Fingernägel haben, kleines Expeditionsgepäck im kleinen Tankrucksack, und wir ballerten in die Nacht hinaus. Der Peter kam nicht mit, er erwartete am Samstag einen Käufer für die Konsul (und ihm hatte die Ko keine schönen Augen gemacht). Nach 20 km blieben wir noch mal stehen, und Manni stellte in der Dunkelheit das Standgas etwas ziviler ein, autsch heiß, dann noch den Vergasergleichlauf, und bis er das halbwegs hingekriegt hatte, sahen wir die Krümmer in ihrem eigenen dunkelroten Licht glühen. Aber dann waren wir zufrieden, der Mustang lief wieder einigermaßen standesgemäß, und wir konnten durch die Frühlingsnacht - bestaunt von den im Scheinwerferlicht aufleuchtenden Augen des wechselnden Wildes - die Hinterhornbacher Hütte gewinnen.
Um Mitternacht kamen wir an, alle waren sie schon besoffen, und wir zwei fahrenden Gesellen kriegten einen kalten, einsamen Schlafplatz im Heu zugewiesen. Geweckt wurden wir vom Donnern einiger nicht weit weg abgehender Lawinen, und wir erfuhren von den ersten solcherart wachgerüttelten Kateropfern, daß die Konstanze noch nicht erschienen war, aber am Nachmittag erwartet würde. Manni und ich machten uns fertig zur Balz, und als die Henne kurz nach Mittag aufgetaucht war, hatten wir die anderen in eine derartige Hochstimmung geblödelt, daß sie mitgerissen wurde und bis zum Abend sturmreif gelacht war. Wer von uns beiden die Festung dann einnahm, erzähle ich nicht, nur daß wir jetzt wieder quitt waren.
- - die Ko gibt's heute noch, sie sieht für ihre 60 Lenzeumwerfend aus, aber uns kennt sie schon lange nicht mehr…
Da hatte ich also für einen nicht mehr erinnerlichen, aber deftigen Preis zwei nagelneue 19"-Borrani-Hochschulterfelgen (für 36 Speichen) und 80 Speichen + Nippel + Lochplättchen (ein paar in Reserve könn' ja nicht schaden, aber fragn's nicht was so was bei BMW kost') zu Hause liegen, die 18"-Räder ausgespeicht, und dann dämmerte langsam die Erkenntnis, daß an den Felgen noch was fundamental Wichtiges fehlte: Löcher. Insgesamt 74 Stück, wenn man die für die Ventile mitzählt. Ich hatte so was noch nie gemacht. Löcher in eine Felge, mein ich.
Der Horst aber schon. Kleinlaut marschierte ich mit meinem teuren Edelmetall zu ihm, und fragte, ob er das machen könnte. Er sah mich erstaunt an. "Das machste doch selber, da brauchste eine Lehre, und fürs Bohren hab ich eine Vorrichtung, ich zeig Dir das mal." Und er zeigte. Für die Lehre mußte ich allerdings noch mal den Werkstattmeister beim Schorsch Meier nerven, der hatte zwar eine (die er verständlicherweise nicht hergeben wollte), aber er hatte auch eine Skizze mit den wichtigen Maßen, und von der bekam ich eine Kopie. Nach dem Aussägen der Lehre aus dünnem Blech folgte ich den horstlichen Anweisungen. Die Vorrichtung war nichts weiter als eine Platte mit einem darauf senkrecht stehenden langen Röhrchen, die Platte wurde auf den Tisch der Bohrmaschine gespannt, unter Zuhilfenahme der Speichenlehre wurden diverse Anschläge aus Winkeleisen an den Bohrtisch geschraubzwungen, und dann gab's eine lange Denkpause, denn auch nur ein einziges falsch rum geneigtes Loch hätte mir teuren Schrott beschert. Ein wichtiger Durchbruch war die Idee, vor dem Bohren jeder der vier (verschieden rum schiefen) Lochserien die Punzen mit Filzstift zu markieren. Ich lernte auch einiges über richtiges Atmen, denn tief durchgeatmet wurde an diesem Tag öfter. Das erste Loch war am schlimmsten, und ich rechne es dem Horst hoch an, daß er beruhigend auf mich einwirkte und im rechten Moment einen (Pulver-) Kaffee für mich hatte.
Der Horst. Der war so um die 5 Jahre älter als wir anderen, hatte bei der Wehr den Zweier Führerschein gemacht, war Fahrlehrer geworden und hatte mit Hilfe seiner Schwiegereltern (in deren großen Haus er wohnte) eine Fahrschule gegründet. Als junger Kerl war er mit viel Einsatz und wenig Erfolg auf diversem Material im Gelände herumgebrettert, aber auf der Straße hatte er's schon immer mit Ducati gehabt. Seine erste, die 175er, verkaufte er übrigens an meinen Nachbarn Gerd, lange bevor ich auch nur den Führerschein hatte. Anfang der 60er Jahre zog er als zweites Standbein einen Motorradhandel hoch, zuerst Ducati, na klar, aber dann gabs die aufregenden Hondas, und die verkaufte er sehr bald auch. Der Gerd kriegte eine der ersten CB450 (noch mit Trommelbremse), und der Horst konnte in der Fahrschule einen guten Teil der Einser-Führerscheinanwärter auch als Honda-Käufer anfixen. Er selber blieb aber den italienischen Königswellen-Ballermännern treu, erst war's noch die 250er mit dem Federkopf, aber dann bekam er eine in Brand geratene und pulvergelöschte 350 Mark 3D aus einem Versicherungsfall zum Verschrotten. Die kam allerdings nicht auf den Schrott, sondern der Horst baute sie neu auf, und mit edlem Zubehör (Ceriani-Gabel, Oldani-Bremse, Borrani-Felgen, winzigen Nirosta-Kotflügeln, einem großmäuligen 34er Dell'Orto-Flaschi mit offenem Trichter, Tommaselli Stummellenker, einer schmeichelweichen Wildleder-Sitzbank etc.) entstand in seiner kleinen, aber feinen Werkstatt in vielen Stunden ein ebenso feiner Cafe Racer. Und der war heilig, den durfte nur er selber bewegen.
Mit dem Gerd, der ein talentierter, aber leider zu vorsichtiger Ausweisfahrer war, transformierte er die CB450 zu einem wüsten Renngerät. Ein unglaublich niedriger, selbstkonstruierter Gitterrohrrahmen und ausgesucht feines Zubehör gaben dem Motor der biederen Serienhonda Gelegenheit, zu zeigen, was in ihm steckte, der Gerd war bei Flugplatzrennen in der 500er Klasse beeindruckend schnell - aber er kriegte es einfach nicht hin, vorn zu bleiben, guckte sich viel zu oft um, und das kostete ihn jedesmal unweigerlich den Sieg, oft müllerte ihn auf den letzten Metern sogar noch der dritte aus. Die "Banane", wie sie wegen ihrer grüngelben Lackierung und der schlanken, langen Verkleidung spöttisch genannt wurde, stand dann noch lange beim Horst in der Garage, er brachte es nicht übers Herz, sie zu verkaufen, obwohl er gute Angebote bekam.
An einem Samstag schaute ich mal bei ihm vorbei - er verkaufte auch Zubehör und Bekleidung - und wollte getönte Gläser für meine Baruffaldi-Brille, da hatte er die 250er Ducati eines Kunden auf dem Hof stehen. Die hatte einen KW-Lagerschaden gehabt, der Motor war überholt, und der Horst stand mit gerunzelter Stirn da und rauchte eine Sorgenzigarette. "Horch Dir das mal an", sagte er zu mir. Er trat die Duc ins Leben, sie blubberte sauber im Leerlauf vor sich hin, aber der ansonsten mechanisch leise Motor machte: "klickklack…klickklack…klickklack…". Es kam von der rechten Motorseite. Ich hörte mir das eine Weile an, und dann meinte ich schüchtern, es müßten die Untersetzungszahnräder für die Königswelle sein, weil das die einzigen Räder wären, die so langsam liefen. "Nein", sagte der Horst, "das kann nicht sein, die hab ich mir schon angeschaut, da fehlt nix." Also gut, ich kriegte meine Gläser und machte mich davon, die Luft war dick. Am Sonntagnachmittag schaute ich dann noch mal bei ihm vorbei, weil ich zu doof war, die Gläser in den Brillenrahmen zu fummeln, da hatte er den klickklack-Motor mit offenem Seitendeckel auf der Werkbank und runzelte immer noch die Stirn. Alles sah einwandfrei aus und spielte beim Durchdrehen von Hand ordentlich zusammen. Ich erläuterte ihm abermals meine Theorie mit den verschieden schnell laufenden Zahnrädern, und daß es nur einen Kandidaten für das Geräusch geben könne, aber es überzeugte ihn nicht.
Eine Woche später traf ich ihn am Clubstammtisch. Er strahlte mich an. "Verflixt, Du hast Recht gehabt, es war genau wie Du's gesagt hast!" Er hatte in seiner Verzweiflung die Zahnräder herausgenommen, und die Zähne einzeln mit der Meßuhr überprüft. Und ein Zahn am großen Rad war - verbogen gewesen! Nur ein paar Hundertstel, aber es hatte gereicht, um mit den anderen im Eingriff stehenden Rädern dieses nervende Geklacker zu erzeugen. Er konnte dann auch erklären, wie es zu dem unsichtbaren Zahnschaden gekommen war, der geplatzte Käfig des Kurbelwellenlagers hatte seine Nieten in den Räderkasten gespuckt, und eine war den Stirnrädern zwischen die Zähne geraten. Peng.
Mit meiner zutreffenden Diagnose war ich erheblich in seiner Achtung gestiegen, und weil ich ihm Leid tat (mein R27-Projekt war immer noch nicht fertig), bot er mir an, seinen Ducati-Caffer ein bißchen zu bewegen. Wow. An einem der nächsten Wochenenden fuhren der Manni, der Rudi und der Jonas ins Werdenfelser Land, und ich nahm den Horst beim Wort. Nach einer kurzen Einweisung und der Ermahnung, unter 8500 U/min zu bleiben, durfte ich vom Hof. Es dauerte ein bißchen, bis ich es raus hatte, aber dann fraß die Duc die Straße nur so, und ich war endlich mal kein Bürger zweiter Klasse. Auf dem Stück zwischen Murnau und Oberau hatte ich dann so viel Vertrauen in das Rad und mich gewonnen, daß ich den Quirl aufmachte und das Ding rennen ließ. Bei 8000 U/min sang eine Resonanz im Ansaugtrichter einen langgezogenen Orgelton, und bei dieser erhebenden Musik waren die knapp 20 km im Nu vorbeigeflogen.
Am Ortseingang von Oberau lief dem Manni leider eine alte Frau vor die Max, und der Ausflug war zu Ende. Zum Glück kam sie mit ein paar Prellungen davon, aber sie mußte trotzdem ins Krankenhaus, der Manni wurde vernommen, und das war das. Die Heimfahrt fand dann in etwas gedämpfter Stimmung statt, und in einem Waldstück mit sonst untadeliger Kurvenstraße hatte dann auch ich meinen Moment, in gepflegter Schräglage schoß ich aus dem Schatten heraus in die Sonne, die im Kurvenscheitel genau von vorn kam, war schlagartig sonnenblind, erschrocken langte ich in die Oldani, und dann spielten die diversen Aufstellmomente am blockierten Vorderrad ein dummes Spiel mit mir - gut, daß die Kurvenaußenseite an eine ebene Lichtung grenzte, da kam ich mit dem Schrecken davon, legte mich nicht mal hin. Aber 8000 ließ ich die Mühle an dem Tag nicht mehr drehen, und ich hatte wenigstens mal erlebt, wie eine richtige Doppelnocke zubeißt.
Eine 450er Desmo hatte der Horst dann auch mal in der Mache, die hatte ihrem Besitzer, beim Antreten zurückschlagend, die Stiefelsohle durchgehauen und zwei Mittelfußknochen gebrochen, und diesem Biest hatte er dann eine Thyristorzündung und einen 36er Keihin-Unterdruckvergaser verpaßt. Das war schon gut, das Roß war danach wesentlich gutmütiger geworden, aber der Geschlagene hatte die Schnauze voll, und der Horst fragte mich, ob ich sie nicht nach München mitnehmen und dort privat verkloppen wollte. Na schön, es war Sommer, und am Englischen Garten war so eine Art offener Markt, wo einem schon mal eben ein amerikanischer Tourist für eine Handvoll Dollar das Moped für den Europatrip abkaufte. Ich hatte allerdings kein Glück, und nach drei Tagen wurde das Wetter schlecht, ich brach die Aktion ab. Bei der Heimfahrt hielt ich noch mal schnell in Pasing an einem Kiosk, um mir eine Flasche Wasser zu kaufen, aber dazu kam ich nicht mehr, denn beim Absteigen sah ich, wie sich weiße Rauchfäden unter dem Tank herauskringelten, es roch nach Ampère, Uh-Oh, kein Feuerlöscher, ich grabschte mir den Kabelbaum, dem gerade die Isolation wegschmolz, und riß ihn mit beiden Händen brutal heraus. Das brachte mir zwar Brandstriemen quer über beide Handflächen ein, aber die Feuersbrunst war verhindert. Die Elektrik war mausetot. Aber: Magnetzündung! Wenigstens konnte ich das invalide Motorrad wieder beim Horst abliefern. Begeistert war er zwar nicht, aber er gab mir wenigstens keine Schuld für den Kabelbrand, denn die Elektrik hatte er ja selber bearbeitet.
Der Horst. Er hat mir dann viel später mal über die Fahrschule eine Familienkutsche mit satt Nachlaß besorgt, und ich wollte ihm dafür auch was Gutes tun. Aber was gibt man jemandem, der einem einfach so ein paar Tausender geschenkt hat? Ich schnitzte ihm aus Teakholz einen Rückenkratzer in anatomisch korrekter Form meiner zur Klaue gekrümmten Hand, und als ich ihm das Ding mit den Worten "Kratzt Du meinen Rücken, kratz' ich Deinen Rücken" überreichte, war er vor Rührung sprachlos, was man bei ihm selten erlebte.
Nachdem ich mit Methusalix dem Gelben endlich über ein würdiges "Eisen" verfügte, trat die Werbeabteilung (der Gerhard, vulgo Spund) des örtlichen Motorradklubs an mich heran, ob ich mich nicht um eine Mitgliedschaft bewerben wollte - war naheliegend, da meine beiden Brüder bereits Mitglieder waren. Geschmeichelt kam ich dem Vorschlage nach, stellte formgerecht einen Aufnahmeantrag auf einem Bierdeckel, und mußte fortan das Klub-Emblem am Moped führen, der Präsi (genannt "Schnäuzelchen") bohrte mir höchst eigenhändig die Befestigungslöcher in meinen schönen Kotflügel. Nebenbei gesagt, stank der Präsi gegen das Oberhaupt des Kieler MC Klappstuhl gewaltig ab, aber die Realität ist ja in Wirklichkeit immer ein bißchen weniger eindrucksvoll als die Fiktion…
Der Klub nahm laut Satzung nur Mit-Glieder auf, Mädels (da ohne) waren damals auf Funktionen wie Promilletransporter, Hinterreifenschlupfminderer und Truppenbetreuung beschränkt. Also strenggenommen keine völlig hühnerfreie Zone, aber im Ansatz schon ganz schön. Die Hühner machten allerdings im Laufe der Jahre durch Wandlung oder Verdrängung den Ehefrauen der Mit-Glieder Platz, und dann wurden - o tempora, o mores - auch irgendwann Ohne-Glieder aufgenommen. Als ich als Mitglied aufgenommen wurde, kannte ich die meisten anderen Klubmitglieder schon (der Horst war auch dabei), und wir kamen gut miteinander aus. Erst mal. Ereignisreiche Ausfahrten und der Ankauf diversen Zubehörs beim Horst und anderen dem Klub nahestehenden Handelshäusern ließen nicht lange auf sich warten. Schon die erste, sehr ereignisreiche gemeinsame große Ausfahrt demonstrierte mir bei einem Konflikt mit einer Dose die Vorzüge des Auftretens in einer Gruppe finster blickender, robust wirkender Gestalten in Lederanzügen. Sie demonstrierte mir aber auch, was man an einem einzigen verlängerten Wochenende alles an interessanten Mißgeschicken er- und überleben kann.
Das Klubheim war eine in vielen hundert Arbeitsstunden ausgehöhlte und neu ausgebaute Holzlagerhütte des Pauli, Landwirt daselbst, den der Spund kannte, und der sie dem Klub für eine nominelle Pacht von ein paar Mark im Jahr (plus Freibier bei den Klubveranstaltungen) überließ. Umgeben von Landschaftsschutzgebiet, mit unverbaubarer Aussicht knapp 100 Höhenmeter über der Stadt, war sie weit genug weg von der nächsten Behausung, um selbst bei fortgeschrittener Feierlichkeit keine Ruhestörung zu verüben. Ohne Strom, Wasser und Abwasser. Aber wir waren ja jung und erfindungsreich. Jeden Freitagabend war Hüttenabend, und weil ich sowieso gerade meinen vaterländischen Dienst in einem nahegelegenen Standort ableistete, konnte ich regelmäßig teilnehmen. Die Hütte wurde an diesen Abenden von Kradlern aus Nähe und Ferne besucht, man hatte sich bei Ausfahrten und Treffen kennengelernt und großzügig Einladungen verstreut - in jenen Tagen war man noch ein verschworenes Häuflein, durchdrungen von dem elitären, verbindenden Bewußtsein, Rebellen und einsame Wölfe zu sein… Immerhin lernte ich auf der Hütte die Viktoria kennen, und das sollte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden.
Der Klub hatte auch eine gemeinschaftlich genutzte Werkstatt, hauptsächlich deshalb, weil es Schnäuzelchen satt hatte, daß sich alle zum Schrauben in der Werkstatt seines väterlichen Betriebes herumtrieben - sein väterlicher Chef hatte es auch satt. Die Klubwerkstatt war nicht sehr hochkarätig ausgestattet, keine Fräse, keine Drehbank, nur eine kleine Tischbohrmaschine und ein Schleifbock, aber es gab ein Autogenschweißgerät, anständige Schraubenschlüssel, Feilen und Bohrer, eine Werkbank mit einem soliden Schraubstock, ein kleines Materiallager, viel Licht und viel Platz. Werkzeugspenden waren natürlich willkommen, und so spendete ich meine (teure) Knabberschere und meine (billige) Black&Decker. Eines Samstags hatte ich eine kleine Radlagersanierung vor (mit Aluguß-Nabe aufheizen), und erschien so um halb 12 in der Werkstatt. Der Hans war mit einer umfänglichen Lötarbeit beschäftigt, ich wollte ihn nicht stören und bereitete meine Aktion so weit schon mal vor. Kurz nach 12 schob der Hans die Schutzbrille auf die Stirn, drehte - patsch - den Brenner aus und sagte: "Du, übrigens, wenn Du löten willst, Gas is aus." Der Industriebedarfsladen, wo man eine neue Flasche hätte holen können, machte am Samstag um 12 Uhr zu. Danke, Hans. Und dann sagte er noch: "Deine Blechschere is a G'lump, 's Messer is abgebrochen." Er hatte 1,5 mm starken Federstahldraht damit abgezwickt, obwohl deutlich "0,8 mm" am Kopf eingeschlagen war, und das bezog sich auf ungehärtetes Karosserieblech. Das Messer kostete ja nur 20 DM. Danke, Hans. Auch Dein fachmännisches Urteil weiß ich zu schätzen.
Es könnte so im Winter 1973/74 gewesen sein, vielleicht auch ein Jahr davor oder danach, aber das genaue Datum tut ja nix zur Sache. Der Hugo schaffte als Kfz-Mechaniker in der Benz-Vertretung, und hatte aus der Verschrottung eines olivgrünen Unimogs eine Eberspächer-Fahrzeugheizung "günstig erworben", ein Monstrum, etwa so groß und so laut wie ein Starfighter-Triebwerk, und irgendjemand kam auf die Idee, um dieses Ding herum ein Gespann fürs Elefantentreffen zu stricken. Jonas hatte mittlerweile eine piekfeine vercafferte R75/5 und brachte die arbeitslose R51/3 in das Projekt ein, Hugo schwatzte dem Karli - im Austausch gegen eine beinahe neue 88 Ah-Batterie für seinen 190er Diesel - den schweren, ungefederten Vorkriegs-Steib ab, und die Eberspächer paßte prima zwischen Motorrad und Seitenwagenboot. Drei Warmluftschläuche ringelten sich aus dem Heizaggregat, einer verschwand im Fußraum des Bootes, einer pustete auf die Scheibe des riesigen Windschutzes am Lenker, und einer wurde in die weit übergroße Fahrerhose geschoben. Man gönnt sich ja sonst keinen Komfort. Das Gespann war rechtzeitig vor Weihnachten fertig, aber auf der ersten vollbesetzten Probefahrt machte es in einer Linkskurve "Plock Pluck Plack", und drei der rostigen Speichen des Beiwagenrads waren ab. Genaueres Hingucken zeigte, daß die übrigen Speichen ihr Verfallsdatum ebenfalls schon 1945 überschritten haben mußten. Wo Ersatz beschaffen? Der Karli hatte nix mehr, aaaber ich. Ich hatte ein total überqualifiziertes Rad aus dem R27-Projekt übrig, und man trat an mich heran. Das war mein Beitrag zur Elefantenfahrt, wenn ich schon wegen Prüfungsstreß und totalem finanziellen Abbrand weder mitwollte noch konnte. Probiert, paßt, damals hielt man eben noch was von Standardisierung. Dann war der große Tag gekommen, meine beiden Brüder bestiegen dick eingepackt ihre Plätze auf den Schwingsätteln der BMW, Hugo rutschte grinsend in den Beiwagen, und sanft blubbernd, unterlegt vom heiseren Röhren der Eberspächer, verschwand das Winterdreirad im leisen Schneefall.
Die Heldenfahrt zum damals tief verschneiten Ring ist eine eigene Geschichte, die ich aber nicht erzähle, weil es nicht meine ist. Nur das Nachwort soll hier stehen. Als die gründlich übernächtigen und durchgefrorenen Krieger heimgekehrt waren, wurde das Gespann wieder geschlachtet - es hatte nicht überzeugen können. Der Steib wurde beim Hugo hinter den Schuppen geworfen, die BMW kriegte einen neuen un-eckigen Hinterreifen, und mein kleines Brüderchen (nicht der Jonas, der andere) warf mir ganz unzeremoniell das salzverkrustete Rad vor die Füße. Ich fragte schüchtern, ob er es nicht wenigstens abwaschen wollte, das Salz, und die schöne Alufelge, und die neuen blitzblanken Speichen - ? "Wieso soll ich Dein Rad waschen?" kam die Gegenfrage. Tja, Blut ist dicker als Wasser, besonders wenn letzteres mit Arbeit zu tun hat.
Bei meinen Restaurations- und Reparaturarbeiten hatte ich mir, zur Deckung meines Bedarfs an hochwertigen Schrauben, bei der Firma Rademacher in München ein Sortiment Kadmium- beschichteter Inbusschrauben, Scheiben und Stopmuttern in den gängigen Größen zugelegt. Die beschichteten waren damals schwer zu kriegen und standen daheim in meinem Zimmer unterm Tisch in einer Sortierbox. Ab und zu brauchte einer meiner Brüder mal eine, und da bin ich nicht so, die kriegten sie von mir, und ich sagte: "Wenn ich mal nicht da bin, kannste Dich bedienen." Bei einem Treffen an der Hütte sah ich mir dann mal die fein hergerichtete Honda eines Besuchers von den Vollgasfreunden aus Etterschlag an, und die war an den richtigen Stellen mit korrosionsgeschützten Inbusschrauben bestückt. Ich fragte den stolzen Besitzer, ob er die auch vom Rademacher hätte, da sagte der "Naa, de hab i vom... vom... i woaß jetzt ned, wia se der schreibt, aba dea do drüma is'!" und zeigte auf meinen Bruder (Nicht den Jonas, den anderen). Wie sich dann herausstellte, hatte der schon seit längerem Krethi und Plethi großzügig mit meinen edlen Schrauben beschenkt. Und ich hatte mich gewundert, warum ich immer zu wenig von den langen M6 hatte. Jetzt wußte ich es.
Der Jonas war, wie ich selbst, des Schraubens kundig, hatte auch keinerlei Skrupel angesichts philosophischer Fragestellungen zum Thema "Allgemeine Betriebserlaubnis", und schwang souverän jedes Werkzeug, dessen er habhaft werden konnte. Mein anderer Bruder war weniger begabt, oder ekelte sich vielleicht auch nur vor dem Anblick ölverschmierter Pfoten. Jedenfalls kam es mehr als einmal vor, daß ich ihm bei Wartungsarbeiten an seiner BMW mit auf dem Rücken verschränkten Händen zusah, und wie durch Zauberei danach dreckigere Flossen hatte als er - ich konnte es einfach nicht mit ansehen. Dann nahte wieder einmal mein TÜV-Termin. An Verkehrs- und Betriebssicherheit mangelte es dem Methusalix nie (auch wenn er äußerlich manchmal etwas schäbig daherkam), aber nach dem entbehrlichen Kunststoffzeiger des Drehzahlmessers war nun auch noch der des Tachos abgefallen (verdammtes UV-Sonnenlicht), und das merkt sogar ein TÜVus. Da mein Brüderchen (nicht der Jonas, der andere) eine naturbelassene /5 fuhr, das Kombiinstrument also gepaßt hätte, schlug ich ihm vor, mir für die hochnotpeinliche Hauptuntersuchung das pièce de résistance leihweise zu überlassen. "Nöö," meinte er bedauernd, "das ist so viel Arbeit, den ausbauen, und vielleicht geht er dabei kaputt, nöö, das will ich nicht." Seufz. Mußte ich also in den Brustbeutel greifen und die 168 Mark für ein nagelneues Instrument abdrücken. Ich hatte's ja. Daß man den Tacho auch für weniger Geld bei Behrend & Schäfer in München hätte überholen lassen können, lernte ich erst viele Jahre später, als auch das zweite Instrument Zahnausfall bekommen hatte.
Eines schönen Samstags im Frühling klingelte es an unserer Haustür, ein ledergewandeter Fahrensmann mit Helm am Ellenbogen stand davor und wollte meinen Bruder (nicht den Jonas, den anderen) sprechen. Es war ein BMW-Fahrer aus Tübingen, der hatte gestern abend auf der Hütte mit meinem freundlichen Bruder vereinbart, daß ihm dieser für den fälligen TÜV für eine Woche die Schalldämpfer lieh. Zügig und routiniert schraubte er die Tüten ab und verschwand damit. Sie kamen zwar wieder zurück, aber ich stellte mein großzügiges Brüderlein dann doch zur Rede, was das denn solle, mir den Tacho nicht geben, aber einem Wildfremden die Auspuffe, da sprach er gelassen: "Bist ja selber schuld, hättst mich nur länger nerven müssen, dann hätt ich ihn Dir vielleicht gegeben, aber wenn Du immer gleich aufgibst…" Ja, ja, Freunde kann man sich aussuchen, Verwandte leider nicht.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Der Asterix (hieß bürgerlich Günter) war von einer bis weit jenseits jeglicher Legalität aufgemachten R75/6 über eine Yamaha TX750 (auf der Autobahn festgegangen) zu einer 1000er Laverda (1973er Modell) gekommen. Die hatte leider unverhofft ihren Kabelbaum abgefackelt, und der Günter hatte zwar einen Schaltplan, aber der war italienisch beschriftet. Wer konnte die Vokabeln für die Farben? Wer hatte eine halbe Ahnung von Elektrik? Wer hatte am Wochenende Zeit, weil er wieder mal zu klamm war, um mit den anderen nach Südtirol zu fahren? Richtig. So trat ich also am Sonntagmorgen meinen Job als Strippenzieher an. Wenn man weiß, wo die Kupferwürmer angeklemmt werden müssen, ist es ja ganz einfach, und die Elektrik der Laverda war zwar von Bosch, gemischt mit ein bißchen Lucas und Nippon-Denso, aber vergleichsweise simpel, wir konnten bis zum späten Abend die letzte Leitung verlegen. Ich hatte noch einige Verbesserungen gegenüber dem vorher gewesenen fliegenden Aufbau vorgenommen, die Verbindungen waren übersichtlich mit Flachsteckerleisten in einem wasserdichten, leicht zugänglichen Kästchen untergebracht und ordentlich beschriftet. Der Günter war begeistert, er spendierte mir eine fürstliche Brotzeit, und bot an, mir die Laverda für einen Tagesausflug zu geben. Da sagte ich nicht nein.
Schon eine Woche drauf wurde das Versprechen eingelöst, ich holte den Boliden ab und kurvte über die Allgäuer Voralpensträßchen ins 40 km entfernte Kempten, um die Viktoria aus dem Internat abzuholen (zum Entsetzen der Englischen Fräulein, deren fürsorglichen Fittichen ich sie entführte). Der Dreizylinder mit der 180°-Kurbelwelle schob zwar schon bei niedrigen Drehzahlen mit roher Gewalt und aggressivem Gebrüll vorwärts, aber der ungewohnt rauhe Motorlauf und die brettharte Federung waren für mich Gummikuh-Fahrer schon gewöhnungsbedürftig. Mit dem Ding hopste man über Unebenheiten, die das BMW-Fahrwerk einfach wegbügelte - ich hab danach mal ganz bewußt nach ein paar der spektakuläreren Sprunghügelchen gesucht, sie aber nicht mehr gefunden. Vielleicht lag's aber auch daran, daß ich mit Methusalix schlicht nicht die zum Abheben erforderliche Geschwindigkeit erreichte, wohingegen die ruppige Italienerin einfach von selber so schnell wurde. Aber als ich erst mal das Kleinhirn auf Rechtsschaltung umgestellt hatte, fühlte ich mich auf dem Tier nicht eine Sekunde lang unsicher. Die Viktoria klammerte sich auf der harten Sitzbank fest an mich, damit sie's beim Gasgeben nicht runterzog, und jeder Griff an die nachdrücklich verzögernde Duplexbremse schob sie mir, gehorsam folgend Newtons Gesetz, noch ein bißchen fester auf den Rücken - ja, das Moped hatte was, und mit recht gemischten Gefühlen stellte ich es dem Günter wieder auf den Hof.
Ich hatte mir mit dem Anmachen von Günters Kabelsalat allerdings keinen Gefallen getan, denn schon wenig später fragte mich der Aribert beim Frühschoppen, ob ich nicht mal nach seiner Hupe sehen könnte, da müsse wohl ein Wackelkontakt sein… Na gut, für einen Klubkameraden kann man ja schon mal, da geht es schließlich um die Sicherheit, und erneut meldete ich mich zum Sonntagsdienst. Ariberts BMW hatte nicht nur an der Hupe einen Wackelkontakt, die ganze elektrische Anlage war marode und vergammelt, und die verschiedenen korrodierten Schalter und Steckverbindungen freizulegen und wieder kontaktfreudig zu machen, war kein Spaß. Aber was tut man nicht alles für seine Freunde… Brotzeit ließ er übrigens keine springen, nicht mal einen Pulverkaffee.
Ein paar Wochen später sah ich ihn wieder, und irgendwie… da stimmte doch was nicht… "Hast Du Dein Eisen neu lackiert? Die war doch mal blau?" - "Nee, des isch a neue, die blaue hau i verkoft. Des war iebrigens guet, daß an d'r Elektrik alles 'gangen isch, da hat'r glei 500 Mark mehr zahla miassa." Is schon recht, Aribert, wozu hat man schließlich Freunde.
Ach ja, beinahe hätt' ich's vergessen: Anläßlich meiner bestandenen Diplomprüfung spendierte ich dem Klub ein Wildschwein am Spieß, inklusive der zugehörigen flüssigen und festen Beikost. Es gab ein paar Mit- und Ohne-Glieder, die das zu würdigen wußten. Der größere Teil konnte sich aber Kommentare wie "Zu fett...", "Zu trocken...", "Zu wenig...", "Ich will aber ein Stück ohne Knochen!", "Verpfeffert...", "Ungenießbar...", "Geschmacklos..." usw. nicht verkneifen, und es fehlte nicht viel, daß ich wegen des Versuchs, den Klub zu vergiften, mit Strafmaßnahmen belegt wurde. Dessen ungeachtet verputzten die Herr- und Damschaften den Braten samt Beilagen bis auf das letzte Fitzelchen. Und bei der nächsten Klubsitzung wurde mir bedeutet, daß mir die Experten dann mal zeigen würden, wie man so eine gallische Wildschweinfresserei richtig durchzieht. Darauf wartet der Klub allerdings bis zum heutigen Tage...
Im Jahre 1978 flog ich dann raus, weil ich nach München umgezogen war, aus Zeitmangel die Arbeitseinsätze an der Hütte und die turnusmäßige Übernahme der Hüttenbewirtschaftung nicht mehr ableisten konnte, und dieses - wie in der Satzung vorgesehen - durch Zahlung von Strafgebühren abgolt. Die Begründung war: "Weil Du Deinen Verpflichtungen dem Klub gegenüber nicht nachkommst."
Das erste Mal traf ich ihn beim Sepp. Ein dürrer, etwas schäbig daherkommender Geselle um die 50, abgestoßene braune Lederjacke, Fliegermütze und -brille, lederne Junkerstiefel mit deutlichen Gebrauchsspuren, Pfeffer- und Salz-Stoppelbart, zahniges Grinsen mit einer unübersehbaren Fehlstelle oben, und einem bühnenreifen Marjällchen-Akzent. Er duzte den Sepp, lange bevor ich das durfte, und war Stammkunde für Boxer-Gebrauchtteile, allerdings auch Stammlieferant, denn er schien ein weitverzweigtes Handelsnetz zu pflegen. Mich blickte er nur etwas geringschätzig an, erwiderte auch nicht mein gemurmeltes "Grüß Gott", und ignorierte mich dann erst mal. Als er seine Geschäfte mit dem Sepp erledigt hatte, schwatzten die beiden noch ein paar Minuten, dann stapfte der Herr zu seinem R25/2-Gespann mit Lastenbeiwagen, trat die klappernde Mühle an und pflotterte davon.
Der Sepp erklärte mir dann den skurrilen Gast. "Dees? Des ischt der Pflotterbaron."
Baron? Jawohl, sagte er, Georg von B……, ostpreußischer Junker, 1945 als junger Mann vom Stammsitz seiner Väter in Livland vertrieben, und in den Wirren der Nachkriegszeit ins Allgäu verschlagen. Gelernt hatte er außer Junker nix, hatte sich aber selbst mehr schlecht als recht zum Elektriker ausgebildet, der - ohne Handwerksbrief - als Hilfsarbeiter bei einem großen Elektromarkt sein Unwesen trieb. Seine große Leidenschaft waren die BMW-Boxer, und von denen wiederum die R51/2, die ihm wegen ihres Ventiltriebs mit den zwei halbhoch angeordneten Nockenwellen den neueren Modellen überlegen schien. Fahren sah man ihn aber immer nur mit seinem ausgelutschten 250er-Gespann, denn: er besaß nur den alten Vierer-Schein, den er noch vor dem Krieg zum Treckerfahren auf dem väterlichen Gut erworben hatte, und er traute sich nicht, den Einser zu machen, da er befürchtete, durchzufallen und dann ganz ohne dazustehen.
Er hauste in einem für wenig Geld gemieteten ehemaligen Stall in Denklingen, wo er inmitten eines beachtlichen Teilelagers auf einer Amipritsche schlief, und sich seine Mahlzeiten auf einem Kanonenofen wärmte. Ein paar Hühner hatten seinem Einzug getrotzt, und zahlten als Untermiete in frischgelegten Eiern. In der Nähe seiner Schlafstätte standen meistens irgendwelche betagte 500er BMWs, Scheunenfunde, die er zwar nicht fahren durfte, in deren Instandsetzung er aber seine ganze Liebe und Schrauberkenntnis steckte - wobei erstere erheblich größer war als letztere. Die Einzylinder-BMWs nannte er verächtlich "Pflotter", aber wenn er von einem seiner Boxer-Pfleglinge sprach, sagte er in beinahe zärtlichen Tonfall "Brummer". Trotzdem mußte er bei seinen Reisen, die ihn sommers wie winters durch weite Teile Europas, in die Schweizer Alpen, zum Elefantentreffen und sogar an den Polarkreis nach Rovaniemi führten, mit seinem Pflottergespann vorlieb nehmen. Er war übrigens der erste, von dem ich hörte, er habe sein Dreirad in einer Linkskurve umgeschmissen. Alle Achtung.
Im Lauf der Zeit nahm mich der Baron allmählich wahr, wenn ich den Sepp besuchte, und wir kamen auch zusehends ins Gespräch - er konnte schön erzählen, und hatte einen herrlich trockenen Humor. Mich duzte er recht bald, aber ich mußte ihn mit "Sie" anreden… bitte sehr, wenn's ihm Freude macht.
Als der Sepp uns aus seinem Garten einmal reife Pflaumen schenkte, da ließ er eine seiner kleinen Geschichten vom Stapel: "Wir hatten ejn' Verwalter mit ej'm Haufen halbwüchsijer Blagen, und ejner von denen, das war ejn Früchtchen, der hat jeklaut alles was nicht anjenagelt war, und wenn die Flaum' rejf waren, da brauchte man den nich zu suchen, der hockte fast nur oben in dem Flaumbaum und hat sich volljefressen. Ich krichte mejstens jar nie ne Flaume von dem Baum zu sehen. Und ejnes Tages, da wird mir das zu bunt, ich nehm ne Schrottpatrone, mach Schrottpatrone auf, Schrottkörner raus, Salz rein, in'en Flobert jeladen, und denn janz sachte zu dem Flaumbaum jeschlichen, richtich da hockt der Kerl wieder oben und streckt mir den Arsch her - ich knall dem die janze Ladung Salz in den Arsch, der schreit wie nich jeschejt, plumpst von dem Baum wie ne rejfe Flaume und rennt davon wie ejn Wahnsinnjer. An dem Tag hab'ch'n jar nich mehr jesehn, aber ejner hat mir dann jesteckt daß er noch'n halben Tach mit'm Arsch im Wassereimer jehockt wär."
Zum Thema Selbstjustiz vertraute er mir etwas später auch noch das folgende Rezept an: "Salz im Schrotjewehr is prima, aber noch besser sind jehackte Schwejnsborrsten. Wejßte, zehntausend jehackte Schwejnsborrstn komm' quer anjeflogen, das brennt nur so'n bißchen, aber ejne kommt längs, und die jeht unter de Haut. Und dann ejtert die raus, das dauert vier Wochen, da hatter Zeit sich zu überlejen ob er mir noch mal was klaut." So recht nach Gutsherrenart.
Wie schon erwähnt, war er ein begeisterter Schrauber, allerdings hatte er kein allzu glückliches Händchen bei Arbeiten, die wesentlich über Reifen- und Ölwechsel hinausgingen, besaß aber immerhin so viel Verstand, die etwas anspruchsvolleren Teile seiner Instandsetzungsarbeiten dem Sepp zuzuschieben, der sie ihm in seiner Gutmütigkeit auch immer wieder auf Kredit machte - nur ab und zu, wenn's der Baron mal wieder übertrieben hatte, bestand der Sepp auf einer, wenn auch bescheidenen Abschlagszahlung, und dann mußte seine Wohljeboren schweren Herzens mal wieder einen seiner kostbaren Brummer zu Geld machen. Einmal war ich bei den Verkaufsverhandlungen zu einer R51/3 anwesend (Die 51/2 gab er nicht her), der Baron zeigte dem Interessenten die Maschine, und sprach voll Stolz: "Die schätz' ich auf drejßich PeEss, die is durch mejne Hände jegang'n." Der Sepp, der das Prunkstück besser kannte als der "Jeorch", grinste, und als wir dann diskret hinausgingen, um den Zieleinlauf des Verkaufsgesprächs nicht zu stören, sagte er leise zu mir: "Durch seine Händ' ganga - so ka mr des au saga, der hat se halt abg'staubt und isch drei mal drum rum ganga, meahr hod'r an dear it g'macht."
Als ihn sein Bauer in Denklingen an die Luft setzte, weil er nicht einmal die ohnehin geringe Miete mehr zahlen konnte, suchte er sich ein paar Kilometer weiter östlich in Seestall eine neue Bleibe, was wir in schnöder Verkennung seiner Einzigartigkeit mit dem Satz kommentierten: "Der Baron hat sein' Saustall jetzt in Seestall."
Den Baron deckt inzwischen wohl der Rasen, und ich wünsche seiner armen Seele von Herzen, daß sie dort, wo sie jetzt weilt, auch mit dem Vierer eine 500er fahren darf.
Wenn du in Rente gehst, weist du ja, was du zu tun hast: Bücher mit Motorradgeschcihten schreiben. Seit dem seeligen Klacks hat es da ja kaum noch gegeben.
Wenn du in Rente gehst, weist du ja, was du zu tun hast: Bücher mit Motorradgeschcihten schreiben. Seit dem seeligen Klacks hat es da ja kaum noch gegeben.
Das find eich auch, vor allem das Marjellsche , hört man heutzutage gar nicht mehr. Ich meine, unser Ex-Minister Ehrenberg hatte das auch drauf.... und meine Schwiegergroßeltern
Der Winter von '72 auf '73 war lang und kalt, und wollte einfach nicht aufhören. Besonders betrüblich war das, weil meine neue R60/5 daheim unterm Vordach stand und mich immer wieder herausfordernd mit dem Scheinwerfer anblickte. Ein neues, knallrotes Rivetts-Ganzkörperkondom, das ich günstig in Horsts Mopped- und Gemischtwarenladen erstanden hatte, hielt zwar den gröbsten Matsch von meiner neuen Harro-Kombi (ebenfalls vom Horst) ab, dem oberbayerischen Landregen konnte es aber nicht viel länger als eine Stunde trotzen - schlechte Karten für die immer näher rückende Klub-Osterausfahrt nach Enns.
Aber da half nichts, das Osterwochenende war da, und es schneite, es wehte, es dreckelte, und der Klub war damals noch ein - wenn auch nicht sehr christlicher - Verein junger Männer. Wetter? Das ist was für Weicheier, wir fahren! Vom Allgäu nach Enns ging's erst einmal auf der B12 nach München, und dann auf die A8, die Salzburger Autobahn. Da mußten wir einfach durch, aber den Weg kannten wir alle im Schlaf, selbst mit schneeverpappter, beschlagener Brille. Beim Ammersee war dann nur noch Nieselregen, aber der blieb uns erst mal treu. Nota bene: 1973 war die B12 noch durchgehend zweispurig und mit den Ortsdurchfahrten Buchloe und Landsberg gesegnet - nix mit lässig dahinrollen, jeder Brummi, jeder Goggo, jeder Käfer gestaltete sich zum Ärgernis.
Ein kleiner Lichtblick: im Vorjahr war das vierspurige Teilstück ab Oberpfaffenhofen fertiggestellt worden, und die elend lange Zufahrtsstraße nach München rein über Germering und die anderen Dörfer fiel weg. Irgendwie brachten wir's hinter uns, und als wir endlich aufatmend die langweilige A8 unter die Räder nehmen konnten, machte auch der Regen hin und wieder mal eine Pause. Die kleine Freude war jedoch nur von kurzer Dauer, denn bei Irschenberg ereilten wir den Ostersüdfahrer-Stau. Ha, kein Thema für uns Einspurige, zwischen den zwei Schlangen war immer noch ein Durchkommen - nur der Big und der Mecki mit ihren 1000er DKW-Gespannen hatten jetzt die Arschkarte. Vorsichtig, mit Tempo 30, fädelten wir uns auf dem Mittelstreifen zwischen den stehenden Kolonnen vorwärts, der Boxer war gefühlt für diese Aktion viel zu breit, aber vor mir fuhr der Jonas mit der R75/5, die war auch nicht schmaler, na prima, so macht Stau richtig - He, Drecksau! Direkt vor mir schert eine Dose zum Spurwechsel rüber, die BMW erwischt sie mit dem Vorderreifen, wird nach rechts gespickt und wirft mich ab, ich lande rücklings auf der Bahn, das reiterlose Mopped verläßt dieselbe, durchquert mangels Leitplanke im spitzen Winkel einen flachen Graben, fährt noch ein Hügelchen halb hinauf, bleibt schließlich abgewürgt stehen, fällt um. Nur einen Moment liege ich benommen da, dann reißt's mich hoch, ich hopse zwischen den nachrollenden Fahrzeuge vom Fahrstreifen runter, ach Du Scheiße, aber es ist mir nix passiert.
Die Kumpels hinter mir haben's gesehen, und als sich der Saukopf über den Standstreifen davonmachen will, bolzen sie hinterher, der hat keine Chance, und nach ein paar hundert Metern haben sie ihn eingekeilt, er muß stehen bleiben. Da steigt er aus, und lamentiert dem Dutzend finster blickender Lederträger vor, daß es nicht sein Auto ist, und wenn der Eigentümer seinen Schadenfreiheitsrabatt verliert, kriegt er so was von Ärger, und wenn wir ihn anzeigen, verliert er seinen Job, und buhuhuuu...
Die Jungs sind ja keine Unmenschen, und als sie sehen, wie ich - anscheinend unverletzt - im Schweinsgalopp zum Ort des Standgerichts getrabt komme, ist eine Verhandlungsbasis geschaffen: Die Regenkombi ist an zwei Stellen durchgescheuert, die Harro hat am Ellenbogen eine abgeschabte Stelle, und wenig später kommt die Kunde aus der grünen Wiese, daß die BMW unbeschädigt ist - Mit einem Hunderter für die Flurschäden an meiner Bekleidung kauft er sich frei. Sehr erleichtert macht er sich aus dem Staub (Eigentlich war's ja Nötigung, aber was soll's - ist verjährt).
Das Mopped bergen wir mit vereinten Kräften, die Durchfahrt durch den vom Regen aufgeweichten Straßengraben ist eine Herausforderung an Mensch und Maschine, aber schließlich ist alles wieder gut. Na ja, nicht ganz, denn als das Adrenalin langsam wieder abbaut, spüre ich am rechten Ellenbogen den blauen Fleck, von dem außen die Schürfstelle im Leder kündet. Hätt schlimmer sein können.
Ein paar Kilometer weiter löst sich der Stau auf, ohne daß eine Ursache zu erkennen wäre, und ohne weitere Zwischenfälle, aber mit vielen Pausen (wo wir an den Motoren in den Handschuhen Warmwasser bereiten, während die Winztank-Fraktion ein paar Literchen bunkert), erreichen wir am späten Nachmittag unser Ziel, naß und verfroren, aber durstig und aufgekratzt. Die Unterkunft ist einfach, aber warm und trocken, es gibt genügend Radiatoren, um unser quatschnasses Zeug zu trocknen, sei es in den Zimmern oder unten im Schankraum. Die Ennser Motorradfahrer haben sich schon einen uneinholbaren Vorsprung eingeschüttet, als wir in trockene Klamotten umgezogen in die Gaststube einfallen, und wir versuchen unverzagt, den Vorsprung, wenn schon nicht aufzuholen, so doch nicht größer werden zu lassen.
Nach Einbruch der Dämmerung hören wir in einer kurzen Lärmpause ein dezentes Schnurren auf dem Hof, und kurz darauf öffnet sich die Tür, ein bescheiden wirkender Herr im grauen Gummianzug tritt herein und wird sofort johlend von den Ennsern begrüßt: "Griaß Di, Willi, schee daß'd es noch g'schafft hast, da sitz Di her!" Der Gummigewandete winkt ab, schält sich aus seiner naßglänzenden Außenhaut und steht im Straßenanzug mit Jackett und Schlips da, unter den klobigen Gummiüberstiefeln kommen sauber geputzte Halbschuhe hervor, es ist, als ob sich eine Schmetterlingspuppe öffnet und einen makellosen Falter entläßt. Willi Menking, Deichvogt aus Carolinensiel, angereist auf BMW R60/5, und ist den ganzen Haken von Ostfriesland bis Enns an einem Stück gefahren - bei dem Sauwetter und ohne Autobahn. Ganz klein und häßlich komm ich mir auf einmal vor. Der Willi hat dann ganz schnell einen Tisch mit Zuhörern um sich versammelt, die andächtig lauschen, wie er abwechselnd Seemanns- und Moppedgarn spinnt, er ist ein guter Erzähler, und wir vergessen beinahe, dem guten Bier und dem guten Essen Bescheid zu tun. Beinahe. Spät fallen wir ins Bett, morgen haben wir ja auch noch was vor.
Die Frühaufsteher fressen schon das Frühstücksbuffet zuschanden, als ich im Gastzimmer aufscheine, Kaffee fließt in Strömen, und hie und da werden den Katerchen die ersten kleinen Hellen eingeflößt, aber die Stimmung ist super, denn: über dem Morgennebel ahnt man bereits eine blasse, rötliche Scheibe. Es gibt Sonne. Der Präsi fragt mich hinterhältig, ob ich mal ein richtiges Motorrad ausprobieren wolle, und gibt mir seine ziemlich neue CB500 zum Warmfahren. Na ja, 's ist schon was Anderes, aber dieses elektromotorische Rollen ohne Charakter ist eigentlich nicht mein Ding, mit dem gleichmäßigen Drehmomentverlauf muß man immer auf die Instrumente starren, um zu wissen, ob sich da unten was rührt - ich bleib beim Zweizylinder, da spürt man's im Bauch, auch wenn's nicht so viel ist. Die angebotene Proberunde mit Minnis Z900 schlage ich dann feige aus, vor Frankensteins Tochter hab ich denn doch noch zu viel Bammel.
Aber dann trennen sich unsere Wege, der Klub nimmt an der rituellen Ausfahrt teil, und ich hab noch einen Botengang nach Wien, in die Laxenburgerstraße im 10. Gemeindebezirk. Da darf ich den Besuch erwidern, den mir während der olympischen Spiele unverhofft die rothaarige Urlaubsbekanntschaft von der großen Spanien-Expedition gemacht hatte. Das ist allerdings eine andere Geschichte, hier präsentiere ich nur die unsterbliche, bei Kaffee und Kuchen ausgesprochene Weisheit ihres SPÖ-wählenden Papas: "Fia wos muß dear die Müllionan roffn? Auf mehr wie aan Stuhl kon der aa ned sitzn, er hod jo aa nuar aan Oasch."
Zurück fahre ich in den Sonnenuntergang wie der Lonesome Cowboy, und als es ganz schwarzsamtene Nacht geworden ist, fegt ein spektakulärer Feuerball über den Himmel, und immer noch ein Stück, und hört gar nicht mehr auf, und als ich endlich mit Staunen fertig bin und mir einfällt, daß ich mir was wünschen darf, ist es vorbei. Spät laufe ich wieder in Enns ein, die Bande ist schon längst von der Ausfahrt zurück, es muß wohl unangenehmer Osterverkehr gewesen sein, aber die Moral ist ungebrochen, vereinzelt wird geschraubt (Der Zündverteiler an Meckis DKW-Dreizylinder macht Ärger, und Werners CB250 hat eine Stiefel-Spritzschmierung entwickelt - er hätte nach der Jugoslawien-Tour mit Notreparatur am Zylinderkopf vielleicht doch eine neue Kopfdichtung spendieren sollen), und man macht Statistik mit der Schnitzelgröße in den verschiedenen Ennser Wirtshäusern. Alle sind gut gelaunt, und nicht einmal eine kleine Ferkelei mit Röstzwiebeln in den Haaren löst eine Schlägerei aus. Wir tragen die Hochstimmung hinauf in die Schlafräume, der Werner führt mit Hansels langem Montiereisen und einer vollen Bierflasche die Enthauptungsszene aus "Das Schwert des gelben Tigers" vor - allerdings nur einmal, dann fliegt er hochkantig raus...
Am Morgen ist Heimfahrt, alles ist trocken, phantastisches Frühlingswetter verheißt eine genußreiche Tour... leider geht Werners kranke Honda nach wenigen Kilometern auf der Westautobahn aus, die Schnelldiagnose ergibt: ein Ventil hängt - war wohl zwischen den letzten beiden Tankstopps ("einmal Öl auftanken und Benzinstand nachsehen") doch zu wenig Öl drin geblieben. Die Gespannfahrer haben aber ein Abschleppseil dabei, und ganz schnell hängt die CB hinten an Bigs Zugmaschine. Die DKW zerrt mächtig vorwärts, und auch Meckis Gespann legt ein ziemliches Tempo vor - ich häng mich so ungefähr 200m hinter die beiden Boliden, die räumen die Bahn schön frei... Was ist denn das für ein Patschen? Schlägt mir da ein loser Packriemen im Fahrtwind immer mal wieder an den Helm? Ach du liebe Zeit nee, jeder Patsch kommt kurz nach einem kleinen Blitz aus Meckis Auspuff - das sind die Fehlzündungen wegen des maroden Verteilers! Da hat der Werner ja Glück, daß er beim Big hintendran hängt, dem sein Dreizylinder singt nur schön gleichmäßig sein kleines a - nicht so ein Schlagzeugsolo wie Meckis Knallfrosch. Bis Miesbach kommen sie mit dem Schleppzug durch, aber dann scheucht sie ein Porsche der Autobahnwache von der Bahn, und man schlägt sich seitwärts in die Büsche. Das ist allerdings bei dem Stop-And-Go-Osterverkehr mit den vielen Ortsdurchfahrten keine rechte Freude, und in Bad Tölz wird die geschleppte Honda an einer Tankstelle deponiert. Die holen wir heute Abend ab, denn der Werner muß ja morgen in Mittenwald wieder bei den Gebirgsjägern antreten, da paßt das ganz gut. Die letzten 150 km über die Nebenstrecke machen richtig Spaß, und wir lassen uns das Kurvenkino noch mal auf der kollektiven Zunge zergehen.
Nach einem kurzen Abendessen und einer Katzenwäsche holt der Werner vom Horst den Prestolith-Panzer, den betagten Kadett-Kombi, der schon öfter ein krankes Moped heimgeholt hat, und dessen Karosserie etwa zu gleichen Teilen aus Lack, Rost und Faserspachtel besteht. Der Werner kennt den Weg, und er läßt es krachen, denn es geht bald auf Mitternacht. Bei Bichl verwechselt er dann in einer engen Rechtskurve rechten und linken Begrenzungspfahl, fährt geradeaus und in den Graben. Ein dumpfer Krach, ich denke nur: "muß ich schon wieder sterben", es rauscht und prasselt, als die 20000 Krümel der Windschutzscheibe wie ein gewaltiger Schrotschuß ins Gras fetzen, ein Glück, denn als mein Kopf dort ankommt, wo die Scheibe war, ist die schon fort. Angeschnallt waren wir übrigens nicht, denn der olle Opel hatte noch gar keine Gurte. Bloß raus, die Rostlaube steht bestimmt gleich in Flammen, wir verlassen sie kopfüber durch das Frontscheiben-Loch, jeder für sich und Gott für alle, und dann liege ich am Straßenrand und zähl meine Zähne, alle noch da, die Augen auch, ich dämmere ein bißchen weg, irgendwann kommt ein Sanka und karrt mich ins Knappschaftskrankenhaus in Bad Tölz, wo mich diverse Notaufnehmer untersuchen, durchleuchten (ich kann die rechte Hand nicht krumm machen) und mir dann eine Gipsschiene verpassen. Der Gipser ist ein vierschrötiger, resolvierter Typ à la Benno Hoffmann, beim Aufschneiden des Gipsverbands schnippelt er mir auch noch ein Stück vom Handballen weg, und als ich das mit einem schüchternen "Au!" kommentiere, fährt er mich barsch an: "Stellns eahna ned so o." Dann läuft das Blut aus dem schönen, weißen Gips raus, und als scharfsinniger Beobachter merkt er gleich, woran's liegt: "Öha - hob I eahna zwickt?" Na ja, der ist auch Schlimmeres gewohnt...
Ja, und dann steh ich auf der Straße, verballert und schmutzig, der Werner ist weg, dem hat die Polizei die Feldjäger gerufen, und die haben ihn nach Mittenwald gefahren - det is halt noch mal'n Service. Mit meinem abenteuerlichen Aufzug, blutverschmierte, zerrissene Parka, Gips am Arm und zerschundene Fresse, will mich dann auch keine Herberge aufnehmen, obwohl die Parkplätze der Hotels recht leer aussehen. Da penn ich eben am Bahnhof, morgen früh find ich dann schon ein Verkehrsmittel, das mich nach München bringt. Ich hab mir allerdings geschworen, nie wieder auch nur einen Pfennig in Tölz auszugeben, und das habe ich bis heute durchgehalten.
Habe mir heute mal diesen Fred in voller Gänze zu Gemüte geführt. Doch, sehr unterhaltsam, muß ich schon sagen. Viele Sachen sind mir, wenn auch nur in ähnlicher Form, doch sehr bekannt vorgekommen.
Die dem Namen Menking, 60/5 mußte ich aber doch mal meine Fotos durchstöbern. Und Voila:
Man vergißt so viel. Beim Freundlichen fragte ich gesprächsweise nach der Ersatzteilnummer für die Lacksprühdose der 2011er W800, dunkel metallic-grün, und der fand in der Ersatzteilliste nur eine Bezeichnung "dark metallic green". Ja wenn das reicht. Ich brauch's für einen Helm. Den ich noch nicht habe, aber mir gegebenenfalls gleich beim Hersteller damit lackieren lassen möchte. Und dann geriet ich ins Sinnieren, wie das denn früher mit den Helmen war, und mit den Brillen drunter, weil ich doch einen Durchblickverstärker im Führerschein eingetragen habe. Damals, als Methusalix noch frisch war und noch "meine BMW" hieß, da hatte ich einen gelben Römer-Jethelm, und drunter eine Baruffaldi-Brille, die so geschnitten war, daß eine gewöhnliche nickelrahmige Sehhilfe gut drunter paßte (für Werte von "gut" wie "schlecht und recht" etc.).
Bei schönem Wetter ist das ja OK... Es war schon der 9. Oktober, und die Semesterferien pfiffen auf dem letzten Loch, es gab noch ein paar Dinge zu erledigen, die Edith hatte einen neuen Job als Empfangsdame im "Seehotel Überfahrt" in Rottach-Egern, und der Manni mußte mal wieder die Kanäle freibrennen, paßt doch alles zusammen. Es war ein klassischer Altweibersommertag, als Student hat(te) man ja auch an einem gewöhnlichen Dienstag Verfügungsraum, und der Weg von KF nach Rottach-Egern ist viel, viel länger als die 85 km Luftlinie, wenn man ein bissel kreativ ist, und, wie gesagt, wir hatten Zeit. Über die Reize der bayerischen und Lechtaler Alpen im Herbst brauch ich ja nix zu sagen, und als wir am frühen Nachmittag in Rottach-Egern einliefen, fühlten wir uns jedenfalls nicht wie Zeug, das die Katze aus dem Gulli geangelt hat. Auf dem Parkplatz vor dem Hotel sahen Mannis Ess und meine gelbe (ausnahmsweise mal frisch geputzt. Meine meine ich.) ausgesprochen schmuck aus, und auch wir gaben in unseren enganliegenden, fettig-schwarzglänzenden Harro-Kombis ein Bild gepflegten, wohlsituierten Bikertums ab.
Dachten wir. Die beinahe unsichtbare Glastür des Hoteleingangs ließ uns in eine Halle von der Größe Liechtensteins eintreten, der riesige Raum geschmackvoll dekoriert mit geschmacklos-folkloristischen Kultgegenständen aus dem oberbayerischen Fremdenverkehrskulturkreis, und im heimelig-gelblichen Dämmerlicht konnten wir weit hinten den Empfangstresen erspähen. Dorthin lenkten wir unsere Schritte. Oder wollten, denn da machte es "WHUUUSCH!", und aus dem Nichts materialisierte sich vor uns ein glattfri- und rasierter Hausdämon (-kobold?), ich schwöre, daß er einen Trachtenanzug mit Nadelstreifen anhatte, und säuselte uns streng in völlig akzentfreiem Niedersächsisch an: "Was wünschen Sie?!?" (Ob nach dem "Sie" noch "Abschaum" kam, kann ich jetzt nicht mehr beschwören, aber es könnte Telepathie gewesen sein, die mich das wahrnehmen ließ). Ganz artig gaben wir zu Protokoll, daß wir gern mit dem Fräulein YYY gesprochen hätten, die würde wohl hier arbeiten. Wir erhielten die Auskunft, daß die Dame jetzt keine Zeit hätte, um siebzehn Uhr wäre aber Dienstende, da würde sie von der Kette losgeschlossen, und erhielte vorübergehend einen Teil ihrer Bürgerrechte wieder ausgehändigt. Sinngemäß. Und ob wir bitte ganz schnell verschwinden könnten, sonst müßte er den Kammerjäger rufen. Sinngemäß.
Sensibel, wie wir angehenden Akademiker nun mal sind, verstanden wir sehr bald die drohend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgequetschten Höflichkeiten und machten uns dünne. Am Tegernsee gibt's ja auch noch andere landschaftliche Schönheiten, die an einem so wunderschönen Herbsttag zur Besichtigung laden, zum Beispiel das schöne Schloß, das weithin sichtbar auf dem Ringberg thront. "Da steig'mer jetzt 'nauf!" beschlossen wir, ließen zum Trotze die Moppeds auf dem Hotelparkplatz stehen, und stapften los. Es war eine Schnapsidee, denn der Anstieg von Rottach-Egern ist völlig weglos und steil, der Waldboden war herbstlich-matschig, und oben steht man vor einer unübersteigbaren, unumgehbaren Mauer. Viel, viel später durfte ich als Gast der Max-Planck-Gesellschaft einige Male eine Woche lang in den Mauern des Schlosses wohnen, in einem - von Herzog Albrecht angeordnet - in das Schlafgemach hineingezimmerten Pracht- und Massivbett schlummern, und die vorzügliche Küche des Tagungszentrums genießen. Aber an jenem wunderschönen Herbsttag standen wir mit schlammigen Stiefeln und außer Atem schnaufend vor der Burgmauer und kamen uns vor wie Deppen.
Joh. Bis wir wieder unten waren, war es schon Dämmerung, die Edith hatte Freigang und berichtete uns von einem megatonnenschweren Anschiß, den sie unseretwegen kassiert hatte ("...bringen uns Rocker ins Haus und daß das nicht noch einmal vorkommt, sonst..."), und aus dem geplanten gemütlichen Kaffeetrinken wurde nichts, weil es anfing, zu regnen, und überhaupt.
Also rein in die Überzüge, die Verhüterli über Handschuhe und Stiefel, Abflug. Direttissima. Von diesem Teil des Ausflugs sind mir allerdings nur die etwa 100 Paniksekunden im Gedächtnis geblieben, immer, wenn mich mein Schlangenvordermann mit dem Bremslicht blendete, das sich in hunderten von Tröpfchen innen und außen an den vier Glas/Luft-Grenzflächen meiner beiden Brillen brach, und die Reparatur im strömenden Regen, als meine Zündkerzenstecker in der Wassersuppe abgesoffen waren. Dem Manni seine hielten durch. Was sonst?
Die Edith hat's nicht lange in dem Laden ausgehalten, auch sie hat übern Teich geheiratet, und führt jetzt ein Schihotel in Vail, Colorado. Vor dem Hotel "Überfahrt" warne ich nicht, das könnte rechtliche Folgen haben. Und mein Sparschwein mußte kurz darauf für die Anschaffung eines Integralhelms sein Leben lassen.