Wie war das doch noch? Ich wurde im Sommer vor der Abiturklasse 18, zwei meiner Freunde kradelten schon auf eigenen Mopeds und Rollern herum, und ich hatte durch Ansteckung das Virus auch schon in mir. Damals kostete der Lappen noch etwas weniger als heute, und ich konnte ihn vom gesparten Taschengeld ...na, sagen wir mal anzahlen, den Rest steuerte der Papa bei. Fahrstunden machte ich im Winter, aufm 1300er Käfer, und fürn Einser aufm NSU-Prima-Roller. Im Theorie-Unterricht in der Fahrschule saß auch ein etwa 50-jähriger Bauer aus Fuchstal, der hatte nur den alten Vierer-Schein, und der kam immer mit einem sehr seriös wummernden Motorrad zur Fahrschule. Kein Mööööped, nein, eine viertaktige 250er BMW mit Kardanantrieb. Wow.
Das mit dem Kardan. Da war ich ein Steppke von vielleicht 11 Jahren und stöberte in den Sommerferien durch die Gradeser Hinterhöfe. Auf einem Kieshaufen nahe einer Kleinbaustelle lag, achtlos hingeschmissen, eine BMW R69S. Engelschöre. Lichtstrahl vom Himmel, andächtig versunkene Kontemplation. Die Kardanwelle sauber eingehäust im Schwingenholm, die erigierten Zylinder, der Lack schwarzglänzend, und einfach affengeil. Ich kannte das alles aus Büchern, und das war was Anderes als die Max und später die 175er Ducati und noch später die Honda CB450 meines Nachbarn. Und auch anders als die herrlich singende Adler MB250 meines anderen Nachbarn. Knabenträume in einem Augenblick zu Nichts zerschmolzen und durch einen Männertraum ersetzt.
Und jetzt wollte der führerscheinaspirierende Bauer diesen wunderbaren, wenn auch schon etwas angejahrten kleinen Onkel meines Traummotorrads nicht mehr haben, weil ihn wohl langsam das Zipperlein plagte, und er einfach endlich trocken und warm fahren wollte. Sagte er. "Wenn I dr Schei hau, na varkof i se. Fier 100 Mark kriagsch se." (Sobald ich den Führerschein habe, verkauf ich sie. Für 100 DM bekommst Du sie)
Weil sich der Kauf einer anderen BMW im September - da hatte ich noch keine einzige Fahrstunde gehabt - buchstäblich zerschlagen hatte (bei der Fahrt zum Verkäufer war mein Fahrrad an einem VW-Käfer zerschellt und ich wurde ins Krankenhaus umgeleitet, der Bursche wartet wahrscheinlich heid no...), war ich ja immer noch ohne Krad und gab dem Rusticus einen Handschlag darauf. Und am 17.4.68 war ich stolzer Besitzer einer 15 Jahre alten R25/3, 3 Monate und 9 Tage nach dem Führerschein. Ich hätt' sie ja schon früher holen wollen, aber mit gebrochenem Fuß (das ist wieder eine andere Geschichte)... Als ich großmäulig mit angezogenem Lenkungsdämpfer vom Hof eierte, lief der brave Landmann hinter mir her und behob als kostenlosen Service noch schnell diesen peinlichen Mangel.
Mit und an diesem gutmütigen Nutztier erlernte ich das Fahren, das Schrauben und viele neue Worte. Zum Beispiel "Ventilabreißer". Oder "Kupferwurm". Oder "Passungsrost". Das Buch vom Klacks konnte ich kapitelweise auswendig, und hakte eine Erkenntnis des Gurus nach der anderen an der Realität ab - nur das mit dem Schnellfahren, das konnte ich mit dem braven Stoffel nicht verifizieren.
"Stoffel" war vom ersten Tag an sein Kosename. Aberglauben pur. An meinem Fahrrad, das sich im Wesentlichen durch ein rattiges Erscheinungsbild auszeichnete, war eine Klingel mit einem heiligen Christophorus auf dem Deckel. Und weil der Unfall eher glimpflich verlaufen war, schob ich diesen guten Ausgang auf die schützende Hand, die mein Klingelheiliger zwischen mich und Freund Hein gehalten hatte. Aus Dankbarkeit bekam mein neues Gefährt dann den Verkehrspatron zum Paten. Er hat sich Mühe mit mir gegeben: Bis heute ist mir auf dem Motorrad ein Unfall erspart geblieben. Toi, toi, toi.
Manche Erinnerung verbindet sich mit diesem Musterstück bayrisch-preußischer Kooperation, und die Motorradseuche durchdringt meine mittlerweile schon morschen Knochen immer noch bis ins innerste Mark. Meine spärlichen Einkünfte aus Taschengeld und Ferienarbeit gingen damals weitgehend für Sprit, Reifen, Zubehör und Reparaturen auf, das ist wohl ein Naturgesetz. Vielleicht haben diese Ausgaben auch meine Leber gerettet, weil mir kaum noch Geld für Alk blieb. Für Weiber allerdings auch nicht. Und ohne das aphrodisierende Parfüm der frischgedruckten Hunderter konnte auch eine coole Maschine meinen Stand beim schönen, berechnenden Geschlecht nicht aufbessern.
Einige Jahre später konnte ich mir dann nach einem besonders einträglichen Ferienjob eine - damals - dicke BMW leisten, zwar nicht den feurigen und ein bißchen verrückten schwarzen Mustang R69S, der blieb mir immer unerreichbar, aber den "vernünftigen" Nachkommen R60/5. 38 Jahre ging Methusalix - so hieß der Klepper bald - mit mir durch Dick und Dünn, aber die Erste bleibt die Erste, und so isses und so bleibts.
Gut 20 Jahre später besuchte ich mal wieder den dicken Schorsch, und der hatte auch den Manni aus Tuttlingen zu Gast, beides Kradler, man schwelgte in Erinnerungen, und ich gab auch den Schwank mit dem Fahrradunfall samt Begleitumständen zum Besten. Guckt mich der Manni entgeistert an, seine Augen verengen sich, er platzt raus "Duuu warscht dees - weischdu das i damals a Stinkwuet auf Di ghet hau? I hau da ganza Dag gwaatat und koiner isch komma... Abr jetz bischd entschuldigt." (Du warst das - weißt Du, daß ich damals eine Stinkwut auf Dich hatte? Ich habe den ganzen Tag gewartet und keiner ist gekommen. Aber jetzt bist Du entschuldigt)
Sehr schöne Story. Und faszinierende Parallelen. Auch ich hatte 68 eine 25/3 und dann ein paar Jahre später eine 69S - aber dann gab es viele, viele Jahre eine BMW-lose Zeit Von der 25/3 hat noch ein einziges Foto überlebt:
Ich hab gerade noch mal nachgeforscht und du hast Recht, 68 hatte ich erst eine Adler, dann ein Bücker-Moped und dann meine erste Max, die BMW kam erst im Spätsommer 69. Das Bild müsste sogar erst im Sommer 70 entstanden sein, den Lenker hatte sie aber schon, als ich sie gekauft habe. Es muss also schon "Hochlenker", wie die damals noch hießen, zuvor gegeben haben und nicht erst nach Easy Rider. Interessante Frage!
Edit: Hab gerade mal die alten Prospekte gewälzt: Tatsächlich gab es diese Lenker schon, z.B. bei DiCo, Walter Dillenberg, Schwieberdingen. Sie nannten sich "Western-Lenker" # L 377-00 für 25,70 DM
Obwohl ich mit der R25/3 drei Jahre lang jeden erdenklichen Unfug angestellt hatte, wuchs ich irgendwann raus und wollte auch am technischen Fortschritt teilhaben. Immer klamm, kamen die damals überall auftauchenden Japaner und Italiener für mich und mein schmales Budget nicht in Frage, von den legendären (und unzuverlässigen) Engländern ganz zu schweigen. Harley - da hatte mein Kumpel mal bei einem Bauern in Niederbayern eine Seitengesteuerte aufgetrieben... aber der wollte noch 1000 Mark dafür. Unbezahlbar, auch für meinen ebenfalls ewig abgebrannten Freund Harry, der sie ausfindig gemacht hatte.
Aber es mußte ja sowieso eine Kardanmaschine sein, und Harry zog mit seiner Spürnase eine R27 für 250 Mark an Land. Mit ihrem gummigelagerten Motor und dem Schwingenfahrwerk war die ja doch ein schönes Stück näher an meinem Traum - aber der Harry brauchte immer Geld, viel Geld (hatte auch schon Weib und Kind, aber keinen Job), und verkaufte das Schwingensofa für 750 Mäuse an einen Türken. So viel hätte ich eh nicht auftreiben können. Von der Kohle kaufte er dann eine Menge Windeln und eine R25/2. Und ich blieb dem Stoffel treu.
Bei einer gemeinsamen Fahrt ließ es der Harry auf einer langen Gefällstrecke richtig knallen, die alte Krücke wurde immer schneller, ich blieb zurück, aber dann wurde er ohne Grund wieder langsamer, rollte aus, aus. Zündfunke ja, Benzin auch, aber keine Kompression
In den kommenden Tagen machten wir diverse Schrauber ausfindig. Der dem Havarie-Ort am nächsten befindliche war der Sepp, Maschinenschlosser, Nebenerwerbslandwirt und Spezialist für alte BMWs. "Pflotter" nannte er die Einzylinder. Und konnte sie im Schlaf zerlegen und - wichtiger - wieder zusammenbauen. Zu dem schleppten wir dann (völlig illegal auf der Bundesstraße) das kranke Mopped. Der Sepp verdrehte die Augen, machte ein paar diagnostische Handgriffe und verkündete dann "Da isch a Ventil neig'falla." (Da ist ein Ventil hineingestürzt.) Und so war es. Der geöffnete Motor bot ein Bild des Jammers, vom Kolben war nur noch das Hemd übrig, und der Motor war mit Aluminiumspänen gesättigt. Hab ich schon erwähnt, daß die Tarife beim Sepp äußerst human waren? Für solche Stundensätze kriegt man woanders nicht mal eine Putzfrau.
Jedenfalls verbrachte ich viele Sonntage beim Sepp, lernte eine Menge über Motoren und den Rest, ließ eine Menge (für mich) Geld bei ihm, sparte aber noch mehr, und eines Tages sah ich eine motorlose R26 in einer Ecke stehen. "Dia kasch hau, deam wo se ghört hod, der wull se nummr, fuchzg Mark so wia se dau stoht" (Die kannst Du haben, der Eigentümer will sie nicht mehr sehen, 50 Mark, wie sie da steht). So ein Motor mußte doch zu kriegen sein, dachte ich, und dann durchfuhr es mich wie ein Stromschlag: Aus der kann man doch mehr machen!
Ich ging mit dem Sepp zu Rate. Lange Diskussionen fanden an den nächsten Wochenenden statt, dann war das Projekt definiert: Kurbelgehäuse und -welle von der 300er Isetta (mehr Hub), Zylinder vom 600er Auto-Boxer (mehr Bohrung), Zylinderkopf vom 700er Auto-Boxer (große Ventile). Räderkastendeckel von der R27, am Rahmen werden die Aufnahmen für die großen Schwingmetallstöpsel angeschweißt, am Getriebegehäuse die Lagerböcke für die anderen Gummilager (diese kitzlige Alu-Schweißarbeit erledigte der Dorfschmied mit Pulver und Gottvertrauen zur vollen Zufriedenheit), Kolben bei Mahle nach Maß, Pleuel und Kipphebel poliert (letztere auch noch bis zum Skelett abgemagert), härtere Ventilfedern aus dem Fundus, stellitbeschichtetes Auslassventil von Schötz, Tonnenlager an der Abtriebsseite der Kurbelwelle, 19er statt 18er Räder (Hinterradübersetzung geht ja nicht zu ändern), 12-Volt-Lichtanlage mit der damals brandneuen Bosch-Drehstrom-Lichtmaschine, DellOrto-Flachschiebervergaser, Kröber-Drehzahlmesser, größere Ölpumpe (gabs original bei BMW), Ölwanne mit Zwischenring um 1 Liter vergrößert, ein Wahnsinnsaufwand, aber wenn man mal angefangen hat zu spinnen, dann reißt's einen dahin, da gibt's kein Halten. Ich kaufte sogar für ein unanständiges Geld das Matra-Spezialwerkzeug für die Radlagerverschlußdeckel, weil der Sepp nur das große für die Zweizylinder hatte.
Es dauerte über ein Jahr, bis wir zu Potte kamen, an einigen Stellen mußte ziemlich gepfuscht werden, über den Umbau der Vorderradbremse auf Doppelnocke schweig ich mich lieber aus... Zum Glück war die Motornummer bei der R27 am Kurbelgehäuse, und bei der Isetta am Räderkastendeckel, so blieb uns die freie Wahl, wohin wir sie schließlich mit den guten Schlagzahlen feierlich aus dem Brief abschrieben
Der große Tag war gekommen, wir holten sie aus der Werkstatt und traten sie an. Mit der nunmehr abenteuerlichen Verdichtung von über 10:1 war's nicht ganz leicht, aber sie sprang sehr schnell an und hörte sich geradezu unanständig gut an. Und schob bei der Probefahrt auf der Dorfstraße wie eine Dampfmaschine. Ich fühlte mich wie ein Gott.
Es folgten noch etliche Nachbesserungszyklen, die Verdichtung wurde durch Abflachen des Kolbenbodens wieder unter 10 geholt, weil der Motor beim Beschleunigen klopfte wie ein Untoter im Sarg, für die Vergaserabstimmung mußte an zwei Tagen auf einer einsamen Feldstraße ein ganzer Tank verheizt werden, und der TÜV beanstandete... die Kotflügel. Zu nahe an den 19er Rädern, was mich wegen der Beschaffung einer werksseitigen Unbedenklichkeitserklärung noch mal 6 Wochen zurückwarf, und schließlich mußten ömmelige Nirosta-Teile an Stelle der originalen montiert werden.
Die Maschine war einfach geil. Auf der Geraden drehte sie bis 8000 U/min aus, das war deutlich über 140 km/h, trotz der Original-Auspuffanlage gab sie ab 3000 U/min ein markiges Gegröle zum Besten, und die Straßenlage des Schwingenfahrwerks war erste Sahne.
Mit diesem Zuckerstückchen war ich leider nicht mal zwei Jahre richtig unterwegs, dann holte mich der allenthalben verbaute Pfusch gnadenlos ein, und ich mußte sie in den Schuppen stellen
Zur Ausnüchterung trug dann der glückhafte Erwerb der zwei Jahre alten R60/5 bei. Ich weiß nicht genau, wieviel Geld ich in dieses unsägliche Unternehmen versenkt hatte, aber es müssen wohl einige 1000 Märker gewesen sein. Der etwas spätere Notverkauf in Teilen tat richtig weh, aber war nicht zu vermeiden - ich war jung und brauchte das Geld.
P.S.: Auf die Fotos müßt Ihr noch eine Weile warten, die sind irgendwo in einer Schachtel, aber ich reich sie noch nach.
Und ich hatte Eltern, die motorisierte Zweiräder viel zu gefährlich fanden für ihren Junior. Na ja, so ein französischer Reibradtriebler wurde grad noch akzeptiert.