Sechs Lümmel waren wir: Der Rudi mit der R51/3, der Manni mit der Max, der Fritz mit der R25/2, der Peter mit der 350er Konsul, der Jonas mit der anderen R51/3 und ich - mit der superduper frisierten R27. Am Montag, 29.5.71 machten wir uns auf, das Land der Ita...er mit der Seele zu suchen. Die anderen hatten die Ausfahrt schon länger geplant, aber ich hatte erst am Freitag vorher endlich, endlich das (voräufig) letzte Problem mit meinem Sorgenkind gelöst. Da war noch gewesen: Bremse einstellen und einbremsen, Zylinderkopfdichtung neu montieren, Scheinwerfer tiefer setzen, Luftfilterkasten verbessern, Auspuffdichtung ersetzen, Lenker anders drehen, Tachowelle richtig verlegen, Blickfeld auf den Tacho frei machen, Hinterradschwinge zentrieren, Tankbefestigung entprovisieren, Kabel zum Ölthermometer richtig verlegen, Sitzbankbefestigung sanieren, linkes vorderes Motorgummilager ohne Vorspannung montieren, Soziusfußrasten anbauen, alle Schrauben noch mal auf festen Sitz kontrollieren, Kabelbaum an diversen Stellen fixieren... Die anderen, größeren Sachen hatte ich schon vor dem TÜV machen müssen.
Es war schon ein interessantes Rudel von Motorrädern, auf denen wir am frühen Morgen im strömenden Regen davonschraddelten. Meine sprang schlecht an; woran das lag, kriegte ich erst viel später raus. Mein anfangs belächeltes Abschleppseil sollte sich noch als sehr nützlich erweisen, und nicht nur für mich. Peters Vorderreifen war schon ziemlich abgefahren, was ihn erhebliche Nerven auf den ersten paar Dutzend Regenkilometern kostete. Fritzens kleine alte Normalo-BMW rannte wie der Teufel, und er freute sich diebisch, daß ich ihm nicht davonfahren konnte. Die beiden 500er Boxer lebten in einer anderen Klasse, und ihre Reiter fuhren gönnerhaft verhalten, bastelten bei den Tankstops auch immer nur verstohlen hinter vorgehaltener Hand. Und Mannis Max versah ihren Dienst geradezu aufreizend zuverlässig, sein gewaltiges Bordwerkzeug hatte er ausschließlich zu unserem Nutz und Frommen dabei. Ich hätt ihm für sein überlegenes Grinsen gern eine gescheuert, aber das Werkzeug und Material war so nützlich...
Spät abends kamen wir in Jesolo an, und überließen das Aufbauen unseres 6-Mann-Zeltes den zwei Boxerpiloten, die waren noch frisch, und hatten außerdem Übung. Als der "Zirkus Krone", wie wir unser Nachtquartier nannten, endlich stand und unsere Schlafsäcke enthielt, saugten wir in der Bar des Campingplatzes noch den obligatorischen Schlummertrunk ein und der Tag war gelaufen.
Die folgenden Tage waren geprägt von Lambrusco, Spaghetti, kleinen und größeren zweirädrigen Expeditionen und kleinen und größeren Schraubereien. Am Mittwoch stellte der Peter fest, daß der riesige Doppelportkopf der Konsul einen dritten Auspuff entwickelt hatte. Er mußte wohl sowas geahnt haben, denn er kramte eine Dose hitzebeständige Dichtungsmasse aus seinem Gepäck und schraubte still und methodisch der Konsul den Kopf ab. Man sah, daß er darin Übung hatte. Hitzebeständiges Dichtungspapier hatte er übrigens auch dabei. Während wir anderen unser für den Abend geplantes Fischgrillen vorbereiteten, schnitzte er eine (erste) Zylinderkopfdichtung.
Jonas bettelte einem italienischen Camper einen Leih-Grill ab, Manni und ich fuhren auf den Markt Fisch kaufen (ich hatte ein Wörterbuch und rudimentäre Sprachkenntnisse), Fritz mußte Brennmaterial organisieren, und Rudi besorgte Knoblauch, Salz, Pfeffer, Öl und Petersilie. Eh ich mich's versah, hatten sie mich als Koch ausgeguckt, und ich fand gerade noch rechtzeitig heraus, daß man frische Fische ausnimmt, bevor man sie auf den Grill legt. In überschießender Pflichterfüllung hatte Rudi sogar Rohmaterial für einen Kartoffelsalat herbeigezaubert. Alles war gut, der Fisch gelang prächtig, der Abend war klar und mild, die Promille hatten den korrekten Sollwert erreicht, und dann trat ich barfuß auf eins der glühenden Holzkohlestückchen, die Jonas beim Schüren der Grillglut fahrlässig herumgestreut hatte. Mein Anteil am Rotwein reichte gerade so zur notdürftigen Schmerzbetäubung.
Am Freitag machten wir einen Ausflug nach Triest, ich konnte wegen des dicken Verbandes um meine Brandwunde nur barfuß im unförmigen Regen-Überstiefel fahren, dem Peter schoß die Hälfte seiner neuen Dichtung davon, Rudi hatte wegen unzureichender Gasannahme die Düsennadeln höher gehängt, was die Reichweite seiner Tankfüllung halbierte, und ich verlor eine Zylinderfußmutter. Egal, drei sind ja noch dran. Dicht war der Zylinderfuß mit vieren auch nicht gewesen. Dem Fritz seine BMW hatte auf einmal einen sagenhaften Sound, und ein chromglänzender Fischschwanz rollerte dängeldängeldängel in den Straßengraben. Macht nix, der Peter hatte auch eine Rolle Bindedraht dabei. Nach dem Besuch des berühmten See-Aquariums und der diversen NATO-Kriegspötte gönnten wir uns in einem Straßencafé am Pier einen Espresso.
Die in der Straße verlegten Schienen des Hafenbähnlis waren mit gelben Linien markiert. Wer über den Strich hinaus parkte, wurde abgeschleppt. Aber gaaanz korrekt, davvero! Da kam auch schon der Zug mit diversen Güterwagen und konnte nicht vorbei, wir sechs starke Lümmel boten an, den hinderlichen Lancia vom Gleis zu heben, aber der Lokomotiven-Lukas winkte grinsend ab. Er erklärte uns mit vielen Gesten und wenigen Worten, daß das Arschloch ruhig den Abschleppdienst bezahlen sollte, e il ritardo di treno, e la fina per parcheggio falso, etc. etc. Der kleine Menschenauflauf, der herumstand, war sich einig in Schadenfreude. Alle wussten: Wenn der Typ auch noch für zusätzlich anfallende Liegegebühren des zu beladenden Schiffes zur Kasse gebeten wurde, dann kam das richtich teuer.
Ja, und den Peter schleppten wir zurück nach Jesolo. Seit alters her ist es Sitte, den gefallenen Krieger auf seinem Schild heimzubringen. So will es die Tradition... Einen Tag hatte er Zeit, noch mal eine Dichtung zu schnippeln. Ich nahm die Gelegenheit wahr, auch bei mir noch nach dem Rechten zu sehen, und fand ein paar Kleinigkeiten... Der Fliehkraftversteller der Zündung hatte geklemmt, und Manni hatte rein zufällig noch eine passende Mutter für meinen Zylinderfuß dabei.
Am Sonntag mußten wir wieder Richtung daheim. Wir fuhren über Cortina, das ist die schönere Strecke. Auf den Geraden waren Jonas und Rudi mit ihren Boxern souverän vorn, aber sobald es etwas kurvig wurde, trumpfte das Schwingenfahrwerk der R27 auf. War dann noch die Straße holprig, konnte ich mit den beiden 500ern bequem mithalten und war sogar ein bißchen schneller. In einigen besonders engen Winkeln schrappte gelegentlich sogar der breite Kippständer. Der Fritze hätte mir zwar gern wieder gezeigt, wo der Hammer hängt, aber Peters Bindedraht war alle, und da mußte er vorsichtig sein. Leider erwischte uns 30 km vor dem heimischen Stall ein deftiges Gewitter, und wir kamen naß und entnervt zu Hause an.
Von unseren diversen Malessen haben wir allerdings niemandem was erzählt. Und es war ja auch ein herrlicher Ausflug gewesen.
Der Manni. Ein widerlicher Bursche. Bei dem herrschte nicht Ordnung, bei dem war die Ordnung ein Tyrann. Sein Zimmer im elterlichen Reihenhäuschen sah unbewohnt aus. Sein Werkzeug war an der Kellerwand auf einer Lochplatte säuberlich und ergonomisch sinnvoll aufgehängt, und die Hängeplätze waren mit farbigen Silhouetten markiert. Seine Max hatte er zum Originalzustand restauriert (die Verbesserungen des Vorbesitzers rückgängig gemacht), und die Mädels standen schon zu der Zeit bei ihm Schlange, als er noch Schulsprecher war. Aber wenn man am Wochenende schnell mal eine Zündkerze oder ein Hartmetall-Sägeblatt brauchte... Wie gesagt, widerlich.
Während seines Maschinenbau-Studiums wurde er noch schlimmer, irgendwie zog er immer einträgliche Ferienjobs an Land, und noch während seiner Diplomarbeit wohnte er in einer wohlfeilen Atelier-Wohnung in Schwabing (die er nach eigener Aussage nur bekommen hatte, weil er dem Vermieter beeindruckende Kontoauszüge zeigen konnte), fuhr einen 2500er BMW und hatte, was das Schlimmste war, eine R69S erwerben können. Nicht "irgendeine", wohlgemerkt, sondern eine, deren Vorbesitzer noch widerlicher war als er selber, und der mit unermüdlicher Geduld alles hohlgebohrt hatte, was man an dem Teil hohlbohren konnte, alle verchromten Teile durch feine Edelstahlduplikate ersetzt, und alle Innereien sorgsam in den theoretischen, vom Konstrukteur geträumten Sollzustand versetzt hatte. Er hatte sich auch von dem Edelmetall erst getrennt, nachdem er den Manni auf Herz, Nieren und Ordnungssinn überprüft hatte.
Ich besaß "nur" meinen Methusalix, der deutliche Gebrauchsspuren aufwies, und auch sonst außer dem weiß-blauen Logo nicht sonderlich edel war. Das Vibrieren konnte ich ihm bis zum Schluß nie ganz abgewöhnen, trotz der Koni-Federbeine und härterer Gabelfedern blieb er immer etwas spröde zu fahren, und einige seiner Gebrechen fand ich erst nach über 20 Jahren heraus (inklusive einer exquisiten Gemeinheit, die mir immer wieder die linke Schwimmerkammer mit Wasser vollaufen ließ).
Im Frühjahr 1974 (genau weiß ich's nicht mehr) kamen wir irgendwie dazu, mal eine kleine Tour zusammen zu unternehmen. Ich wollte nach Köln, er nach Marburg, beide wollten wir Verwandte besuchen. Wenn man von München aus startet, fährt man dazu logischerweise erst mal Richtung - Westen. Die Gegend um Tübingen (gemach, gemach, es wird schon noch richtig werden) zeichnet sich durch einen Reichtum an phantastischen Motorrad-Strecklein aus, womit er mich geködert hatte, und ich merkte erst zu spät, daß er diese Fahrt benutzte, um ein halbes Dutzend alter Feundinnen zu besuchen (d.h. mir vorzuführen), welche auch zum größten Teil und zu meinem Unbehagen hocherfreut an ihm herumfingerten, und offensichtlich betrübt waren, daß er nicht allein und nur auf Stippvisite gekommen war. Hab ich schon erwähnt, wie widerlich er war?
Als der Tag voranschritt, bogen wir dann doch allmählich nach Norden und Osten um, und klinkten uns auch für ein paar hundert km ins deutsche Autobahnnetz ein. Es war trotz des herrlichen Wetters nicht viel los, und wir rollten so meditativ dahin, was soll man auf der geraden Bahn sonst tun, da trug mir der Fahrtwind auf einmal immer wieder Fetzen eines höchst seriösen Geknatters zu. Weit vor mir sah ich ein kleines Mopped, aber das konnte es ja wohl nicht sein, oder - ? Beim Näherkommen verdichteten sich die Knatterfetzen zu einer beeindruckend sonoren Klangkulisse, die nun überhaupt nicht zum Erscheinungsbild der Fuhre paßte. Ein Rahmen aus etwa kleinfingerdicken Röhrchen, ungefedertes Hinterrad (?) mit 3.25er Reifen, ein riesiger Mülleimer von Zylinder lugte links zwischen den O-Beinen des Fahrers hervor, der mit speckiger Barbour-Jacke und abgeschabtem Cromwell-Helm plus Winzbrille angetan war. Auf der rechten Seite konnte man von hinten nur das gewaltige Kurbel- und Getriebehaus sehen, aber kein Stück von einem zweiten Zylinder, es war auch nur ein kleiner Schalldämpfer zu sehen, obwohl aus diesem ein unverkennbar zweizylindriges Trommelfeuer vom urigen Werken dieser Lawine von Motor kündeten. Der Typ mußte, obwohl er keinen Rückspiegel besaß, genau gemerkt haben, daß ich ein wepsiges Sightseeing hinter ihm durchwedelte, denn als ich ihn schließlich überholte, warf er mir - in Herrenreiter-Haltung aufrecht sitzend, mit Zigarette im Mund - grinsend einen Seitenblick zu, ohne den Kopf zu bewegen, und ließ uns großmütig davonziehen. Auf dem Tank hatte - klein aber fein - "Vincent" gestanden. Aha. Das war bei ungefähr 120 km/h gewesen.
Manni und ich, wir bestätigten einander mit Gesten, Nicken und erhobenen Daumen, daß keiner von uns beiden halluziniert hatte, dann rollten wir weiter, im erhabenen Bewußtsein, eine Begegnung der besonderen Art erlebt zu haben, und gaben ein bissel mehr Gas, so ummara 150 Sachen warn's dann wohl. Viel Zeit für eine Fortsetzung des meditativ-kontemplativen Dahinrollens blieb uns allerdings nicht, denn etwa 5 Minuten später prasselte die Vincent meteorschnell an uns vorbei, auf den Platten der Betonbahn bockend wie ein Rodeo-Stier, der Reiter saß immer noch unverkrampft drauf, Zigarette im Mund, nur seine Teerjacke flatterte ein bißchen. Ich wußte gar nicht, daß die das kann. Und weg war er.
Später, wieder auf der Landstraße, tauschten wir mal die Räder. Endlich durfte ich meinen langgeträumten Traum reiten. Anders als Methusalix wollte das Geschoß drehen, das merkte ich sehr schnell, und anders als bei Methusalix wurde der Ritt immer seidenweicher, je schneller es ging. Es waren so ungefähr 30 km schöne, langgezogene Bundesstraßen-Kurven, die Ess glitt darüber hinweg wie auf Schienen, und den Manni verlor ich eine Zeit lang aus dem Rückspiegel. Dann kam Marburg, und ich mußte wieder zurücktauschen. Der Manni sagte bloß: "Du mußt Deine mal wieder einstellen, die läuft ziemlich rauh." Danke, da wär ich von selber nicht draufgekommen. Wenn er mich nicht gerade auf dem schönsten Motorrad der Welt hätte fahren lassen, hätte ich ihn vielleicht noch widerlicher gefunden. Aber jetzt hatte er wieder was gut bei mir.
Zitat von Falcone... und so eine Vincent-Story auch.
Scheint mir auch so. Sag mal, kann das sein, daß da seit Olims Zeiten immer derselbe Vincent-Kaptein den Reitern geringerer Marken erscheint, so wie der fliegende Holländer Vandervecken auf den sieben Meeren? Und der fliegende Vincent ist verdammt, so lange ohne Pinkelpause auf den Straßen dieser Welt BMW- und Hondafahrer zu demütigen, bis ihm dereinst einmal einer den Auspuff zeigen kann
Zitat von decetUnd der fliegende Vincent ist verdammt, so lange ohne Pinkelpause auf den Straßen dieser Welt BMW- und Hondafahrer zu demütigen, bis ihm dereinst einmal einer den Auspuff zeigen kann
Ich hab den gestern auf der B 308 versägt. Jetzt is Ruhe ...