"Die Literatur weist sogar darauf hin, dass ein „zu hoher Negativfederweganteil bewirkt, dass die Maschine zu früh in den progressiven, d.h. harten Bereich der Federung gelangt“ (Mini Koch, Fahrwerkstechnik). Über diese Aussage grüble ich gerade noch ein wenig."
Diese Aussage bezieht sich aber doch wohl auf eine Hinterradfederung mit Hebelanlenkung (Zentralfederbein) .... und gilt nicht für konventionelle Stereo-Beine.
Danke, Speedy. Ich war inzwischen auch zu dem Schluss gekommen, dass Koch das ausschlißlich auf die Umlenkung bezieht, da die Zentralfederbeine mit Umlenkung keine Progression in der Feder haben, sonder diese durch die Umlenkung erreicht wird. Die Aussage dürfte also demnach für Stereo-Federbeine tatsächlich nicht zutreffen.
@ Falcone, da du dich ja gerade so famos mit dem thema befasst: kannst du mir sagen was diese bezeichnung an meinen wilbers bedeutet - 46/46-25-35-220 - habe sie mir aufschwatzen lassen für 2 personen betrieb bin jetzt aber ausschließlich allein unterwegs kann man da mit anderen federn was machen ?
46 ist der Innendurchmesser der Feder, 25 und 35 sind die beiden Federraten (weicher Bereich und normal) und 220 ist die Länge der entspannten Feder. Für Solobetrieb kommen 46-20-30-220 oder 46-17-25-220 in Frage. Wie schwer bist du mit kompletten Motorradbekleidung? Für die Bekleidung setze mal 8 bis 10 Kilo an.
Allgemeines: Eins haben mir Gespräche mit Motorradbesitzern gezeigt: Kaum etwas wird so subjektiv eingeschätzt wie das Federungsverhalten eines Motorrades. Vieles macht die Gewohnheit aus, die Empfindungen von und Ansprüche an „hart“ oder „weich“ sind sehr unterschiedlich und direkte Vergleichsmöglichkeiten fehlen den meisten Fahrern. Die Fahrstile sind sehr unterschiedlich. Durch den Tausch der Federbeine oder auch nur der Feder wird eine deutliche Beeinflussung des Fahrverhaltens erwartet, als sie tatsächlich stattfindet. All das lässt eine objektive Beurteilung für den Einzelnen sehr schwer werden. In meinem Falle, in dem ich zugegeben etwas blauäugig, „einfach eben mal“ herausfinden wollte, welche Federbeine nun die besten für die W sind, bin ich daher ganz schnell an Grenzen gestoßen. Zum einen fehlen mir die Möglichkeiten, streng objektiv das Verhalten von Federn und Stoßdämpfern sowohl getrennt als auch im Zusammenspiel zu beurteilen. Hierzu müsste ich die Federraten der Federn der verschiedenen Hersteller messen können und ebenso die aufzuwendenden Kräfte für Druck- und Zugstufen. Letzteres habe ich zwar über eine elektronische Federwaage zu bestimmen versucht, das Ergebnis lässt aber lediglich eine grobe Einordnung zu. Zum anderen lässt die von mir ausgesuchte und anfangs beschriebene Teststrecke nicht absolut reproduzierbare Vergleiche zu, wenn sie auch schon die Unterschiede aufzuzeigen vermag. Aufgefallen ist mir dabei, dass man beim Fahren auf so einer „gelernten“ Teststrecke schnell jeden Hubbel, jede Bodenwelle und jedes Schlagloch kennt und merkt, wie die Federbeine darauf ansprechen, das Fahrgefühl auf einer etwas längeren Tour kann in seiner Gesamtheit aber dann doch von den vorher auf der Teststrecke gefundenen Eindrücken abweichen.
Grundsätzlich kann ich sagen, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Testfahrten und somit auch zwischen den verschiedenen Federbeinen, Federn und Einstellungen weitaus geringer ausfielen, als ich selbst das erwartet hatte. Alles bezogen auf die W. Wenn ich im Vergleich, was ich bewusst hin und wieder sozusagen zur Eigenkalibrierung getan habe, die KTM 990 SM gefahren habe, zeigte es sich jedes Mal, dass die Unterschiede zwischen W und KTM doch sehr bemerkenswert, ja geradezu frustrierend waren.
Insgesamt kam bei mir der Verdacht auf, dass die Stereo-Federbeine möglicherweise die Stiefkinder der derzeitigen Stoßdämpferentwicklung sind und dass eventuell auch aufgrund des geringen zur Verfügung stehenden Platzes innerhalb der Stoßdämpfergehäuse hier auch nur beschränkte Möglichkeiten vorhanden sind. Alle von mir gefahrenen Federbeine hatten so auch kein Piggyback, verfügten also nur über einen begrenzten Innenraum und hatten keine Möglichkeit zur umfangreicheren Einstellung von Zug- und Druckstufe. Gerne hätte ich auch noch mal Stero-Federbeine der Luxusklasse mit Zug-Und Druckstufeneinstellung verglichen, aber leider hatte ich solche nicht zur Verfügung.
Auch spielt bei den Fahrversuchen das Gesamtbild eine Rolle: Die Gabel hat halt auch Einwirkungen auf das Fahrverhalten und spielt mit den Federbeinen zusammen.
Grundsätzlich ist die Federrate eines jeden Federbeines an dem zulässigen Gesamtgewicht des Motorrades orientiert. Hierzu gibt der Hersteller klare Vorgaben in der ABE, an der sich die Federbeinhersteller auch halten, wenn sie wiederum für ihre Federbeine eine ABE erlangen wollen. Insofern gleichen sich die Federraten der Federbeine der Anbieter. Der Tausch gegen eine weichere Feder z.B. für alleinigen Solobetrieb erfordert streng genommen eine Einzelabnahme, bei der auch das Fahrzeuggesamtgewicht in den Papieren geändert werden müsste.
Eine Federbeinvergleich, in dem alle Stufen der Vorspannung der Feder mit allen Möglichkeiten der Stoßdämpfereinstellung kombiniert und dann unter den verschiedenen Herstellern verglichen werden, ist eigentlich unmöglich. Die möglichen Varianten würden astronomische Zahlen an Testfahrten ergeben. Ich bin daher so vorgegangen, dass ich jedes Federbein mit einer härteren (serienmäßigen) und einer weicheren Feder gefahren haben, so ich diese zur Verfügung hatte, und dann eine Dämpfereinstellung gesucht habe, die mir persönlich angenehm war, und die auf der Teststrecke oftmals eher in Richtung „weich“ ging. Mit dieser so gefundenen Einstellung habe ich dann noch mal eine längere Tour gemacht, auf der ich dann noch mal Vorspannung und Zugstufeneinstellung variiert habe. Die Vorspannung der Feder bei den Stufenlos einstellbaren Federbeinen habe ich jeweils so gewählt, dass der Negativ-Federweg etwa ein Drittel des Gesamtfederwegs betrug.
Für den abschließenden Vergleich fuhr ich dann also mit folgenden Federbeinen: Gefahren: - Öhlins S36DR1L mit Zugstufenverstellung 20 von 50 Klicksund Federrate 3 (mittel) - Öhlins S36DR1L mit Zugstufenverstellung 10 von 50 Klicksund Federrate 2 (weich) - IKON mit Zugstufenverstellung auf 4 (von 4) und weicher Feder, Vorspannung mittel - IKON mit Zugstufenverstellung auf 3 (von 4) und weicher Feder, Vorspannung gering - IKON mit Zugstufenverstellung auf 3 (von 4) und serienmäßiger Feder, Vorspannung gering - Original Stoßdämpfer W650, geringste Vorspannung - Wilbers Ecoline 530 TS Road (keine Zugstufeneinstellung möglich) Federrate mittel (17-25), - YSS Z362 mit Zugstufenverstellung 10 von 60 Klicks, Federrate weich (13-18)
Meine knapp zusammengefasste Einschätzung:
Öhlins Feder 3: Straff, nicht unangenehm, sehr stabile Straßenlage, auch bei hoher Geschwindigkeit, Ohlins Feder 2, straff, feineres Ansprechen als bei Feder 3, Straßenlage, auch bei hoher Geschwindigkeit, sehr stabil. Insgesamt sehr harmonisch. Ikon mit weicher Freder: weicher, minimales Nachfedern bei Bodenwellen, ausreichend stabil bei hoher Geschwindigkeit. Bei flotterer Fahrweise ist die Zugstufen 4 bei etwas Vorspannung spürbar besser geeignet. Ikon mit Serienfeder: Ansprechen etwas härter, im Solobetrieb war mit Zugstufe 2 oder 3 mit geringer Vorspannung Original: weich, angenehmes Ansprechen, schon bei leichten Bodenwellen nachfedern, Instabil bei hoher Geschwindigkeit (rühren) Wilbers: Straff, feines Ansprechen aber nicht weich, sehr stabile Straßenlage, auch bei hoher Geschwindigkeit YSS: Straff, ansprechen nicht so fein wie Wilbers, ansonsten auch sehr stabile Straßenlage, auch bei hoher Geschwindigkeit
Eine Beurteilung der originalen Federbeine: Bei ausgebauter Feder stelle ich fest, dass die Druckstufe sehr lasch ist, die Zugstufe dafür auffällig stark. Gemessen mit einer Federwaage ergibt sich ein benötigter Druck von 2,3 kg und ein Zug von 5,5 Kg. Diese Abstimmung lässt die Federbeine fein ansprechen und schnell weich einfedern. Allerdings wird die Zugstufe so stark gebremst, dass das Motorrad nicht schnell genug ausfedert. In schnellen, welligen Kurven sackt das Federbein in sich zusammen, die Fußraste setzt auf. Auf langen Bodenwellen schwingt die Federung nach. Dies Einstellung ermöglicht komfortables Fahren, kommt aber sehr schnell an die Grenzen, sobald die Fahrweise forciert wird. Das ganze Motorrad fängt bei hohem Tempo an zu gieren.
Zum Vergleich die Ikon: Auf Stufe 1 der Zugstufenverstellung beträgt der Druck 5,1kg und der Zug 2,3kg Auf Stufe 4 der Zugstufenverstellung beträgt der Druck 4,8k und der Zug 3,3kg
Auf Stufe 1 federn die Ikons daher straffer ein, der geringe Widerstand in der Zugstufe lässt die Feder schneller wieder in ihre Ausgangslage zurückkommen, das verhindert das Nachschwingen und auch das Absacken in schneller Wellenfolge schon mal besser als beim Originalfederbein. Die Feder kann schneller ausfedern Auf Stufe 4 nimmt der Druck zwar ein wenig ab, allerdings kann das auch in der Toleranz meiner simplen Messmethode liegen. Ich gehe mal davon aus, dass der Druck identisch ist. Der Zug nimmt hingegen zu, die Feder federt langsamer aus, aber nicht so langsam wie beim Originalfederbein.
Interessant ist, dass sich bei Veränderungen an der Zugstufeneinstellung bei den Öhlins auch die Druckstufe in gleichem Maße mit verändert. Für Druck- und Zug muss zudem nahezu die gleiche Kraft aufgewendet werden.
Mein Fazit, das bei aller Mühe, die ich mir gegeben habe, dennoch als subjektiv zu bezeichnen ist, ist folgendes: Die originalen Federbeine sind gar nicht übel, wenn man ruhig und beschaulich mit der W unterwegs ist. Kawa bot die W650 ja im Cruiser-Segmet an – und dafür stimmt die Abstimmung.
Die Ikon-Federbeine stellen eine durchaus spürbare Verbesserung dar. Wenn man nicht gerade unter 80 Kilo wiegt, ist sogar die serienmäßige Feder in Kombination mit den Einstellmöglichkeiten aus Vorspannung und Zugstufe ausreichend. Vom Komfort her kommen die Ikon gleich hinter den Original-Federbeinen, bieten aber deutlich mehr Reserven für schnellere Fahrt. Bei weicher Feder, wenig vorgespannt und mit geringer Zugstufe kommen sie an ihre Grenzen.
Eine, wenn auch nicht gerade markante, Stufe besser sind die anderen drei Kandidaten. Nicht aus der Ruhe bringen lässt sich die W mit YSS, Wilbers und Öhlins. Alle drei liegen sehr dicht beieinander. Das Ansprechverhalten zwischen YSS und Wilbers fällt leicht zugunsten der Wilbers aus. Öhlins und Wilbers nehmen sich in diesem Punkt nichts. Insgesamt machten die Öhlins auf längerer Tour den harmonischsten Eindruck. Die Unterschiede zwischen allen dreien sind aber eher als marginal zu bezeichnen.
Besonders bemerkenswert fand ich zudem, dass der Unterschied zwischen Ikon und den drei Federbeinen mit ihrer moderneren Gasdruck-Technik geringer als erwartet war.
Preis/Leistungssieger sind daher für mich die IKON. Sie bügeln die Schwächen der Originalfederbeine aus und haben genügend Reserven für die normale flotte Landstraßenfahrt.
Technikverliebte und Rennstreckenbenutzer greifen dann zu den teureren Produkten. Hier würde ich dann die Öhlins nehmen, wennschon-dennschon. Aber der aufgerufene Preis lässt mich dann doch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück kommen.
Ach ja, nicht vergessen: Jeder empfindet anders und nichts ist in Stein gemeißelt.
Zitat Bei ausgebauter Feder stelle ich fest, dass die Druckstufe sehr lasch ist, die Zugstufe dafür auffällig stark. Gemessen mit einer Federwaage ergibt sich ein benötigter Druck von 2,3 kg und ein Zug von 5,5 Kg.
Moin Falcone ... gut daß du das mal so exakt gemessen hast ... ich hatte mich seinerzeit diesbezüglich schonmal mit Jörg "in der Wolle", der da meinte die W-Original-Federbeine wären unterdämpft ... wohingegen ich immer schon den Eindruck von Überdämpfung hatte. Nach deinen ermittelten Daten sollten wir nun also beide Recht behalten ... naja nicht ganz, denn diese Thematik:
Zitat In schnellen, welligen Kurven sackt das Federbein(überdämpft) in sich zusammen, die Fußraste setzt auf.
... hatte ich damals auch schon ins Spiel gebracht ...
Auf jeden Fall ein großes Kompliment für die unterhaltsam-informative Morgenlektüre vor'm (W-)Start in den Tag ...
Die Mühen eines wochen- / ja fast monate- langen Stossdämpfertests auf Dich zu nehmen... Allerhöchsten Respekt!
Und sicher für alle, die selbstkritisch, sozusagen "objektiv??", ihre eigenen Anforderungen hinterfragen wollen, sehr aufschlussreich!
z.B. bezüglich der Frage: "Reiten" wie in den 70ern oder "Fahren / Cruisen", wie es sich für 2013 gehört!! (Ich denke, BEIDES ist vertretbar... und möglich... und manchmal so schön nostalgisch...)
DANKE!!
Albert (der sowohl Original, IKON wie YSS und Wilbers "reitet"... ...und rein empirisch Deine Erfahrungen teilt...
Noch mal nachgehakt: Das Preis/Leistungsverhältnis spricht für die IKONs (die jetzt als 7610-1603 offenbar auch für die W800 zugelassen sind), wenn man keine sportlichen Ambitionen hat. Kann man die mit der originalen Feder verwenden, oder nimmt man dann gleich ein komplettes Federbein?
Dieter
Alkoholfreies Bier... schmeckt richtig, ist aber falsch.