Auch auf die Gefahr hin, mich hier unbeliebt zu machen, möchte ich in diesem Fred einen interessanten, aber weitgehend unbekannten Aspekt der Fahrphysik beim Motorrad beleuchten. Dabei geht es um die Abhängigkeit des Schräglagenwinkels von der gefahrenen Geschwindigkeit.
Die Berechnung dieses Winkels ist ein alter Hut, nachzulesen z. B. hier: http://www.motorradundmehr.de/technik/kurventechnik_1.html Auf Grund der dort abgeleiteten Formel hängt er nicht proportional von der Fahrgeschwindigkeit ab; es gilt also nicht "doppelte Geschwindigkeit = doppelte Schräglage" bei konstantem Kurvenradius (was natürlich auch niemand ernsthaft in Erwägung gezogen hat ), sondern ein sog. "nichtlinearer" Zusammenhang. Was mich dabei interessiert hat, war die Frage, in welchem Schräglagenbereich sich dieser Winkel beim Beschleunigen oder Bremsen am schnellsten ändert, d. h. am "sensibelsten" auf die Fahrgeschwindigkeit reagiert.
Selbstverständlich verzichte ich hier auf die zu Grunde liegenden Berechnungen, aber das Resultat hat mich sehr erstaunt (und das ist der Grund, warum ich der Versuchung, es hier zu posten, nicht widerstehen konnte): Die grösste Sensibilität besitzt der Schräglagenwinkel stets bei genau 30°, und zwar völlig unabhängig vom Kurvenradius.
Um zu klären, was unter "Sensibilität des Schräglagenwinkels" genau zu verstehen ist, zum Schluss noch ein Beispiel: Angenommen, die Kurve hat einen Radius von 100 m, so ist zum Erreichen von 30° Schräglage ziemlich genau eine Geschwindigkeit von 85.7 km/h erforderlich. Fährt man 5 km/h schneller, so erhöht sich die Schräglage um knapp 3°. Also ist hier die Sensibilität ungefähr 3° pro 5 km/h.
Fährt man dieselbe Kurve dagegen mit 45 km/h, so erzielt man nur 9° Schräglage, welche sich dabei mit nur 2° bei der Beschleunigung um 5 km/h ändert. Dass sich die Sensibilität des Schräglagenwinkels bei niedrigeren Geschwindigkeiten verringert, erstaunt vermutlich niemanden. Doch jetzt kommt's: Bei höherer Geschwindigkeit (also mehr als 85.7 km/h bzw. 30° Schräglage) wird sie ebenfalls kleiner. Fährt man nämlich diese Kurve mit 110 km/h, so ist die Schräglage 43.6° und sie ändert sich dabei nur um 2.6° bei 5 km/h Beschleunigung.
Und wie schon geschrieben, völlig unabhängig vom Kurvenradius hängt der Schräglagenwinkel von der gefahrenen Geschwindigkeit am empfindlichsten bei genau 30° ab, und das ist schon eine Erwähnung wert - finde ich jedenfalls!
Gruss Stephan
Wen's interessiert: 30° Schräglage werden bei der Geschwindigkeit "8.57 mal Wurzel aus dem Kurvenradius (in m)" erreicht (in km/h)
Da hast du natürlich schon recht, aber muss denn alles immer einen direkten praktischen Nutzen haben? Mir erschliesst sich z. B. auch nicht unbedingt, was der Nutzen einer Diskussion über verschiedene Whiskysorten ist. Und trotzdem lese ich auch dort gerne mit! Ausserdem helfen mir solche theoretischen Überlegungen massgeblich dabei, ein besseres "Gefühl für's Motorrad" zu bekommen. Ich weiss jetzt immerhin, warum sich ein Motorrad bei 15° Schräglage anders anfühlt als bei 30° oder 45° (Letzteres natürlich wiederum nur theoretisch)!
Ja, da stimme ich dir schon zu. Ich beschäftige mich schon auch gerne mit der Theorie. Besonders gerne aber dann, wenn ich möglichst umgehend davon einen Nutzen habe .
Grüße falcone Ton-Up Boys Hessia - und Schwarzfahrer!
also, ich fahre ja nur mit Senkblei, Winkelmesser und Taschenrechner auf Tour. Übrigens, der Neigungswinkel ändert sich ereblich, wenn man das Senkblei von der Kurveninneren( der Meßseite )auf die Kurvenäußere verlagert, um die Hand für den Taschenrechner frei zu haben. Im Navi werden dann die optimalen Kurvenwinkel und Geschwindigkeiten eingespeichert und bei der nächsten Fahrt an der gleichen Kurve automatisch eingeblendet. Es gibt da jetzt einen Programmupdate, in dem man die aktuelle Bereifung (Männerreifen, Accos, Bt's) einspeichert. Diese wird dann direkt in die Berechnung mit einbezogen. Bis denne der Dackel
Bevor's schon gleich auf der ersten Seite abdriftet, möchte ich mich noch ein Stückchen weiter aus dem Fenster lehnen, um Falcone einen Ansatzpunkt für seinen praktischen Nutzen zu liefern: Ich kann mir vorstellen, dass die angesprochene Sensibilität des Neigungswinkels ein Mass für die Stabilität des Motorrads ist. Und wenn ich's jetzt richtig herum interpretiere, ist Letzteres umso grösser, je kleiner das Erste ist. Das würde also bedeuten, dass man sich bei ca. 30° Schräglage in einer brenzligen Situation ruhig noch weiter in die Kurve reinlehnen kann, weil dabei zumindest die Fahrstabilität wieder grösser wird (selbstverständlich nicht die Haftung).
Aber das wusstest du natürlich ohnehin schon längst, und etwas bemüht und konstruiert wirkt das Ganze schon, geb ich zu ...
ob ich in einer brenzligen Situation mehr schräglage, weniger schräglage brauche, bremse oder gas gebe entscheide ich genau dann wenn die situation da ist und zwar völlig unabhängi davon ob ich gerade 30° schäglage habe oder nicht (mal ganz davon ab das wohl niemand genau weiß welchen schräglagenwinkel er gerade hat)
sicher ist nur eins : wenn die Auspuffanlage schleift, sollte man nicht versuchen noch mehr schräglage rauszuholen
In solchen Fällen ist es dann eindeutig von Vorteil, keine W zu fahren. Bei meinem Boxer schleift auch bei 90° Schräglage keine Auspuffanlage (jedenfalls nicht in Rechtskurven)!
In Antwort auf:Bei meinem Boxer schleift auch bei 90° Schräglage keine Auspuffanlage (jedenfalls nicht in Rechtskurven
DAS war jetzt aber echt garstig, mein Lieber !
DEM kann ich aber entgegenhalten, dass selbst bei 90° Schräglage keiner unserer beiden Zylinder auch nur ansatzweise schleift !
Ganz im Gegensatz zu Deinen beiden Hängetitten-Teilen.
Paulle. __________________________________________________ Gut, dass wir darüber gesprochen haben !!! ................. __________________________________________________
Bei Interesse an Physik empfehle ich, mal einen Blick auf ein gebräuchliches Geo-Dreieck zu werfen. Dabei wird man wohl über den Schräglagenwinkel von 90° nochmals nachdenken ...
Übrigens: Normal-Mopedfahrer erreichen auch keine 30° Schräglage. Ab ca. 20° ist da Schluss mit lustig.
In Antwort auf:Übrigens: Normal-Mopedfahrer erreichen auch keine 30° Schräglage. Ab ca. 20° ist da Schluss mit lustig.
Na denn warte mal ab, was der GURU dazu sagen wird !
Paulle.
BTW. Darfst Dir auch bei Gelegenheit mal anderer Leuts Schleifnippel anschauen ... __________________________________________________ Gut, dass wir darüber gesprochen haben !!! ................. __________________________________________________
In Antwort auf: Normal-Mopedfahrer erreichen auch keine 30° Schräglage. Ab ca. 20° ist da Schluss mit lustig.
das ist insofern richtig, als das bei ca. 15° - 20° normalerweise beim ersten mal die Angst kommt (weil da ungefär die "natürliche" Grenze z.b. beim schnell um die Kurve laufen ist) und das was darüber hinaus geht, geübt werden muß. Wer die 30° auch nach Jahren des Motorradfahrens nicht hinbekommt, sollte sich meiner meinung nach professionelle Hilfe besorgen (Fahrtrainig, ersatzwiese Harzring am Montag nach dem Treffen bei den istrucktoren Achim und Jörg), oder das Motorradfahren aufgeben.
etwas über die 45° sind mit der W übrigens durchaus möglich :