Das Hotel (Ibis in Cremona) war 25 Kilometer vom Circuit San Martino del Lago entfernt, also hieß es sich sputen, um bis 8.30 Uhr zur Fahrerbesprechung pünktlich zu erscheinen. Das Schlusswort bekamen wir noch mit, aber die erzählen ohnehin jedes Mal das Gleiche. Das Wetter am Samstag Morgen war viel besser als vorhergesagt. Zwar bewölkt, aber weit entfernt von den Regenschauern, die ursprünglich für diesen Tag vorhergesagt waren. Im Nassen wäre ich nicht gefahren.
Es waren vier Gruppen (Anfänger, Hobbyfahrer, Sportler und Profis) vorgesehen, und ich hatte mich bei den Hobbypiloten eingetragen, was sich im Nachhinein als die richtige Wahl herausgestellt hat. Zwar war ich mit Slicks am Ende einer der Schnellsten der Gruppe und hätte locker auch bei den Sportlern mitfahren können, aber es hat was, ständig zu überholen, ohne selbst zum Opfer zu werden. Einzig die Rundenzeiten leiden etwas darunter, wenn man auf der Strecke aufgehalten wird. Aber es geht ja in erster Linie sowieso um den Spaß ...
Zuerst waren die Anfänger dran und ich dachte schon an Axel, als da welche mit Crossover-Maschinen in den Ring stiegen. Entsprechend waren auch die Rundenzeiten, die teilweise um mehr als eine Minute über den Bestzeiten lagen. Man fragte sich schon ein wenig, was um alles in der Welt die da machten. Dahin schleichen kann man auch in den Alpen oder sonst wo x-beliebig, dazu muss man nicht auf die Rennstrecke. Aber - man ist ja tolerant und außerdem geht’s mich nix an.
Die zweite Gruppe - und jetzt war ich an der Reihe - zog dann schon ganz anders an. Offenbar waren da Ortskundige mit vorgewärmten Slicks dabei, denn anfänglich hatte ich Mühe, das Tempo mitzugehen. Als ich gegen Ende des Durchgangs immer noch in jeder Kurve mit weggehenden Reifen zu kämpfen hatte, reifte der Entschluss, doch noch in den sauren (da teuren) Apfel zu beißen und Slicks aufzuziehen.
Dank der selbstlosen Unterstützung der (persönlichen) Crew waren die Räder im Handumdrehen ausgebaut und die Reifen gewechselt. Hab dabei auch Hand angelegt und war überrascht, wie einfach das geht. Der überirdische Grip war vermutlich auch ein wenig der soften K1-Gummimischung geschuldet, in welcher der Metzeler-Slick an diesem Tag nur vorrätig war. Und natürlich auch den Reifenwärmern, die aber bei solchen Reifen obligatorisch sind, weil sie kalt nicht so gefahren werden können wie sie müssten, um überhaupt auf Temperatur zu kommen. (Am Ende des Stints waren sie nicht nur warm, sondern zu heiß zum Anfassen.)
Sobald die Reifenwärmer erst mal ab sind, heißt es daher so schnell wie möglich auf die Strecke und von Anfang an am Quirl drehen. Genau das hab ich gemacht. In der ersten Kurve überhaupt gab die Maschine beim leichten Antippen des Lenkerstummels sofort nach und kippte nach innen, dass ich dachte, mich haut’s vom Sattel. Mit den Dönflops wäre ich in der Schräglage längst abgeflogen, nicht aber mit den Slicks. Die fühlten sich dort unten offenbar richtig wohl und vermittelten bereits in der zweiten Kurve (nach dem Schreck in der ersten) so viel Sicherheit und Vertrauen, dass ich tiefer ging als jemals zuvor mit irgendeinem Reifen auf irgendeinem Bike. Wahnsinn, das kann ja gar nicht sein; wenn das mal gut geht! Ohne das Knie rauszunehmen, komme ich dem Asphalt gefährlich nahe. Und kurz darauf schraddelt der ordnungsgemäß auf der Raste platzierte Stiefel über den Asphalt. Das kann ich nun gar nicht ab, dafür bin ich viel zu schreckhaft. Ich zucke zusammen, das Motorrad richtet sich auf und die Linie ist dahin. Also entweder die einstellbaren Rasten höher platzieren oder weniger schräg um die Kurve. Ich entscheide mich gezwungenermaßen für Letzteres und vergesse an der Box Ersteres.
Wie auch immer - jetzt bin ich mit dabei und kann mich von Runde zu Runde steigern, bis keiner mehr überholt. Am Ende stehen 1:42.90 auf der Uhr, was aber immer noch zehn Sekunden langsamer ist als die Schnellsten der schnellsten Gruppe - ich befinde mich hier ja bei den Hobbyfahrern ...
Den ersten Durchgang mit den neuen Reifen hab ich übrigens gefilmt, leider nicht meine schnellste Runde.
Geradeaus mit Überschuss kann jeder, den Letzten den du überholt hast war in den Kurven ebenbürtig. Ranfahren auf der Geraden, in den Kurven warten, und die RR wieder fliegenlassen, Kunststück.
Da es mich nun schon mal gepackt hat, stellt sich mir die Frage, wo die zehn Sekunden auf die Schnellsten bleiben. Liegt es an etwas Bestimmtem, das man erkennen, analysieren und "per Knopfdruck" eliminieren oder verbessern könnte? Wenn ich Aufnahmen mit solchen Leuten vergleiche, muss ich das leider verneinen - die fahren einfach überall und in jeder Situation entsprechend schneller. Egal, ob das nun enge Kurven, weite Kurven oder Geraden sind. Auf letzteren ist der Unterschied auf Grund der brachialen Beschleunigung der BMW noch am geringsten, aber auch dort ziehen sie davon. Allein schon deswegen, weil sie sich kurvenausgangs in die bessere Position bringen und dann mehr Gewicht nach vorn bringen, so dass die Karre nicht ständig hoch kommt. Dann braucht’s generell mehr Aggressivität, die mir erstens nicht liegt und die ich zweitens altersbedingt nicht mehr aufbringen kann.
Zwar hab ich die Slicks sehr gelobt, aber wenn ich mit Meistern vergleiche, die auf eben solchem Material unterwegs sind, muss ich feststellen, dass es noch schräger geht. Das probiere ich beim nächsten Mal unbedingt aus. (Das sage ich mir jedes Mal und hab dann doch die Traute wieder nicht.) Die Rasten müssen dafür auf jeden Fall noch ein Stückchen höher. Dann hock ich wie der Jockey auf dem Pferd, aber es hilft nichts - Bodenkontakt geht für mich einfach überhaupt nicht, Schleifschutz hin oder her, dafür bin ich zu schreckhaft.
Dann die Sache mit der Linienwahl! Ich hab das Problem ja teilweise mal theoretisch gelöst und bin drauf gekommen, dass Kreisbögen von allen Linien stets die schlechteste Wahl sind. Thomas Hinterreiter - der mit der Tagesbestzeit und hinter dem ich einen Durchgang lang her geritten bin - löst das Problem durch Hinterschneiden, wie es von den gängigen Motorradzeitschriften sogar für die Straße empfohlen wird. Die Begründungen, die dafür angegeben werden, sind meist abenteuerlich und treffen den Nagel nicht wirklich auf den Kopf. Der Grund, warum Hinterschneiden funktioniert, liegt im wesentlichen darin, dass aus einem langen Kreisbogen mit mittlerem Radius und relativ niedriger Geschwindigkeit eine elliptische Bahn gemacht wird, deren Scheitelpunkt zwar noch langsamer, dafür aber in relativ kurzer Zeit durchlaufen wird, um zuvor später bremsen und danach früher an Gas gehen zu können. Funktioniert umso besser, je mehr Leistung das Motorrad hat. Das erklärt aber nicht, warum symmetrische Kurvenbögen asymmetrisch durchfahren werden müssen, wie das beim Hinterschneiden ja der Fall ist.
Egal - Hinterschneiden funktioniert, egal, ob symmetrisch oder asymmetrisch. Alles funktioniert, Hauptsache es ist keine Kreisbahn, so wie die Bemalungen der Curbs vorgeben. Fährt man also längere Abschnitte direkt am Curb entlang, so hat man in den meisten Fällen etwas falsch gemacht. Aber die ideale Linie zu treffen ist nicht einfach, dazu braucht es viel Übung und starke Nerven beim Anbremsen.
Überhaupt das Anbremsen. Scheint die schwierigste Übung auf der Rennstrecke überhaupt zu sein. In Cremona sind reihenweise Fahrer beim Anbremsen von Kurven geradeaus ins Kiesbett gedonnert, aber keiner wegen zu viel Schräglage abgeflogen. Obwohl ich eher zu den vorsichtigen Fahrern gehöre (wie ich festgestellt habe), ist mir das auch schon passiert, dass ich einen kurzen Moment gedacht habe, "o weh, das passt nicht mehr, jetzt bist du zu schnell, kriegst die Kurve nicht mehr und fliegst ab!" Es hat dann zwar noch jedes Mal gepasst, aber das sind Momente, die sich einprägen.
Auch wenn es im Film ganz easy aussieht, sind Überholmanöver auf der langen Geraden mit heftig Puls und Nervenkitzel verbunden. Das hat was von, "Denn sie wissen nicht, was sie tun." Da man ohnehin nicht genau weiß, wo sich der ultimative Bremspunkt befindet (und man das auch gar nicht ausprobieren möchte), bremst man stets ein wenig zu früh. Bei einem Überholmanöver vergisst man die guten Vorsätze aber schnell mal, wenn der andere heftiger am Kabel zieht als erwartet. Aus diesem Grund überhole ich auf solch ultraschnellen Abschnitten nur dann, wenn ich nach den ersten Metern ab Kurvenausgang klar erkennen kann, dass der andere entweder nicht schneller will (man fährt ja kein Rennen) oder kann (600er können nicht).
Schließlich die Streckenkenntnis und die Übung. Motorradfahren ist wie ein Instrument spielen. Das geht auch nur wirklich, wenn man täglich mehrere Stunden übt. Damit liegen bestimmt noch weitere drei bis fünf Sekunden drin. Aber dann ist fertig und ich bin am persönlichen Ende der Fahnenstange angekommen.
Zitat von Falcone im Beitrag #21Hm, das überzeugt mich jetzt nicht. Viel zu wenig Landschaft, immer dieselben Kurven - das ist ja wie Fahren in der Wetterau.
Ja, aber Cremona ist für mich näher als die Wetterau.
Zitat von Hobby im Beitrag #24Teile die 10sec. durch die Anzahl der Kurven ! und das Ergebnis musste in jeder Kurve umsetzen... 😊
Nein, nein, nein ... so einfach ist das nicht. Die Zeit bleibt nicht nur in den Kurven liegen, sondern auch in den Abschnitten dazwischen. Wenn du meinst, in jeder Kurve die Voraussetzung dafür schaffen, gebe ich dir recht, aber in der Kurve selbst kannst du diese Zeit nicht gut machen.
ZitatBodenkontakt geht für mich einfach überhaupt nicht, Schleifschutz hin oder her, dafür bin ich zu schreckhaft.
Ist das nicht alles gewohnheit? Für mich ist das immer sehr beruhigend, wenn die Stiefelspitzen aufsetzen. Dann weiß ich, dass eine Grenze oder eine Vorstufe dazu erreicht ist. Bei der KTM weiß ich das z.B. nie, denn da schaffe ich das nicht. Bei der W, als anderes Extrem, weiß ich, dass ich jetzt noch etwas Luft habe, erst dreht sich dann noch die Raste nach hinten und dann schleift der Auspuff - dann sollte man es gut sein lassen. Der Auspuff ist teuer.
Zitat von Falcone im Beitrag #28Ist das nicht alles gewohnheit?
Normalerweise schon, aber nicht bei mir. Ich bin schreckhaft wie ne Mimose, da ist nichts zu machen. Ein winziger Bodenkontakt mir einem beliebigen Teil außer den Reifen und ich fall vor Schreck tot aus dem Sattel. Das ist über die Jahre nicht besser geworden, sondern nur schlimmer.
Zitat von voller im Beitrag #20Geradeaus mit Überschuss kann jeder, den Letzten den du überholt hast war in den Kurven ebenbürtig. Ranfahren auf der Geraden, in den Kurven warten, und die RR wieder fliegenlassen, Kunststück.
Na ja, ich hab 54° maximale Schräglage gemessen. (Bodenkontakt mit der Raste bei der RR ist nicht wie Bodenkontakt mit der Raste bei der W. )
Aber du hast Recht, die Beschleunigung der BMW ist noch beeindruckender.
Gruß Serpel
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