Erstaunlich, was ein kurzer Blick oder ein Geruch auslösen können.
Heute morgen auf meiner Hunderunde kam ich an einem Getreidefeld vorbei, auf dem der Bauer mit einer uralten Strohpresse hinter einem alten Deuz herumfuhr, bei der die fertigen, handlichen Ballen einfach hinten in Abständen auf den Boden fielen. So eine habe ich sicher dreißig Jahre nicht gesehen. Als er dann fast neben uns war, blieb der Traktor stehen und der knorrige alte Bauer rief zu uns herüber, ob ich einen Moment Zeit hätte. Als wir an der Presse ankamen hob er eine Rolle mit Binderkordel hoch und bat mich diese einzufädeln, da er wegen seinem Rheuma damit nicht so richtig zurecht käme.
Und dann passierte es. Der typische Geruch der Binderkordel stieg mir in die Nase und blitzschnell taten sich haufenweise Kindheitserinnerungen vor mir auf. Die Binderkordel war damals für uns Dorfjungen die Wunderwaffe schlechthin. In unbegrenzten Mengen verfügbar, banden wir damit die Jungens aus dem Nachbardorf an den Marterpfahl, reparierten von der Schaukel bis zum Fahrradgepäckträger alles damit und flochten daraus in tagelanger Arbeit dicke Seile, mit deren Hilfe man sich beim Bauern in der großen Erntescheune von einem Heuboden zum nächsten schwingen konnte. In den Sommerferien waren wir von Morgens bis zum dunkelwerden in den verwilderten Obstgärten und auf einem Aufgelassenen Bauernhof unterwegs und niemand vermisste uns. Wir haben haufenweise Unsinn gemacht, einen kleinen Waldbrand verursacht und ein gebrochener Arm bei einem Sturz aus dem 20m hohem Kirschbaum in unserem Garten galt als Auszeichnung.
Irgendwann tippte der Bauer mich dann an und holte mich in die Wirklichkeit zurück. In gewisser Weise tun mir die Kinder heutzutage Leid.
Weil ich jetzt neugierig war, fragte ich den Bauern, warum er denn mit der alten Ballenpresse hantiere. Ich weiß ja von früher wieviel Arbeit es ist, die Ballen von Hand aufzuladen und dann in die Scheune zu packen.
Da grinste der Bauer und erzählte mir, das sein Sohn, der jetzt den Hof führt, ihm die selbe Frage gestellt hätte, als er die Ballenpresse mit einem Freund repariert hätte.
Die Idee wäre ihm gekommen, als ihn desöfteren Pferdehalter angesprochen hätten, wo man denn noch kleine Strohballen herbekäme. Diese Leute seien bereit einen wesentlichen besseren Preis für die kleinen Ballen zu bezahlen, da sie mit den großen Rollballen überhaupt nicht zurecht kämen. Die würden das Stroh sogar direkt auf dem Acker abholen, so das er sehr wenig Arbeit mit der Sache hätte. Einen alten Claas Mähdrescher, der das Stroh einfach hinten auswirft, hätte er mit seinem alten Kumpel inzwischen auch für einen Appel und ein Ei aufgetan und repariert. Außerdem hätte er eine schöne Beschäftigung und er könne von alten Zeiten träumen. Sein einziges Problem wäre die alte Binderkordel zu bekommen, da heute nur noch schwarze Kunststoffkordel zu kriegen sei. Ich erzählte ihm von meinen Gedanken von vorhin und er bekam ein wenig feuchte Augen. Schnell wendete er sich wieder seiner Maschine zu und rief mir noch nach, das er mir morgen, falls ich wieder vorbeikommen würde, etwas Kordel mitbringen könne. Er hätte letztes Jahr noch letzte Reste bei einem niederländischen Händler aufgekauft.
Ich ging mit einem zufriedenen Grinsen nach hause.
Ich frage mich gerade, welcher Geruch es wohl sein wird, bei dem meine Kinder in 40 Jahren feuchte Augen kriegen... Wonach riecht ein Samsung Galaxy SXY??? Oder ne XBox? Gruß Bernd
Ach, Norbert, wie recht Du hast Die Kinder dürfen ja gar nix mehr machen, was auch nur einen Anflug von Risiko mitbringt (und Spaß macht), und sie dürfen nirgendwohin, wo's nur einen Hauch von gefährlich (aber richtig interessant) ist, und der Wald (wo es noch einen gibt) ist auch voller Gefahren, keine Heidelbeeren essen wegen Fuchsbandwurm, keine Tiere anfassen wegen Tollwut und dies nicht und das nicht...
Ich hab auch feuchte Augen gekriegt, als ich Deine Rückblende gelesen hatte.
------------------------------------------------- "Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten - wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten -, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit." George Orwell:1984
Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken! Erich Kästner
Früher war alles besser, vor allem die Vergangenheit. (Ich glaube, das stammt von Karl Valentin)
Norbert:Ich denke das auch oft, wenn ich mich an meine Kindheit zurückerinnere und wahrscheinlich werden es unsere Kinder auch mal denken, wenn sie in unserem Alter sind.
Auf jeden Fall ist es eine schöne Geschichte und sie regt zum denken an und denken ist immer gut.
Von Karl Valentin hab ich letztens im Radio noch ein tolles Zitat gehört, das auch ein bisschen zum Thema passt: „Kindererziehung ist quatsch, die machen einem eh' alles nach.“
An mir sind durch Deine Erzählung auch diverse Erinnerungen gerade vorbeigezogen. Wir waren eigentlich auch immer draußen und haben hauptsächlich irgendwelche Scheisse gebaut. Meine Mutter bekommt heute noch Zustände, wenn wir ihr erzählen wo wir uns überall rumgetrieben haben und was wir gemacht haben, von dem sie nichts wußte.
You made my day
-- grossmagguls Blog hco rewwe hcslök ,skcus wmb Wer das liest ist doof! Wer das nicht lesen kann, braucht eine Brille oder kennt [STRG+] nicht!
Kindheitserinnerungen sinds bei mir schon nicht mehr. Da war ich schon 16 / 17, als ich in den USA als billige Arbeitskraft Kühe melken durfte. Und bei der Ernte mit anpacken natürlich. An den Geruch der Kordeln, obwohl nur schwach und schwer zu beschreiben, erinnere ich mich noch gut. A Penny a bale gabs damals. Egal wo man mit anfasste. Beim Aufladen, abladen oder in der Scheune stapeln. Aber da wusste man abends, was man geschafft hatte.
edit meint, es müsse eigentlich Cent heißen. Aber seltsamerweise sagte man Penny. Ein paar Dollar kamen da schon zusammen. Beim damaligen Kurs von > 4 DM.
Flitzebogen, Steinschleuder, Häuschen und Bunger bauen, Staudämme am Bach, einfach die absolute Freiheit...Mit einer Bedingung: Wenn die Kirchenglocke 18:00h schlägt, bist du wieder zu Hause
PS: Bei uns hies das "Strohkordel" und wurde ebenfalls universell eingesetzt...
Grüße PeWe
"...versuche nicht zu ändern, was Du nicht ändern kannst und erfreue dich an dem, was Du hast."
Habe mir übrigens eben sagen lassen, das dieser typische, unverwechselbare Geruch von einer Chemikalie kommt, mit der die Kordel getränkt wurde, damit sie nicht so schnell fault. Die orange Farbe rührt wohl auch von diesem Zeug.
Der Unterschied zu den meisten Kindern heute ist einfach, da die "Natur" und "draußen" nur aus dem Computer kennen. Da schließe ich meine Kinder gar nicht aus.
Für meine kleine war es am Wochenende ein riesen Event(was für ein Scheiß Wort) das wir über dem Feuer gekocht haben und im Zelt im Garten übernachtet haben. Sie hat mir schon angedroht, das ich das mit ihren Freundinnen wiederholen muß.
Allerdings gibt es ja auch in meiner Generation genügend Stadtkinder, die meine Erfahrungen schon nicht mehr gemacht haben. Auch hier im Forum.
Wenn ich neue Leute kennen lerne, kann ich dir nach spätestens 10 Minuten sagen ob sie solche Stadtkinder sind.