ich möchte Euch eine Geschichte präsentieren, die wieder einmal zum nachdenken anregen soll.
Ich war mit unserer Yamaha TRX Nordlichter-Gruppe zu einer Ausfahrt nördlich von Hamburg unterwegs. Schönste Straßen, normales Tempo. Wir waren 8 Motorräder. Einer davon war das erste Mal mit. Die anderen Gruppenmitglieder vom Fahrkönnen her bekannt. Alle sind gut aufeinander eingeschworen. Klappt immer super. Keiner überholt in der Gruppe, und es wird nicht Hirnlos Gas gegeben.
Wir waren also so unterwegs. Der "Neue" wollte unbedingt erst einmal hinten fahren, um zu schauen wie wir so unterwegs sind. Mache ich sonst eigentlich nicht so, aber nun gut. In normalem Landstraßen Tempo sind wir also durch die Lande gekurvt. Nach den Kurven war der "Neue" bei ganz normalem Tempo plötzlich immer 200 Meter hinter der Gruppe. Auf der Geraden hat er dann immer wieder aufgeschlossen. Für mich war dies schon ein kleines Zeichen von Unsicherheit, aber das ist ja kein Problem. Da stellt sich eine gute Gruppe drauf ein. Aber dann sollte der jenige lieber an zweiter oder dritter Stelle fahren. Wir machten dann einen Halt. Als wir wieder losfuhren, gliederte sich die Gruppe neu, und der "Neue" war dann ganz automatisch an der fünften Stelle. Alles lief glatt, und wir fuhren ca. 200 km ohne Probleme.
Wir befuhren eine kleine Kreisstraße durch Weidegebiet. Keine Bäume, alles super einzusehen. Die Straße machte teilweise 90° Kurven. Tempo ca. 80 km/h. Wir fuhren in der Gruppe versetzt.
Ich fuhr als letzter und hatte folgende Szene dann vor Augen. In einer Linkskurve gab es in der Mitte der Gruppe plötzlich eine große Staubwolke, Der "Neue" war rechts auf den Grünstreifen geraten, sein Motorrad flog ca. 2 Meter hoch durch die Luft, von der rechten Seite nach links in einen Graben. Der nächste hinter ihm linksseitig dahinter fahrende, konnte eine sehr gute Bremsung einleiten und kam ohne ausweichen zum stehen. Die Zweite dahinter fahrende ist selber in den Grünstrefen geraten, in eine Grabenwand eingeschlagen. Das Motorrad stand abruppt, sie machte einen Überschlag über den Lenker (die Hände immer noch am Lenker), flog durch die Wucht ca. 2,5 Meter hoch durch die Luft und ist dann flach auf dem Rücken auf der Straße, wie ein nasser Lappen aufgeschlagen, und bewegte sich nicht mehr.
Nachdem ich die ersten Anzeichen des Unfalls des "Neuen" wahrgenommen habe, legte ich eine Vollbremsung hin. Für mich gab es dabei keinerlei Probleme. Ich stellte mein Motorrad mitten auf die Straße, um die Straße abzusperren.
Ab der Sekunde war ich nicht mehr der normale Motorrradkumpel, sondern ich war als Rettungsassistent gefragt. Erstaunlich, wie mechanisch ich handeln konnte. Das eintrainierte Einsatzschema lief einfach in mir ab.
Normalerweise sieht man keinen Unfall live. Sondern der Pieper geht, man fährt hin, steigt aus dem Rettungswagen und fängt an zu arbeiten. Nach der Einsatzmeldung macht man sich schon mal seine Gedanken, wie es am Unfallort aussehen könnte und kann sich drauf vorbereiten.
Hier hatte ich nun den Unfall live miterlebt. Selber auf dem Motorrad perfekt gehandelt und alles locker im Griff gehabt. Das Ding abgestellt und dann liegen da plötzlich zwei Kumpels auf der Straße. Das ist schon wirklich etwas anderes...
Also zu dem von mir aus ersten Unfallopfer (die Zweitgestürzte) hin und gesichtet. Sie rührte sich die ganze Zeit nicht, Augen auf und ansprechbar. Erste Info an sie, genauso liegen bleiben und sich nicht bewegen. Der "Neue" war bis in den 1,80 m tiefen Graben geflogen und rührte sich im Wasser liegend ebenfalls nicht. Der Kopf war über Wasser, einer aus der Gruppe war schon bei ihm. Er berappelte sich, konnte sich aber im ersten Moment nicht bewegen. Zu dem Mädel auf der Straße hatte ich schon einen aus der Gruppe hinbeordert.
Alles waren extrem aufgeregt und riefen alles durcheinander. Komplette Chaos. Ich sorgte mit wirklich lauter Sprache erst einmal für Ruhe. Und dann kamen Kommandos meinerseits, was zu tun sei. Nur so funktioniert das dann leider in solchen Situationen. Die ersten drei aus unserer Gruppe kamen zurück gefahren, da sie bis dahin von dem Unfall noch gar nichts mitbekommen hatten. Die waren erst einmal weiter gefahren.
Das beknackteste an der Situation war, das ich überhaupt nicht wußte, wo wir gerade waren. Ewig keine Schilder, und ein Geläuf was ich nicht kannte. Der Einzige der sich dort auskannte, war der Gruppen-Anführer. Der war ja erst einmal weg.
Zum großen Glück kam ein Landwirt angelaufen. Der hatte seinen Hof ca. 400 Meter weg, und hatte im Garten stehend den Unfall mitbekommen.
Nachdem ich die Situation gesichtet hatte, war der bei mir eingetroffen. Ich wählte mit meinem Handy 112 und gab es dem Landwirt. Er sollte die genaue Adresse nennen, zwei verletzte Personen, eine davon Ausschluß auf Wirbelsäulentrauma zwei Rettungswagen wurden benötigt. Rettungsassistent als Ersthelfer vor Ort. Da wußte die Leitstelle schon mal, das da keine Fehleinschätzung vorliegt, und wirklich zwei Fahrzeuge geschickt werden. Unser Landwirt war sehr ruhig beim Telefonat und machte das super. Der im Graben liegende Kollege hatte sich berappelt und konnte sich wieder bewegen. Er machte einen guten Eindruck und ich ließ einen meiner Kumpels bei ihm. Mehr Gedanken machte ich mir um unser Madel, was da auf die Straße geknallt war. Sie hatte sich nicht ein bissl bewegt. Voll ansprechbar. Was tat weh? Das rechte Handgelenk und hinten im Brustbereich, so ein tauber Druck. Sie konnte die Fußspitzen bewegen, Gefühl war auch vorhanden. Dann habe ich mit einem meiner Kumpels der in der Freiwilligen Feuerwehr ist, den rechten Handschuch ausgezogen. S-Bruch des Handgelenkes. Dann haben wir ihr den Helm abgenommen. Und von da an habe ich sie nicht mehr losgelassen. Ihr Kopf lag in meinen Händen auf leichtem Zug. Mein Einteiler Lederkombi schnürte mir die Beine ab. Aber das war in dem Moment alles egal.
Der Rettungswagen war nach ca. 12 Minuten da. Es kam mir vor wie 50 Min. Ein netter 25 Jähriger stieg mit einer 1,54 m großen Kollegin aus. Ich fragte ihn, ob er Rettungsassistent sei. Das bejahte er. Ich machte ihm klar, das ich ebenfalls Rettungsassistent sei. Damit waren die Fronten geklärt. Da ich der erste vor Ort war, hatte ich in dem Moment die Einsatzleitung. Ich schlug ihm freundlich vor, das wir hier jetzt bitte das komplette Programm fahren. Als erstes Stifneck (Halskrause) und dann per Schaufeltrage auf die Vakuummatratze. Er schaute mich groß an und meinte, "Stifneck können wir ja gleich im Auto anlegen". Worauf ich sagte, "nein mein Lieber, das machen wir mit Sicherheit nicht. Du holst jetzt das Ding, und zwar genau jetzt". Er stand auf und brabbelte in seinen nicht vorhandenen Bart, "eigentlich bin ich ja hier der Rettungsassistent" und ging dann aber los. Er kam wieder, wir legten gemeinsam die Halskrause perfekt an. Danach haben wir sie mit der Schaufeltrage aufgenommen und in die Vakuum-Matratze gelegt. Als das fertig war, übergab ich ihm den Einsatz und ließ ihn in Ruhe weiterarbeiten.
Meine Kumpels waren alle recht verstört und ich mußte sie wirklich aufbauen. Unser "Neuer" war inzwischen in einen zweiten RTW gestiegen und ist zur Kontrolle mitgefahren. Die Unfallkisten wurden zu dem Landwirt geschoben und konnten da erst einmal stehenbleiben.
Die RTWs fuhren los. Polizei war inzwischen eingetroffen und nahm den Unfall auf.
Als das alles gegessen war, sind wir wieder losgefahren. Eher geeiert sind wir. Die Jungs kriegten sich nicht wirklich ein. Man merkte bei jedem Meter den wir fuhren, das sie nicht bei der Sache waren, sondern beim fahren grübelten. Ich war wirklich froh, als wir die letzten 50 km hinter uns hatten und alle heile abstiegen.
Wir benachrichtigten von dort erst die Angehörigen unserer Gestürzten. Die mußten sowieso erst einmal untersucht werden. Was sicher eine weitere Stunde dauert, bis da etwas bei rauskommt. Da muß man nicht schon vom Unfallort aus die Welle machen und die Leute dort hinkommen lassen. Oder das die im Krankenhaus schon das Telefon heißglühen lassen, und noch niemand ein Ergebnis hat.
Unser "Neuer" hatte nur Prellungen abbekommen und ist abends noch wieder zu Hause gewesen. Unser Madel ist nicht so gut davon gekommen. Handgelenkfraktur war klar. Und dann erkannten sie auf dem Röntgenbild einen angebrochen Hals/Brustwirbel. Wurde am gleichen Abend noch operiert. Wurde extra ein Neurologen-OP-Team in das Krankenhaus geholt. Perfekt! Bei der OP stellte sich heraus, das sie zwei Halswirbel komplett gebrochen hat. In der OP haben sie alles gemacht, was ging, aber sie muß noch mal von vorne operiert werden. Das wird nächste Woche sein, um da noch mehr Stabilität rein zu bekommen.
Der Arzt hat zu ihr gesagt, sie haben einen Engel gehabt. Und das war ihr Ersthelfer...
Leute, ich bin so froh, das ich daran festgehalten habe, die Halskrause direkt auf der Straße anzulegen. Der Rettungsassistent vom Wagen hat mich sicher gehaßt, aber durch meine große Klappe ist alles richtig gelaufen.
Fazit: Der "Neue" hat einen ganz normalen Fahrfehler begangen. Er ist auf den Grünstreifen gekommen und hat sich abgelegt. Kann jedem passieren. Immer wieder sieht man aber, das bei Gruppenfahrten recht dicht zusammen gefahren wird. Haltet wirklich Abstand. So das man immer gut bremsen kann. Zusätzlich immer einen Fluchtweg im Auge haben. Und vor allem, übt, übt, übt bitte bremsen. Gasgeben kann fast jeder. Aber auf der Bremse, da erkennt man Könner.
Also ich habe beim RH Lehrgang, beim Truppmann Lehrgang der FF und beim Erste Hilfe Kurs gelernt, dass man nach der Helm Entnahme den Kopf definitiv niemals nicht mehr loslassen darf. Sondern immer schön auf Zug halten, auch wenn eine stabile Seitenlage wegen Bewustlosigkeit eingeleitet werden muss. Es ist absolut unverantwortlich, bei solch einem Unfall den Stiffneck erst im RTW anlegen zu wollen. Das grenzt an fahrlässige Körperverletzung und der Jung soll froh sein, dass ihn niemand angezeigt hat.
Da hast Du vollkommen recht. Aber es wird immer wieder gerne später gemacht, gerade von "Experten". Mit dem Argument, weil man im Auto viel besser arbeiten kann.
Da ist dann kein Gras oder Erde im Weg, durch das man den Stifneck schieben muß, die Klamotten sind dann schon weggeschnitten usw. Alles schon selber erlebt...
Und anzeigen brauchte ihn keiner, da er dann ja nach meiner Ansage doch alles richtig gemacht hat. Blöd ist einfach, wenn man vor dem Patienten anfangen muß zu diskutieren.
Und im Polizeibericht wird stehen: Überhöhte Geschwindigkeit
Jedenfalls gut, dass du helfen konntest! Und dass du dich durchgesetzt hast!
Gruppendynamik ...
Ich erlebe es hier täglich, wie die Kradler in Gruppen durch die Gegend heizen, und die Letzten der Gruppe dann oft Ideallinie fahren, um dran zu bleiben. Ein Einheimischer hat mir gesagt, ich solle mich vor allem vor den Letzten in Acht nehmen. In Linkskurven (für mich als Entgegenkommender Rechtskurven) kommen die häufig auf meiner Spur entgegen.
Kam gerade von einer zauberhaften abendlichen Motorradwanderung zurück, als ich von diesem schauderhaften Unfall las. Hohe Querschnittslähmungen sind wohl mit das Schlimmste, was passieren kann.
Alle Achtung, dass Du den Helm abbekommen und sie gleichzeitig auf Zug gehalten hast! Großartige Leistung, die man gar nicht hoch genug bewerten kann.
Zitat ich möchte Euch eine Geschichte präsentieren, die wieder einmal zum nachdenken anregen soll.
so traurig es ist aber ab und an sollte man so etwas schon mal lesen. und diejenigen die es erwischt hat sollten froh sein das Du als Profi vor Ort warst !!!
. . Gruß Hobby
der mit drei W-Treffen im europäischen Ausland....
Zitat Ich erlebe es hier täglich, wie die Kradler in Gruppen durch die Gegend heizen,
Gruß Soulie
tja, bei den meisten motorradfahrern ist dieser seltsame herdentrieb scheins besonders ausgeprägt, warum auch immer.
ich bin eigentlich ganz froh, wenn ich am wochenende mein moppet mal als "fluchtgerät" benüzen kann. mal abstand nehmen zu können, einfach mal luft holen, raus aus dem ganzem alltagstrott, trubel, regeln, normen usw und sofort. können die meisten aber gar nicht verstehen. macht aber nix, ich kann ja auch nicht nachvollziehen warum man ständig zig leute am arsch kleben haben muss. so in einen herde rumzuckeln ist in meiner freizeit mal nichts für mich, und der persönlicher fahrspass bleibt im hordenbetrieb (meiner meinung nach) auch noch auf der strecke.
genauso und wirklich nicht anders ist es mit den "gruppen" fahrten.
super wie du das mit dem helmabnehnem hinbekommen hast. man muss es erstmal machen !!, so als nicht assistent.
ohne jetzt ins andere universum abzuschweifen hatte ich gestern ein ganz anderes erlebnis.
bekannter kunde holt mietmotorrad ab um mit seinen alten kumpels wieder mal so richtig motorrad zu fahren.es waren nur die letzetn drei. 18 uhr brachte er die versys 1000 zurück, mit total geknicktem äusseren. ein kumpel , der selbst bei mmir am dienstag seine vn 900 custom noch zum umbau und inspektion hier hatte ist um 8 uhr früh einfach so umgefallen und tot ! der andere ist daraufhin einfach nur losgefahren um den kopf frei zu kriegen, er selbst hat seine tochter mitgenommen und den tag einfach bei 130 km abzuschalten. er ist nur 54 jahre alt ! geworden . ich kanns noch nicht begreifen.
aber das leben geht weiter und wir denken lieber an ziros bericht und versuchen daraus das beste zu lernen.
Zitat ich bin eigentlich ganz froh, wenn ich am wochenende mein moppet mal als "fluchtgerät" benützen kann. mal abstand nehmen zu können, einfach mal luft holen, raus aus dem ganzem alltagstrott, trubel, regeln, normen usw und sofort.
Bruder im Geiste! Ich hatte meine Moppeds in Hamburg immer als Fluchtgeräte bezeichnet. Bei mir wars allerdings vor allem die Flucht aus der Großstadt raus.
Für einen guten, erfahrenen, routinierten Kradler mag das Kolonne-Fahren kein Problem sein. Wenns ihm Spaß macht. Aber wehe, einer ist überfordert dabei. Außer damals beim W-Treffen in Nordhessen mit SR-Tom, Skoki und Hobby hat mir das Gruppenfahren nie Spaß gemacht. Ich sehe den einzigen Sinn darin, dass man dabei lernen kann. Wie der Vordermann fährt. Und was dein Hintermann später sagt.