der klassische Maschinenbau hat früher ein sog. Schubstangenverhältnis von 1:5, i.e., halber Hub / Pleuellänge verwendet. Später ist man auf 1:4 gegangen. Wir haben im Studium noch die Näherungsformel für Kolbengeschwindigkeit, -beschleunigung gelernt, die bei 1:4 noch verwendet werden darf, ohne daß der Fehler so ganz dicke wird. Ford baute damals auch noch so. Renaults Pleuele waren schon kürzer. Mein R12 hatte 3,6.
Heute ist man viel kürzer. VW TDI hat unter 3 und fährt ganz gut damit. Beim Diesel sind die enormen Kolbenbeschleunigungen im oberen Totpunkt, die sich durch solche Schubstangenverhältnisse ergeben, nicht ganz so tragisch, weil der Motor in der Regel nicht mehr, als 4000/min dreht. Beim Benziner wird das dann langsam gemein.
Um Bauhöhe zu sparen, setzen die Hersteller aber immer mehr auf die kurzpleuligen Motoren. Ich geh mal stark davon aus, daß unsere W unter 4 liegt.
Übrigens am Rande noch: die englischen Jaguar haben noch richtig klassichen Maschinenbau. Die Pleuel sind Faktor 5 mal so lang, wie die Kurbelkröpfung. Unter anderem das erzeugt auch die enorme Laufruhe.
- - - -
Viel Spaß übrigens bei der zweiten Ableitung des Weg/Zeitgesetzes. Ich habe mir damals vom Mathe-Prof. helfen lassen. Er hat meine Riesenterme umgeformt in handlichere Dinger, die mein damaliger Programmtaschenrechner noch verdauen konnte. Als Physiker wirst Du das schätzungsweise alleine schaffen, gell?
In Antwort auf:Ja, wie!? Das wären dann bei einem Hub von 83 mm ja an die 166 mm - sind die Pleuel wirklich so lang?
Moin,
166 ist doch nicht viel?
Ich hab übrigens noch wie heute, die Abmessungen meiner seligen RD 250 im Kopf. Sie hatte 54mm Hub und 54mm Bohrung und eine Pleuellänge von 110 mm. Das ist also ein Längenverhältnis von etwa 4.
Übrigens Serpel, Du Rechengott. Wenn Du Deine Formeln fertig hast, hätte ich auch gerne was davon. Mein alter CASIO 502P tut es nämlich nicht mehr und da waren die Formeln mal drauf.
- - - -
Heute ist man ja weiter in der Technik der Berechnungen und weiter zurück im Geiste. Wer integriert heute noch? Niemand! Es gibt doch Excel. Nicht mehr denken, sondern in kleine Scheibchen schneiden und aufsummieren. Das ganze noch mit einem griffigen Namen versehen (finite Elemente) und schon haben wir uns wieder ums Denken gedrückt
Ich nehme mich da nicht aus. Ich habe für Excel einen Motorensimulator geschrieben, der die Kurbelwelle gradweise dreht und für jede Position die Kolbenstellung berechnet, aus den Differenzen dann die Geschwindigkeit bildet. Außerdem werden berechnet: der aktuelle Druck, die Temperatur während des Verdichtungsvorganges und nach bzw. während des Verbrennungsvorganges die Zusammensetzung des Gases (auf Basis Diesel) ebenfalls wieder die Temperaturen und der Druck, sodaß dann über die Integration die max. thermodynamische Leistung des Motors bei den gewünschten Steuerzeiten etc. herauskommt.
Sorry, "Integration" ist natürlich falsch. Es muß heißen "Aufsummierung".
Serpel, schick och mal eine PM an Ulf. Er hat doch wohl gerade einen offenen Motor rumstehen, wenn ich das richtig sehe. Vielleicht kann er mal die Pleuellänge messen.
Grüße Falcone
Nur wer es schafft, auf das Notwendige zu verzichten, kann sich das Besondere gönnen.
So, erste (und schwierigste) Hürde genommen. Worum gehts überhaupt?
Ich wollte mal wissen, welchen Beschleunigungen der Kolben bei seiner Auf und Ab-Bewegung ausgesetzt ist. Ich hab das insbesondere in Abhängigkeit vom sog. "Schubstangenverhältnis" SV diskutiert, das heisst also, wie sich das Verhältnis aus Pleuellänge zu Kurbelwellenkröpfung auf die Kräfte, die auf den Kolben einwirken, bemerkbar macht. Selbstverständlich in Abhängigkeit von der Drehzahl der Kurbelwelle, und so viel gleich vorne weg: Die Kolbenbeschleunigung ist proportional zum Quadrat der Drehzahl. D. h. sie ist beispielsweise bei 7500/min 7.5^2=56.25 (sic!) mal so gross wie bei 1000/min. Und das in jeder Phase der Oszillation!
Wie wirkt sich aber das SV aus? Sind die Pleuel recht kurz, so erwarten wir einen unrunderen Motorlauf als bei langen Pleueln, so viel war klar! Aber was ist das vertretbare Limit; sollte der Pleuel mindestens viermal so lang sein wie die Kurbelwellenkröpfung oder genügt dreimal so lang? Bringt ein "Jaguar-Pleuel" (Wännä berichtete) mit Faktor fünf merklichen Komfortgewinn? Und wie sieht es mit ultrakurzen Pleueln aus?
Die Entscheidungsgrundlage für diese Fragen ist natürlich der Beschleunigungswert des Kolbens in Abhängigkeit von der Zeit. Und genau diesen hab ich berechnet und dargestellt. Dabei entsprechen die blaue, rote, grüne, violette und orangene Kurve (in dieser Reihenfolge) den SV 1.5, 2, 3, 4, und 5. (1 wäre physikalisch zwar besonders interessant, ist aber unrealistisch, und deswegen hab ich mich nicht getraut, das auch noch mit aufzunehmen.) Damit die Werte des Diagramms besonders leicht auf jede beliebige Drehzahl übertragen werden können, hab ich als "Normdrehzahl" 1000/min gewählt. Ach ja, und die Kurbelwelle stammt natürlich von der W - mit 83 mm Hub!
(nach rechts Zeit in [s], nach oben Beschleunigung in [m/s^2] bei 1000/min)
Diese Kurven sind nicht nur sehr schön, sondern sie liefern für den erfahrenen Motorenbauer auch die benötigten Informationen. Ich wage mich mal an eine Interpretation:
1. Die grösste Beschleunigung (für realistisches SV) erfährt der Kolben stets im oberen Totpunkt (wie Wännä bereits sagte), und zwar völlig unabhängig vom SV. Im Plot sind das jeweils die tiefsten Punkte der Kurven. (Dort ist die Beschleunigung also negativ, da nach unten gerichtet.)
2. Für kleine SV wird die grösste positive Beschleunigung nicht etwa im unteren Totpunkt erreicht, sondern kurz davor und kurz danach mit gleicher Stärke. Die dadurch entstehenden "Oberschwingungen" sind vermutlich sehr unerwünscht, verschwinden aber ab etwa SV=3.8 (SV der W?!) ganz. Da diese beiden Beschleunigungspeaks für sehr kleine SV sogar noch höher liegen als der einzelne ab SV=3.8, scheidet SV=1.5 ganz klar aus. Auch SV=2 scheint mir aus diesem Grund unsinnig.
3. Ab etwa SV=3 kommen wir in den realistischen Bereich. Denn einerseits ist die "Delle" für SV=3 nur noch schwach ausgeprägt und andererseits sind im Vergleich zur (sich dramatisch auswirkenden) quadratischen Abhängigkeit von der Drehzahl die für SV = 3, 4 und 5 resultierenden Unterschiede eher gering. Vermutlich läuft der VW TDI (auch) aus diesem Grund anständig rund. Zwischen Jaguar-SV (5) und Standard-SV (4) sehe ich gar keinen erwähnenswerten Unterschied mehr.
4. Erstaunlich für den Laien (wie mich in dieser Beziehung) ist die absolute Grösse der maximalen Beschleunigungswerte. Für SV=4 etwa beträgt der Minimalwert -570 m/s^2 (OT) - ungefähr 58-fache Erdbeschleunigung - und der Maximalwert 340 m/s^2 (UT) - immer noch 35-fache Erdbeschleunigung. So, und jetzt kommts noch dick zum Schluss: diese Werte erhöhen sich bei Maximaldrehzahl (7500/min) wie gesagt auf das gut 56-fache, also auf -32000 m/s^2 und 19000 m/s^2. Das sind im OT etwa 3300 g und im UT etwa 2000 g. Beachtlich! (Jetzt ist auch klar, warum Wännä nicht mehr als 2000/min dreht. )
Bestimmt kann man noch jede Menge Zeugs rauslesen, aber ich bin jetzt erschöpft! Nur noch ganz zum Schluss die Formel für Wännä (edit: omega ist natürlich nicht die Drehzahl, sondern die Winkelgeschwindigkeit ):
Gruss Serpel
PS1. Und dass mir jetzt ja keiner mit der Frage nach dem Sinn des Lebens kommt PS2. PM an Ulf ist raus
Ich fürchte allerdings, wer sie sich überhaupt merkt, wird später aus der Erinnerung behaupten, im oberen Durchgang träten Minima und Maxima auf. Mein Vorschlag also, die y-Achse mit negativem Vorzeichen zu versehen. Für den Betrachter ist einfach oben oben und unten unten, wenn Du verstehst, was ich meine .
Der Jaguarpleuel ist vermutlich auch deshalb so lang, weil der Zylinderwinkel beim V12 sehr klein ist und die Bauhöhe vermutlich sogar erwünscht. Nach Sichtung Deines Zauberdiagrammes kommen mir auch Zweifel, ob dieses Baumaß nur dem Sanftlauf geschuldet ist.
Mein Programm hat seinerzeit auch das Schubstangenverhältnis 1 korrekt gerechnet. Ich war sehr erstaunt darüber, daß eine zyklische Funktion Unstetigkeiten aufweisen kann, bin aber auch nicht der Rechengott und schon gar nicht der Rechenteufel. Die Beschleunigung bei 90 ° KW-Winkel ging gegen Unendlich, der Rechner zeigte also Error und dann war für 180° die Kolbenbewegung Null. Fand ich riesig, hab aber mathematisch nicht mehr mitgeschnitten.
Daß Du über die errechneten g-Werte erschrocken bist, kann ich mir gut vorstellen. Wenn Du aber gerade mal dabei bist, solltes Du auch mal die Waschmaschine bemühen und einmal schleudern lassen. Tip aus dem Kopf: die Standardtrommel hat 54 cm Durchmesser, also den 10-fachen Hub meiner geliebten RD. Laß in Deinem Rechenbeispiel mal eine richtig klitschnasse Unterhose in die Runde drehen. Am besten wiegst Du sie im nassen Zustand mal aus (vorher ausziehen). Da kommen Werte raus, die Dir die Sprache verschlagen .
Last but noch least noch die Frage, wann und warum knallt beim Zweitakter der Kolbenring oder das Pleuellager?
Beim Schalten mit hoher Drehzahl, genau wenn die Verbrennung aussetzt und der Kolben von der Stange zurück geholt werden muß. Mir leider schon zweimal passiert
In Antwort auf:Last but noch least noch die Frage, wann und warum knallt beim Zweitakter der Kolbenring oder das Pleuellager? Beim Schalten mit hoher Drehzahl, genau wenn die Verbrennung aussetzt und der Kolben von der Stange zurück geholt werden muß. Mir leider schon zweimal passiert
Dann müssten sich ja bei wesentlich höher drehenden Viertakter bei jeder zweiten Umdrehung die Kolben zerlegen. Eine sehr gewagte Vermutung. Das liegt wohl eher an den Schwingungen, die die Kolbenringe in den Spülkanälen verhaken lassen.
Grüße Falcone
Nur wer es schafft, auf das Notwendige zu verzichten, kann sich das Besondere gönnen.
Viertakter haben keine fimschigen Winzpleuel und dann Rollenlager, sondern kernige Pleullager mit richtigen Schrauben.
Allerdings wenn man solche Bilder sieht, wo eine BSA oder Norton mal wieder den Fuß durch die Ölwanne gesteckt hat . . . Sollen wir wetten, daß der Bruch während des Gaswechsels passiert ist, also wenn der Viertakter gerade nicht arbeitet?!