Eben erst deinen Link gelesen. Du meinst also tatsächlich das Abkippen, wie es beim Michelin an der Guzzi geschah. Das werde ich allerdings nie vergessen.
Das ist aber nicht kippelig. Ab einer gewissen Schräglage (die recht hoch war), kippte dieser Reifen auf der Guzzi (bei anderen Motorrädern nicht) plötzlich ein Stück weiter in Schräglage, um dann wieder völlig ruhig zu liegen. Das ist aber keine Kippeligkeit, die ja einen dauernden Wechsel eines Zustandes, also einen instabilen Zustand, beinhaltet.
Ist zugegeben auf den ersten Blick nicht das gleiche! Möchte man aber das Abkippen verhindern (was du sicher zwischendurch auch mal gemacht hast ), entsteht im entscheidenden Moment ein kippeliges Gefühl im Lenker. Warum das so ist, werde ich in den kommenden Posts erläutern. Späßchenmachen natürlich weiterhin erlaubt!
Gruß Serpel
"DA SIND WIR LETZTES MAL AUCH GESESSEN MIT BLICK AUF DAS MURMELTIER!"
@Falcone Zwecks ansteuern einer Kurve: Ich erwähnte ja, dass es erheblich schneller ( und daher praxisgerecht ist) durch "gegenlenken" die Schräglage einzuleiten, wenn auch unterbewusst.
Zweifelsfrei ist es aber auch möglich Kurven freihändig also komplett ohne besagtes Gegenlenken zu fahren. Wenn nicht durch Gewichtsverlagerung, wie dann wird das erreicht? Ich bin ERNSTHAFT neugierig? Weiterhin kann man z.B. sehr gut Fahrrad freihändig fahren... oder sogar Einräder ganz ohne lenker in Schräglage fahren...
Einräder funktionieren ganz anders, sind also nicht vergleichbar. Und beim Fahrrad gibst du genau den gleichen Impuls durch einen entsprechenden, durch den gesamten Körper eingebrachten Ruck in den Lenker, nicht alleine durch die Gewichtsverlagerung.
Ich empfehle Bernt Spiegel: "Wir müssen uns als erstes von dem verbreiteten Vorurteil befreien, dass das Einleiten einer Kurve - also das Herbeiführen der Schräglage - durch Gewichtsverlagerung des Fahrers geschähe. Das fühlt sich zwar so an, ist aber nicht so. (Im Einzelnen siehe "Obere Hälfte des Motorrads, S. 57"). Die Richtungsänderung wird vielmehr herbeigeführt durch einen Lenkerausschlag entgegen der beabsichtigten Kurvenrichtung (paradoxer Lenkerausschlag)... Das macht jeder so. Nun sind aber die Lenkereinschläge derart klein, dass sie dem Fahrer im Normalfall nicht bewusst werden." (Spiegel, Bernt, Motorradtraining, S. 102, 2. Aufl. 2009).
Kurven, die vom Auto Lenkereinschläge von 45 Grad erfordern, benötigen beim Motorrad nur Lenkereinschläge zwischen 0,5 und 0,8 Grad. In engeren Autobahnkurven werden 0,2 Grad nicht überschritten. Das bedeutet, dass die Richtungsänderungen des Vorderrades praktisch unsichtbar bleiben, die Lenkerenden bewegen sich, je nach Lenkerbreiten, um kaum mehr als einen halben Millimeter.(Spiegel: Die obere Hälfte des Motorrads (2012, S. 55)
Spiegel beschreibt auch die Versuche, bei denen beim freihändigem Fahren ein Lenken nur durch Gewichtsverlagerung nicht funktioniert. Beim Fahrradfahren ist das nicht anders, die Gegenlenkimpulse geschehen eben auch nur unmerklich! Grüße Siggi
Zitat von Falcone im Beitrag #55[...] beim Fahrrad gibst du genau den gleichen Impuls durch einen entsprechenden, durch den gesamten Körper eingebrachten Ruck in den Lenker, nicht alleine durch die Gewichtsverlagerung.
Das ist nicht ganz richtig. Man gibt nicht genau den gleichen Impuls, sondern einen Impuls, der indirekt via Kreiselreaktionsmoment zum Einlenken des Vorderrads in die falsche - also die gleiche wie beim händischen Lenken - Richtung führt. Dieses Eindrehen des Lenkers in die - falsche - Richtung bewirkt wiederum ein Abklappen des Motorrads in die - richtige - Richtung und führt damit (wieder via Kreiselkraft) zum Eindrehen des Lenkers in die - diesmal richtige - Richtung. So weit, so gut.
Aber jetzt kommt’s: Dadurch, dass keine Hände am Lenker sind, die sich gegen das Eindrehen stemmen könnten, dreht der Lenker zu rasch ein und die Kurvenfahrt wird beendet (sie wird "aufgefangen"), ehe sie richtig begonnen hat. Deswegen führen Lenkmanöver beim Freihändigfahren durch Gewichtsverlagerung oftmals nicht gleich zum gewünschten Erfolg und müssen mehrere Male wiederholt werden, bis der Körper sehr schräg vom Sattel hängt und der automatische "Lenkeinschlagbegrenzungsmechanismus" endlich überwunden werden kann.
Ganz so einfach ist es mit dem freihändigen Lenken also schon nicht. (Tipp: Wer trotzdem freihändig fahren möchte, lege den Körper beim ersten Lenkimpuls nicht gleich ganz zur Seite, sondern behalte einen Rest auf Reserve, um den Lenker weiter eindrehen zu lassen, wenn dieser sich erst mal in Bewegung gesetzt hat.)
Gruß Serpel
"DA SIND WIR LETZTES MAL AUCH GESESSEN MIT BLICK AUF DAS MURMELTIER!"
Zitat von Serpel im Beitrag #13Aber woher weiß der Lenker, wann gut ist, wann der Lenkeinschlag dem gewünschten entspricht?
Mehr dazu im nächsten Beitrag.
So lange der Fahrer am kurveninneren Lenkerende drückt, geht das Motorrad tiefer und tiefer in Schräglage. Sobald er die Kraft zurücknimmt, kann sich der Lenker ungehindert weiter eindrehen und dadurch die Abwärtsbewegung auffangen. Das ist der Moment, wo stabile Schräglage erreicht ist und die Kurve mit konstantem Radius durchfahren wird. Bei gut ausbalanciertem Motorrad (Cruiser sind hier also ausgeschlossen!) mit guten Reifen und korrektem Luftdruck ist das jedenfalls so. Dann halten sich sämtliche resutierenden Kräfte die Waage. (Dieser Selbststabilisierungseffekt ist übrigens unabhängig von der Schräglage und der Grund für die intrinsische Stabilität eines Einspurfahrzeugs. Deswegen ist es auch Unsinn, davon zu sprechen, dass Motorradfahren eine Aneinanderreihung von Lenkkorrekturen sei, wie Bernt Spiegel das macht.)
Wenn nun aber der Reifen in Schräglage eine sehr schmale Auflagefläche hat - sei es, weil er an den Flanken im Querschnitt gesehen einen starken Krümmungsradius hat oder schlicht zu viel Luft im Reifen ist - fehlt ihm etwas Eindrehmoment, das nötig wäre, um die (durch die Lenkgeometrie oder andere Effekte) resultierenden ausdrehenden Kräfte auszugleichen. Somit ist bei ihm kurz vor Erreichen der gewünschten Schräglage bereits der Punkt erreicht, wo die Lenkkraft des Fahrers auf null zurückgegangen ist und zum weiteren Eindrehen des Lenkers eine Kraft am kurvenäußeren Lenkerende nötig wird. Eine solche Kraft wird aber normalerweise benötigt, um die Kurvenfahrt zu beenden und das Motorrad wieder aufzurichten. Und das würde sie auch in diesem Fall tun, wenn der Fahrer zu rasch und zu heftig am kurvenäußeren Lenkerende drückt.
Das Motorrad ist nun also in einem Zustand, wo leichtes, sanftes Drücken am Lenker außen die Schräglage weiter vergrößert, ein Hauch zu viel davon aber genau das Gegenteil bewirkt. Das ist der Moment, der vom Fahrer als Kippeln empfunden wird, weil der Übergang kaum exakt zu treffen ist und meistens eine kleine Nachkorrektur erforderlich ist. Das Motorrad "weiß" sozusagen einen Augenblick lang nicht, ob es weiter abklappen oder sich wieder aufrichten soll.
Gegenmaßnahmen sind somit ganz einfach zu treffen: Luft aus dem Reifen nehmen oder einfach warten, bis sich die Flanken so weit abgeflacht haben, dass das Eindrehmoment des Lenkers in Schräglage ausreicht für stabile und kräftefreie Kurvenfahrt.
Gruß Serpel
"DA SIND WIR LETZTES MAL AUCH GESESSEN MIT BLICK AUF DAS MURMELTIER!"
Hat Bernt Spiegel das wirklich so geschrieben oder bezog er sich da auf ganz langsame Fahrt, um zu verdeutlichen, was bei einem Einspurfahrzeug erst mal geschehen muss,, damit man nicht umfällt? Ich müsste das erst noch mal nachlesen. Aber warum sollte er sich da nicht auch mal irren, immerhin sind diese Bereiche des Buches schon vor deutlich über 20 Jahren geschrieben worden. Und wenn man so liest, was Klacks in den 50ern schrieb ...
Aber ich schweife ab. Viel interessanter ist deine weitere Darstellung, allgemein - und ins besondere in Bezug auf den Conti. Zum einer erklärt das, warum ein neuer Reifen im direkten Vergleich zu einem durchschnittlich abgefahrenen Reifen immer als so viel angenehmer empfunden wird. Der alte Reifen hat keinen gleichmäßigen Radius mehr, kippelt also nach deiner Definition. Der Neue mit seinem nun wieder passenden Radius gibt dem Fahrer wieder das gute Gefühl zurück. Erst im direkten Vergleich verschiedener neuer Reifen kann ein normaler Motorradfahrer gesichert beurteilen, wie unterschiedlich sich diese verhalten. Beim Wechsle alt auf neu tritt immer eine Besserung ein, fast schon egal, welcher Reifen das ist. Gut für die Reifenhersteller Für die, die insbesondere vom Diagonalreifen BT45 auf den modernen Radialreifen Conti Attack wechseln, ist es wichtig, den Luftdruck zu beachten. Während der BT einen hohen Luftdruck braucht, muss es beim Conti weniger sein. Die von manchen festgestellte Kippeligkeit (nach Serpels Definition) beim neuen Conti ist nach meinem dafürhalten jedoch in erste Linie auf den Alt-Neu-Unterschied zurückzuführen. Ich bin ja in der angenehmen Lage auf mehrere Ws gleichzeitig unterschiedliche Reifen fahren zu können. Und was der Conti ganz sicher nicht ist, ist kippelig. Er lässt sich sehr leicht einlenken, ist nach gebräuchlicher Beschreibung "agil", und das mag im Kontrast zum bislang gefahrenen Reifen dann etwas irritieren.
ZitatGegenmaßnahmen sind somit ganz einfach zu treffen: Luft aus dem Reifen nehmen oder einfach warten, bis sich die Flanken so weit abgeflacht haben, dass das Eindrehmoment des Lenkers in Schräglage ausreicht für stabile und kräftefreie Kurvenfahrt.
Ersteres siehe oben. Sehe ich auch so. Zweites sehe ich nicht ganz so. Ist der durchschnittliche Motorradfahrer nicht gerade ständig schnell auf der Rennstrecke oder zumindest in kurvenreicher Gegend unterwegs, wird sich eher eine Abflachung mit Kantenbildung beim Hinterradreifen einstellen und weniger die seitliche Abflachung beim Vorderrad. Im Zusammenspiel dann doch nicht optimal. Aber um diese Feinheiten bei der W zu bemerken, muss man schon ein recht feinfühliges Popometer entwickeln
Zitat von Falcone im Beitrag #59 Und wenn man so liest, was Klacks in den 50ern schrieb ...
Nein, nein, was Ernst Leverkus so alles von sich gab in den 50er bis 60ern und noch in die 70er hinein, als er für 'Motorrad' schrieb, ist 'immergültig und wahr' in seiner allzumenschlichen Menschlichkeit und wenn nicht wenigstens das, so doch allemal sehr unterhaltsam aufschlussreich.