Irgendwie ist es ja schon traurig, der Schneefräseur hätte den häßlichen Spochtboxer so schön im Schnee verteilen können, sodaß alle nur noch ein bißchen gelben Schnee (Don' eat the yellow snow) gesehen hätten und was passiert, da fährt einer Fräse, der sich Gedanken macht, die Welt ist schlecht...
So, nun noch ein abschließender Bericht von Serpel über die gestrige Kanari-Bergeaktion, damit die Story komplett ist
"Für gestern Abend hatte ich mir die Motorrad-Abholaktion vorgenommen, weil das Wetter den ganzen Tag über recht freundlich gewesen und daher mit freien Straßen zu rechnen war. Selbst auf dem Berninapass, denn schließlich war schon der 23. April!
Obwohl es nach getaner Arbeit dann plötzlich gar nicht mehr so gut aussah, ging ich runter zum Bahnhof, besorgte mir für (extrem günstige 20 Franken das Ticket zum Bernina Hospiz und setzte mich ins fast leere Zugabteil. Die Fahrt war sehr gemütlich (da sich der fast leere Zug immer weiter leerte) und dauerte etwas mehr als eine Stunde.
Die Zeit zog sich furchtbar in die Länge: Zuerst wurden die Wolken immer dicker und dunkler, dann begann es zu schneien und Richtung Passhöhe bekam die Straße (neben der Bahnlinie) immer mehr und immer größere weiße Flecken. Das sah gar nicht gut aus. "Warum muss das eigentlich unbedingt heute sein?", ging mir durch den Kopf. "Vielleicht weil sich die Kantonspolizei heute schon bei dir erkundigt hatte, ob mit dem Motorrad am Bernina oben alles in Ordnung sei", rechtfertigte ich mein erneut leichtfertiges Handeln.
Genau, das muss es sein. Kaum ausgestiegen oben auf der Passhöhe, ziehe ich sofort den Helm über die Rübe, um mich vor dem eisigen Wind und den piksenden Schneekristallen im Gesicht zu schützen. Nach einer kleinen Wanderung - zuerst durch einen Hohlweg steil bergauf zur Passhöhe, dann auf der Straße hinten runter - bin ich nach langen zwanzig Minuten endlich beim Motorrad. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit - inzwischen hat es richtig zu schneien begonnen.
Der Töff ist mit einer Eisschicht überzogen, alle Schalter und Schlösser gehen schwer, funktionieren aber. Nur die Hupe bleibt hängen und muss "von Hand" zurückgestellt werden (warum hab ich die eigentlich gedrückt, ich Depp?). Schließlich Zündung ein - mit Verzögerung kommt die Kontrollleuchte. Dann der große Moment, der Druck auf den Startknopf. Aber - fast hab ich es geahnt - der Anlasser macht keinen Mucks. Das lange Stehen in der Eiseskälte da oben auf dem Pass hat der altersschwachen Batterie vermutlich den Rest gegeben.
Oder aber - möglicherweise ist der Unterbrecher-Kontakt am Seitenständer eingefroren. Oder sonst irgendwas. Hab keine Ahnung, interessiert mich jetzt auch nicht. Wenn das Ding nicht die nächsten Minuten anläuft, steh ich wieder da mit abgesägten Hosen, wie schon zwei Tage zuvor. Jetzt muss alles ganz schnell gehen, die weißen Flecken auf der Fahrbahn sind inzwischen bedrohlich zusammengewachsen und bedecken die Fahrbahn allmählich ganz.
Also wuchte ich die Fuhre auf die Fahrbahn mit Richtung Poschiavo, also dorthin, wohin ich eigentlich gar nicht will. Da geht es aber 15 km nur bergab - und ich kann rollen bis die Elektronik irgendwann auftaut, und dann kann ich ja über Veltlin und Bergell am Maloja mein Glück versuchen. Der ist nicht hoch und bestimmt noch längere Zeit schneefrei. Weil mir diese Vorstellung aber ganz und gar nicht behagt (sind immerhin 150 km Umweg!), drück ich verzweifelt noch ein letztes Mal das Knöpfchen - und die Kiste läuft. Wow - was war das denn?
Keine Ahnung - schnell umgedreht und rauf Richtung Passhöhe, solange der Reifen noch einigermaßen greift. Noch geht es, linke Hand an der Kupplung, um schlagartig zu lösen, sobald das Hinterrad durchrutscht, rechte Hand mit absolutem Bremsverbot, etwaige Verzögerung wird dem griffigen Profil der Schuhsohlen überlassen. Es geht, es geht - ein paar Mal muss ich die Kiste abfangen, aber es geht.
Oben angekommen, wird ’s ganz gefährlich, denn mittlerweile fahre ich nur noch auf Schnee und hab keine Ahnung, ob die 300 kg bergab allein mit den Schuhsohlen zu halten sind. Bremsen traue ich mich trotz ABS weiterhin nicht. Glücklicherweise ist aber speziell die Nordrampe des Bernina so flach, dass ich im Grunde ohne Gas und ohne Bremse im Leerlauf runter rollen und dabei das Tempo halten kann. Geschätzt gemütliche Fahrradgeschwindigkeit - auf den schneeverkrusteten Tacho zu schauen trau ich mich nicht.
Gaanz vorsichtig ziehe ich jetzt am rechten Hebel und werde langsamer, ohne dass das ABS eingreift. Hätte ich auf dem schmierigen Neuschnee mit den abgefahrenen Contis nicht erwartet, ehrlich gesagt. Jetzt traue ich mich auch wieder, zwischendurch mal zu atmen denn ganz so sensibel wie ursprünglich befürchtet, reagiert die Fuhre selbst unter diesen Umständen nicht.
Langsam wird die Schneedecke dünner und es gibt wieder schwarze Stellen auf der Fahrbahn. Mit gesetztem Warnblinker fahre ich hemmungslos auf der linken Spur, wenn Schneeverwehungen die rechte unpassierbar machen. Und endlich weiß ich, dass es geschafft ist. Der Schneefall lässt nach, der Wind flaut ab und der Asphalt glänzt nassschwarz in der Dämmerung. Noch selten fand ich eine nasse Fahrbahn so erotisch wie heute ...
Jetzt erinnere ich mich - die Restreichweitenanzeige zeigte vorgestern am Pass noch 10 Kilometer. In der Tat: jetzt isses auf Null und ich sollte schleunigst eine Treibstoff-Versorgungsanstalt ansteuern. Und selbst die hat sich heute gegen mich verschworen: Sie spuckt nur ein paar Liter aus, dann ist der Schlauch trocken und es kommen nur noch Tropfen. Was ’n da los, heute?
Egal - für die restlichen 15 km reicht ’s, und jetzt steht sie da, in der heimatlichen Garage: ziemlich verdreckt, aber kein einziges Mal umgefallen, worauf ich ein kleines bisschen stolz bin. Bei nächster Gelegenheit gibt ’s eine ausgiebige Brause und dann sieht das Motorrad wieder aus wie ne BMW.
Na Gott sei Dank! Das war echt eine Abenteuer-Tour! Die vermutlich keiner nachmachen möchte. Es reicht, wenn man beim lesen seinen Nervenkitzel bekommt ... Schön, dass sie heil zuhause steht, unversehrt, nur etwas durchgefroren.
Das nächste Mal sollte er eine Enduro nehmen. Dann müßte er sich bei sowas nicht in die Buchse machen. Aber wie ich auf Soulies Fotos sehen konnte, hat der Serpel mehr als kurze Beine. Da sieht es mit KTM und Konsorten natürlich auch nicht so rosig aus. Also Serpel, dann wohl doch ein Gespann. Da wäre dieses Abenteuer nicht mal eine Geschichte geworden.
Gute Geschichte - aber : alte Reifen? Alte Batterie? Wie passt das zur guten "Flugvorbereitung" und zu einem teuren Motorrad? Sollte einem geweissenhaften Fahrer eigentlich nicht passieren, es sei denn, man braucht den Kick Potter