Die Stadt Singen am Bodensee hat nicht nur ihren Vulkan (Hohentwhiel) sondern auch eine Radrennbahn. Die ist rd. 330 Meter lang und aus Beton. Ihre Kurven gelten als die steilsten in Europa.
Früher bin ich dort selbst Radrennen gefahren; u. a. auch Steherrennen. Dabei fährt der Radrennfahrer hinter einem Motorrad her, um Windschatten zu haben und so mit höheren Geschwindigkeiten zu wirbeln. Der Motorradfahrer vorne dran fährt im Stehen, um maximalen Windschatten zu erzeugen. Er ist der Steher im Steherrennen. Auf meiner Motorradtour in die Dolomiten hatte ich in Singen Zwischenstopp gemacht und zufällig fand ein solches Renn statt. Gelegenheit für mich, das nach vielen Jahren mal wieder anzusehen. Als Premiere fand parallel zum Steherrennen (drei Wertungsläufe) ein Wettbewerb auf dieser Radrennbahn mit älteren Motorrad-schätzchen statt. Hier ein Fotobericht dazu.
Steher001.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Zunächst der Versuch fotografisch darzustellen, WIE steil die Steilkurven der Bahn sind. Als ich als Jugendlicher zum ersten Mal mit dem Bahnrad auf die Bahn sollte, brauchte ich drei Runden Anlauf auf dem "Teppich" unten, bevor ich mich getraut habe. Es ist am Anfang ein mulmiges Gefühl, an so einem steilen Hang zu fahren. Selbst auf allen Vieren in der Kurve zu stehen, ist nicht möglich. Leider kann man das auf Fotos nur unzureichend einfangen. Wie steil die Bahn wirklich ist, kommt vielleicht noch am besten auf dem zweiten Foto des alten Stehermotorrades rüber (im Hintergrund) - siehe weiter unten.
Steher002.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) So sieht ein Steher-Motorrad aus. Heute sind es Susis, als ich fuhr, waren es BMWs, die deutlich martialischer aussahen. Hinten sieht man die Rolle, an die der Radfahrer so dicht wie möglich auffährt, um so möglichst nah am Mottorrad zu sein und damit den meisten Windschatten zu haben.
Steher003.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Man kann sehen, dass die Steher inzw. einen "Stehsattel" haben. Den Luxus gab's füher nicht, da war es ein normaler.
Steher004.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Für den sicheren Stand.
Steher005.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Der Lenker muss natürlich weit nach hinten gezogen sein, um 120 Runden lang das Teil pilotieren zu können.
Steher006.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Die Rolle ist eine drehbare Stahlwalze. Als ich mein erstes Rennen fuhr, habe ich einige Zeit gebraucht, bis ich mich getraut habe, bei über 60 Sachen bewusst gegen die Rolle zu fahren, um das Gefühl kennenzulernen. Man sollte nicht weiter als 5-10 cm von der Rolle Abstand bekommen. Der Windwiderstand steigt im Quadrat. Doppelte Geschwindigkeit bedeutet also vierfachen Windwiderstand. Bei 80 km/h, die dabei oft gefahren werden, ist es, als ob man gegen einen Wand fährt, wenn man "von der Rolle kommt".
Steher007.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Steher und Radrennfahrer bilden ein Team, sie gehören zusammen. Der Steher hat einen Helm mit nach hinten geöffneter Ohrmuschel. Nur so hört er während des lauten Rennens Rufe seines Radfahrers. Z. B. wenn der "platzt", also langsamer gefahren werden muss. Umgekehrt gibt der Steher taktische Zeichen mit der Hand nach hinten zum Fahrer.
Steher008.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Es gab auch alte Stehermotorräder zu bewundern.
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Steher011.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Geparkte Krachmacher. Das Interessante für die Zuschauer sind die höheren Geschwindigkeiten des Rundenwirbels und der Krach bzw. sound der Maschinen. Früher war das aber noch beeindruckender. Man hatte das Gefühl, da fliegen Kampfbomber durch die Bahn.
Steher012.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Für meinen Geschmack sind die heutigen Steher-Mopeds zu soft.
Steher013.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) In den Innenraum der Radrennbahn führt ein sehr enger, steil abfallender Tunnel, der nach oben wieder plötzlich im rechten Winkel zur Bahn abknickt (hier nicht sichtabr). Durch diesen engen, rechtwinkligen Knick möchte ich nicht fahren müssen.
Steher014.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Nun ein Abschwof zum Parallelwettbewerb. Die Motorräder mussten nach jeweils drei Einfahrunden eine letzte Runde (Glocke läutet) in einer in Sekunden vorgebenen Rundenzeit fahren. Wer ihr im Schnitt (die Rundenzeiten variierten) am nächsten kam, hatte gewonnen.
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Von dieser Frau berichtete der Stadionsprecher, sie sei sehr bekannt und schon auf dem Sachsenring und der Nordschleife etc. gefahren. Erkennt sie jemand? Also ich kenne sie nicht, was aber nicht viel sagt.
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Steher030.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Zurück zum Steherrennen. Hier kann man das Steherrad gut erkennen. Zunächst einmal ist die Vordergabel nach hinten gebogen. Das ist notwendig, um bei Antippen bzw. Auffahren an die Rolle nicht zu stürzen. Das Vorderrad ist aus dem gleichen Grund kleiner als das Hinterrad. Man beachte das Kettenblatt. Ein Bahnrad hat eine starre Nabe, also keinen Freilauf. Dreht das Pedal, dreht über die Kette das Hinterrad. Umgekehrt aber auch. Wegen des fehlenden Freilaufs gitl also umgekehrt: dreht das Hinterrad, dreht das Pedal, solange das Rennrad sich bewegt. Man kann also nicht aufhören zu treten. Vergisst man das am Anfang, gibt's einen ordentlichen Schlag in die Beine, die weitergedreht werden. Bremsen und Gangschaltung haben Bahnräder auch nicht. Der Grund für beides: Die Sicherheit. So kann es (außer durch Stürze) keine abrupten Tempiwechsel geben, die in dem engen Fahrerfeld und bei hohen Geschwindigkeiten, Lenker an Lenker, gefährlich wären.
Da eine Gangschaltung fehlt, muss man sich je nach Rennen und körperlicher Verfassung also eine entspr. Übersetzung aussuchen. (Als Rennen gibt es u. a. Punkterennen, Sprint, Zweier-Mannschaftsrennen etc.) Für das normale Bahnrad gilt alles entsprechend bis auf Gabel und kleineres Vorderrad. Die sind "normal" im Gegensatz zum Steherrad.
Für Steherrennen ist die fehlende Gangschaltung ein besonderes Problem, denn man muss auch über 80 km/h mit der Übersetzung fahren können, andererseits den gewählten "Gang" auch über 120 Runden bewegen können. Die Übersetzung ist so schwer, dass man damit nicht anfahren kann, man würde umfallen, bevor man sich bewegt hat. Deshalb muss man am Start angeschoben werden. Man kann mit der Übersetzung auch über 100 km/h fahren, was aber auf der Singener Bahn grenzwertig ist, angesichts der engen Kurvenradien.
Steher031.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Der Start. Die Reihenfolge der Fahrer ist festgelegt.
Steher032.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Hinten in der Kurve sieht man die Steher, die inzw. auf der Bahn sind und nun die gleiche Reihenfolge suchen, wie es der Fahrerreihenfolge entspricht.
Steher033.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Die Steher, nun in der korrekten Formation, rauschen am wartenden Fahrerfeld vorbei, der Startschuss fällt.
Steher034.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Die Steher haben eine weitere Runden gedreht und die Rennfahrer inzwischen soviel Geschwindigkeit erreicht, dass sie auf die Bahn auffahren können. Sie suchen jetzt ihren Steher und gehen an die Rolle.
Steher035.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Der Rundenwirbel beginnt.
Steher036.jpg - Bild entfernt (keine Rechte) Der "junge Mann" hier hat einen viel zu großen Abstand zur Rolle. Er fährt unnötig im Wind, das kostet zuviel Kraft.
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Was man auch erkennen kann: Die Arme der Rennfahrer sind stets gerade durchgestreckt. Warum? Die Fliehkraft drückt den Fahrer in der Steilkurve bei 80 km/h, aber auch schon viel früher, derart in die Bahn, dass es einem Fahren in permanenter Liegestütze gleicht. Denn anders als in Schräglage auf ebener Straße, wirkt die Fliehkraft hier quasi von oben auf den Fahrer und drückt ihn nach unten. Nach 120 Runden tun einem auf der durchaus holprigen Betonpiste die Handgelenke weh und die Arme sind platt! Wenn ein Rennfahrer in die typische geduckte Haltung am Rennlenker geht, weiß man, dass er gerade komplett am Limit fährt. Denn unten mit den Beinen das Maximum zu geben und oben die Arme durchgestreckt zu lassen, ist fast nicht möglich.
Zitat von Brundi im Beitrag #6Moin Susu, sehr schöner Bericht. Als Kind bim 6-Tage-Rennen waren mir die Steherrennen immer die liebsten. Da war ordentlich Leben in der Bude.
ZitatNach 120 Runden
Wie lang ist so eine Runde?
Grüße Brundi
330 m. Das macht es auch praktisch für das 1000 Meter Zeitfahren. Kurzer Versatz zur Ziellinie, dann 3 Runden. Es sind immer drei Wertungsläufe. Meistens 70, 90 und zum Schluss nochmal 120 Runden. Dazwischen sind "normale" Bahnrennen.
Leben in der Bude kann ich nur unterstreichen. Der Hammer, wie die da rumkrachen. Aber wie gesagt, heute sind die Motorräder auch akkustisch nicht mehr so beeindruckend.
Klasse Bericht, mich würde mal interessieren welchen historischen Hintergrund die Steherrennen haben, denn irgendwie isses ja schon eine seltsame Sportart.
Die Veranstaltung sieht ja sehr übersichtlich aus, scheinbar durftest Du Dich da als Photgraph frei bewegen und überall hin?
Bilde ich mir das ein oder haben die Photos ein etwas starkes Bildrauschen?
Zitat von Maggi im Beitrag #8Klasse Bericht, mich würde mal interessieren welchen historischen Hintergrund die Steherrennen haben, denn irgendwie isses ja schon eine seltsame Sportart.
Die Veranstaltung sieht ja sehr übersichtlich aus, scheinbar durftest Du Dich da als Photgraph frei bewegen und überall hin?
Bilde ich mir das ein oder haben die Photos ein etwas starkes Bildrauschen?
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Von der Übersichtlichkeit her war ich total enttäuscht. Als ich früher noch gefahren bin, war selbst an einem Mittwochabend-Rennen die Bude rappelvoll also 1000 Zuschauer und mehr.
Ich habe die Bilder zu stark komprimiert, um so viele rasch hochladen zu können. Das rauscht. Und ich hatte eine alte Nikon D 60 mit auf Reisen, musste hier schnell an die 1200 Iso wäheln, damit ich entsprechende Verschlusszeiten bekam. Der alte Chip rauscht noch ordentlich bei 1200 Iso.
Schon in den 19Hundert Anfängen gab es Straßenrennen über 580 km!!! An einem Stück! Mit Steinzeit Rennrädern. Damit das ging, fuhren die hinter Stehern her. Und der Veranstalter konnte mit der Unmenschlichkeit des Rennens werben.
Ich war früher oft beim Karl Rebuschat in Gelsenkirchen, der hatte einige Steher Motorräder. Was ich mich immer gefragt habe war: woher weiss der Steher wie schnell er fahren soll?
Reverend Freewheelin Steve Ordained Dudeist Priest at Dudeism, the Church of the Latter-Day Dude
Man könnte auch lesen was susu schreibt: "Der Steher hat einen Helm mit nach hinten geöffneter Ohrmuschel. Nur so hört er während des lauten Rennens Rufe seines Radfahrers. Z. B. wenn der "platzt", also langsamer gefahren werden muss."
Das Rufen- Können alleine reicht natürlich nicht. Wenn der Gegner z. B. mitbekommt, dass einer "langsamer" schreit, wird das natürlich gerade zum Angriff genutzt und Vollgas gegeben. Deshalb werden vor jedem Lauf Codes zwischen Fahrer und seinem Steher ausgemacht, die dann noch während des Rennens wechseln. Denn die anderen bekommen natürlich mit: jedesmal wenn einer XY ruft, nimmt der Steher das Gas weg. Im Großen und Ganzen bestimmt der Steher das Renngeschehen. Deshalb ist es für ihn schön, wenn er einen starken Fahrer hintendran hat, der einfach mitmacht, was der Steher taktisch vor hat.