Ein Konstruktionsmangel an der W650 taucht jetzt auf, wo die Ws in die Jahre kommen.
Zum Glück beeinflusst er weder das Fahren noch die sprichwörtliche Zuverlässigkeit. Er macht sich erst bemerkbar, wenn man in die Tiefen des Motors vordringen will oder muss, und zwar beim Abnehmen des Zylinders.
Wenn man sich den Zylinderblock mal genauer anschaut, sieht man, dass sowohl vorne als auch hinten die mittleren vier Zylinderkopfschrauben teilweise im Freien laufen (Foto). Das hat zur Folge, dass in den Spalt zwischen Schraube und Zylinder das mit Schmutz und ggf. auch Salz vermengte Wasser von der Straße ungehindert einsickern kann. Dieser Spalt rund um die Schraube bietet hierbei derart viel Fläche, das Schraube und Zylinder schon recht fest miteinander verklebt werden.
Als ob das nicht ausreichen würde, dringt die Feuchtigkeit auch noch weiter nach unten in das Gewinde-Sackloch im Motorblock ein und sorgt dort für Korrosion. Das ca. 3cm lange Gewinde bietet natürlich eine hervorragende Angriffsfläche, zumal es von Kawasaki nicht geschützt wurde, weder durch Molybdänfett noch durch Antiseize-Paste oder Ähnliches.
In diesen Spalt dringt Wasser und Schmutz ein
Beim Zylinderwechsel an Norberts (3-Rad) Motor hatten wir ein arges Problem damit, die beiden mittleren vorderen Zylinderschrauben herauszuschrauben. Allein zum Lösen war schon viel Kraft und eine Verlängerung notwendig. Nach dem Lösen mit jeweils einem kräftigen Knall ließen sie sich aber nur ca. eine Umdrehung weit drehen, um sich dann nicht mehr weiter drehen zu lassen.
Hätte man jetzt mit erhöhter Kraft weitergemacht, wären sie entweder abgerissen oder man hätte das Gewinde zerstört.
Norbert und ich gingen beim Demontieren den sanften Weg: Wir versuchten, einen speziellen Rostlöser von Loctite, der auch gleichzeitig ein den Bolzen vereisendes Kältespray ist, möglichst weit eindringen zu lassen. Sicher ist es ideal, wenn man damit schon zwei, drei Tage vorher beginnen kann, um dem Löser Zeit zu geben, einzudringen. Parallel versuchten wir, mit Druckluft möglichst viel Schmutz herauszublasen und diesen zu lockern, gleichzeitig durch den Druck den Löser auch nach unten zu befördern.
Ein paar Prellschläge von oben auf den Schraubenkopf können dabei auch eine Lockerung bewirken.
Dazu bewegte ich die Schraube in dem Bereich hin und her, in dem ein Festfressen noch nicht zu befürchten war. Immer, wenn ich erreicht hatte, dass sie sich in diesem Bereich (Anfangs nur eine Viertelumdrehung) frei bewegen ließ, drehte ich sie mit etwas mehr Kraft ein Stück weiter, meist so etwa eine zwölftel Umdrehung, danach wieder so lange hin und her, bis alles wieder freier wurde und wieder ein Stückchen weiter. Teilweise kreischten, knackten und quietschten die Schrauben bei dieser Prozedur ganz erbärmlich. Ein Zeichen dafür, dass die Gewinde unter starker Spannung und Belastung standen und von einer vernünftigen Schmierung in der Tiefe keine Rede sein konnte.
Beim schrittweisen Herausdrehen sieht man schon, welche Mengen an Schmutz zutage gefördert werden (und dabei sind das die geschützter laufenden hinteren Schrauben!).
Die Schrauben noch im Zylinder nach dem Ausbau
Aluminium-Gewindereste im Schraubengewinde
Auf diesem Wege, der etwas Nerven kostete und für einen Muskelkater am nächsten Tag sorgte, hatten wir die beiden Schrauben nach einer geschlagenen Stunde herausbekommen. An einer Schraube zogen sich trotzdem ein paar Gewindegänge mit heraus (Foto). Die waren so fest mit der Schraube verschweißt, dass sie sich auch mit einem kleinen Meißel nicht vom Gewinde lösen ließen. Die Schraube wurde ersetzt.
Nach gründlicher Prüfung und Reinigung der Gewindesacklöcher im Block waren wir zu dem Schluss gekommen, dass wir noch mal Glück gehabt haben und die Gewinde nicht ausbuchsen müssen.
Bei der Montage des Zylinders konnten wir dann die Schrauben auch leicht und problemlos wieder eindrehen und gleichmäßig festziehen.
Als Vorbeugemaßnahme habe ich eine gute Kupferpaste an das Gewinde gegeben.
Mittlerweile habe ich auch die Schrauber im Forum kontaktiert und das Problem ist nur zu gut bekannt. Kaum eine Zylinderdemontage, bei der es nicht auftritt. Werden Ws öfters mal bei schlechtem Wetter gefahren oder gar im Winter oder haben sie schon viele Kilometer auf dem Buckel oder kommt gar alles zusammen, sitzen die Bolzen so fest, dass sie entweder mit einem lauten Knall durchreißen oder gar das Motorgehäuse sprengen, was dann eine Investition von deutlich über 1000 Euro alleine an Material bedeutet.
Bruno und Ulf verwenden, wie ich auch, reichlich Rostlöser und geben dem, wenn möglich, Zeit zum Wirken. Bruno nimmt auch Petroleum. Das ist ja aber auch die Basis der üblichen Rostlöser. Die Schrauben nicht mit Gewalt zu lösen versuchen, sondern auch, wie oben beschrieben, mit Geduld und viel Hin- und Herdreherei. Beide bestätigen auch, dass dies nicht immer von Erfolg gekrönt ist und dass die Bolzen gerne abreißen. Beide haben sich inzwischen die entsprechenden Gewindereparatursätze angeschafft.
Ist der oder sind die Bolzen erst mal abgerissen, kann man den Zylinder jedenfalls schon mal abnehmen und weiter vorgehen. Zum Beispiel auf den Stumpf ein Stück Eisen schweißen. Die dabei entstehende Hitze löst auch schon etwas.
Bruno und auch Peter (Surfin´Bird) arbeiten zudem auch mit der Erwärmung des gesamten Motorblocks. Eine langwierige Angelegenheit. Bruno "kocht" ihn dazu auf einer Platte auf gut 100 Grad, Peter versucht es mit einem Bunsenbrenner und Vereisungsspray, direkt auf den Bolzen aufgesprüht.
Peter geht jetzt noch einen Sonderweg: Er empfiehlt, keinen ölhaltigen Rostlöser zu nehmen, sondern Alkohol, das dieser ja auch zur Schmierung beim Bohren von Aluminium benutzt wird und die Belastung beim Ausdrehen ist vergleichbar. Das habe ich noch nie probiert, kann dazu also nichts sagen, klingt aber plausibel. (Ich habe zwar auch Alkohol verwendet, aber eher für mich in Form eines schönen Bieres danach).
Bei Zusammenbau sollte man die Bolzen entgegen des Trockeneinbaus im Werkstatthandbuch entweder mit Molycote-Heißlagerfett einsetzen oder mit einer Anti-Seize-Paste oder auch mit einer guten Marken-Kupferpaste.
Kupferpaste wird zwar von manchen nachgesagt, dass sie in Verbindung von Stahl mit Alu zu Kontaktkorrosion führen könne, was ich aber in langen Jahren nicht bestätigen kann. Auspuffstehbolzen werden mit Sicherheit noch heißer und da hat es bislang auch ganz gut geholfen.
Zusätzlich habe ich versuchsweise den neuralgischen Bereich mit hitzefestem Silikon abgedichtet. Mal sehen, ob das hält.
Ob es wirkt, werde ich hoffentlich nicht so bald prüfen müssen, denn wer nimmt schon mal den Zylinder der W ab?
Abdichtungsversuch mit Silikon
Kawasaki hat das Problem wohl erkannt. Bei der W800 laufen die Zylinderbolzen anscheinend nicht mehr offen:
Danke an Bruno, Peter und Ulf für ihre Auskünfte und Erfahrungen.