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Dieses Thema hat 20 Antworten
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 Reiseberichte / Motorradgeschichten
Seiten 1 | 2
decet Offline




Beiträge: 7.690

29.11.2011 23:09
Hellas für Anfänger Antworten

(ο δρόμος είναι ο στόχος - Nein, das hatten wir schon.)

Es war im Mai 1982.
Nach langem Überlegen wollten wir mal was gaanz Anderes machen als alle Anderen: Auch mal nach Griechenland. Weil's da im Mai schon so schön warm sein soll. "Da ist es so heiß, da haltet Ihr's in der Lederkombi nicht mehr aus." Das war doch mal eine Aussage. Fotos gibt's allerdings diesmal keine, weil für die Rollei auf der für 2 Personen vollgepackten BMW kein Plätzchen mehr war. Und noch nicht mal ein ganzes Jahr verheiratet, wollte ich wegen so was nicht schon vor Antritt der Reise Streit anfangen

- - es wird zum Ausgleich für die fehlenden Bilder etwas länglich werden.

decet Offline




Beiträge: 7.690

29.11.2011 23:15
#2 RE: Hellas für Anfänger Antworten

6.5.1982
Die erste Freude war schon, daß es bei der Abfahrt fast nicht regnete. So konnten wir nach dem Frühstück im Café Frischhut das Regenzeug eingepackt lassen. Hinterm Brenner sollte's ja dann noch schöner werden. Drum nahmen wir vor dem Brenner noch einen Kaffee und einen Arsch voll Kachelofen. Das war schlau, denn hinterm Brenner kam er dann doch, der Regen, der uns - abgesehen von einer Handvoll lauwarmer Intermezzi - ganz schön treu blieb. Darum verzichteten wir weise auf den Beginn der Zeltelreise, und nahmen abends in Jesolo noch einen Arsch voll Bett. Das mit dem Zelt machen wir eben später. Das Nachtmahl nahmen wir im "gestrandeten Anker", da saß man schön warm neben dem Pizzaofen. Beim Rückmarsch zur Herberge blitzte es immer so, aha, abziehendes Gewitter. Bis auf die Zugrichtung stimmte das auch. Es schüttete aber erst los, als wir wieder unter Dach waren.

7.5.1982
Neblicht graute dem Tag. Und weil es so trüb aussah, kramten wir für den Ausflug nach Venedig den Ostfriesen-Nerz heraus, die gelbe Öljacke über den Gummistiebeln. Die anderen Ausflügler auf dem Vaporetto waren leichter geschürzt, und behielten beinahe Recht damit - aber trotz des Sonnenscheins zog es auf dem Boot ganz erbärmlich.
Venedig: durch Salzwasser und Fortschritt ganz schön beschädigt.
Das Abendrot ließ Schönstes hoffen. Morgen scheint bestimmt die Sonne.

8.5.1982
Geweckt hat uns der heulende Wind, der die Regenböen ums Haus peitschte. Also, das soo schön verstaute Regenzeug wieder heraus - laden wir uns wegen dieses örtlichen Schauers eben noch ein letztes Mal das Ritual des Wasserdichtmachens auf. Nach einem Stündchen halten wir dann noch mal kurz an und ziehen's wieder aus.
- - ÄH.
Ich sach ma: Das war, wenn man Intensität und Ausdehnung in Betracht zieht, die dickste und längste Scheiße, durch die ich je gefahren war (hätten wir nicht die Fährpassage gebucht und bezahlt gehabt, ich wäre umgekehrt). Nach vielen lästigen Stopps zum Bezahlen von lächerlich bagatellischen Autobahngebühren waren Viktorias Handschuhe innen nässer als außen (außen trocknete's ja der scharfe Wind). Der Po, über den wir fuhren, war braun und angeschwollen bis an die Deichkronen. Bei Bologna trafen wir den Sepp mit seiner SR 500, der froh war, nicht der einzige Idiot zu sein, der in diesem Drecksregen Motorrad fuhr. Auch nach Ancona unterwegs, auch auf unserem Schiff gebucht, auch naß. Sogar noch erheblich nässer als die arme Viktoria.
Noch 170 km. Fahrtwind und Schwallwasser machten im Helm Seifenblasen aus der Klarsichtschmiere am Visier, und ich erschrak furchtbar, als mir die erste Blase übers Gesicht kroch. Wie zum Hohn waren wir zwischendurch in geisterhaftes Sonnenlicht getaucht, das unser naßglänzendes Regenzeug hell aufleuchten ließ. Zur Abwechslung gab's auch immer wieder Nebel. Aber meistens war Wolkenbruch angesagt, und auf der geschlossenen Wasserfläche spürte man ab 100 km/h, wie die Lenkung so komisch leicht wurde - den Dosentreibern, die uns pausenlos überholten, war das wurscht, und ein Wasserschwall nach dem anderen klatschte an uns hin.
Kurz vor Ancona wurde das Visier so merkwürdig durchsichtig, die Straße bekam eine ganz eigenartige, helle Farbe, und man konnte die Autos wieder sehen, die sich vorher hinter meterhohen Gischtfahnen versteckt hatten. Unglaublich, aber es regnete nicht mehr. Am Hafen erwartete uns das Unerwartete: die Abfertigung der Passagiere fing pünktlich um 18 Uhr an. Es war aber erst halb drei. Vorher? Da ging gaaar nix, der Mann am Schalter schüttelte sein weises Haupt und deutete auf die große Uhr. Da trockneten wir halt ein bißchen unsere Sachen (Der Yamaha-Sepp goß seine Knobelbecher aus und hängte die quitschnassen Papiere zum Trocknen über den Rückspiegel) und warteten in der bleichen, schüchternen Sonne. Ein paar überteuerte Biere wechselten den Besitzer, und wir überlegten, ob die Brüder Karageorgis (und deren Vetter Plexiglas) wohl noch schnell unsere Schiffskarten an die Meistbietenden verhökerten...
Endlich kriegten wir die ersehnten Unterlagen, und es ging los. Paßkontrolle (Griechenland war in jenen glücklichen Tagen noch lange nicht in der EU), wir schoben die Motorräder auf dem riesigen Parkplatz ein paar mal hin und her, bis wir in der Schlange fürs richtige Schiff waren, und warteten wieder. Um 20 Uhr bewegte sich dann der Fahrzeugpulk zäh hin zum großen Maul (in der Seite !?) des Schiffes. Tickets, please! Ein schwarzbärtiger, sehr offiziell aussehender Offizieller mit messerscharfen Bügelfalten an allen möglichen Stellen seiner Uniform dirigierte mit unerschütterlicher Ruhe die drängelige Meute Stück für Stück in den Schiffskeller (oder heißt das doch Bilge?). Wir Zweiradler wurden zwar zunächst etwas unwirsch beiseite gewinkt, was bei Viktoria einige Nervosität auslöste, aber dann doch sehr zuvorkommend auf das noch gähnend leere obere Garagendeck befohlen, wo wir unsere kostbaren Reittiere eigenhändig festlaschen und verkeilen durften. Dann wurden uns die Quartiere gezeigt. Nomen erat Omen, denn es waren Vierbettkabinen, und winzige obendrein. Dampf stieg auf, als wir unser nasses Zeug ausbreiteten und das Ausmaß des Wasserschadens so richtig erkannten. Die neuen (günstig grau erstandenen) Krauserkoffer waren nicht völlig dicht gewesen. Jeans naß, Hemd naß, Rock naß, Schuhe naß, Stimmung naß. Weil wir nicht nur wasser- sondern auch schweißnaß waren, nutzten wir die noch freien Duschen, und frisch g'waschen, kampelt, g'schneuzt und Hufe aus'kratzt setzten wir uns in den Speisesaal, wo wir ein vorzügliches Abendessen serviert bekamen.
Dann stellten wir uns an die Reling und schauten dem Einladen zu. Es wurde elf, es wurde zwölf, aber die "Mediterranean Sea" (so hieß der Pott) lag immer noch da und schluckte stockend Containerzüge, Busse, Wohnwagen und endlose Fluten von Dosen und Wohnmobilen. Längst war die Abfahrtszeit vorbei, der Zahlmeister verteilte die letzten Plätze und wies vier zornige Benz-Fahrer ab, die offenbar "open date" Tickets für ihre Importfahrzeuge hatten.
Ja waas - es ging wirk-lich los! Die Klappe schloß sich mit Knarren und Rumpeln, aber nicht ganz - ? und ein Schlepper zerrte den Bug der Fähre in den Nebel hinaus. Wir fuhren vorbei an grell beleuchteten und lärmenden Werften, dunklen Kais und dem unaufhörlich dunkeltutenden Nebelhorn. Dann ging der Lotse von Bord, aha, deshalb war die Klappe halb offen geblieben, und jetzt endlich wurde sie zugeknarzt. Ganz kurz blitzte in der schwarzen Bugwelle türkisleuchtendes Plankton auf.
Zu Bette (allerdings Männlein und Weiblein getrennt, die verflixten Vierbettkabinen)! Spät genug war's ja.

- - morgen geht's weiter

decet Offline




Beiträge: 7.690

30.11.2011 07:02
#3 RE: Hellas für Anfänger Antworten

9.5.1982
In stockfinsterer Nacht rasselte der Wecker (die Kabinen waren fensterlos). Klopfen an Viktorias Kabine blieb ohne Ergebnis, also spazierte ich einmal rund ums Schiff herum. Ganz allein mit dem schiachen Wind. Erst nach einer Viertelstunde und weiterem Geklopfe (wobei sich noch ruhebedürftige Nachbarpassagiere einmischten) fanden wir im Treppenhaus (bzw. Niedergang) zusammen. Wir tauschten Gemecker aus über Wetter, Frühstück und Mitreisende (in Viktorias Kabine würde es so schrecklich stinken), und suchten dann einen Platz, an dem wir a) warm b) weich c) mit Überblick sowie d) ungestört sitzen, reden und schreiben konnten. So verging erstmal der Löwenanteil des Tages, denn das Sturmtief, durch das wir uns nach Ancona gekämpft hatten, hing noch über der Adria, und das Freizeitangebot war endenwollend, es sei denn, man stand auf Kopfsprünge in die zwei leeren Swimming-pools.
Als dann alles gesagt, geschrieben und gelesen war, warteten wir aufs Abendessen - das Warten auf die Sonne hatten wir aufgegeben. Wer vor dem Speisesaal herumlungerte, kriegte auch mit, wann die erste Schicht rein durfte. Um 19 Uhr. Über die Lautsprecher wurde allerdings die erste Schicht erst um kurz vor 20 Uhr aufgerufen, als eigentlich die zweite dran war - da waren wir aber schon fertig. Erst spät nachts zeigten sich richtige Sterne und verhießen höhere Temperaturen. Bis zu deren Eintreffen wollten wir aber nicht aufbleiben.
Oh, und aus Langeweile hatte ich aus dem mitgebrachten Lehrbüchlein die ersten Worte Griechisch gelernt: το κρασί (Wein), το νερό (Wasser), το ψωμί (Brot), το τυρί (Käse). Gerettet! Es funktionierte sogar beim darob erfreuten Steward.
Gegen Mitternacht war es immer noch saukalt, aber der Himmel war sternübersät, und ein Grüppchen griechisch-schweizerischer (?!?) Unentwegter mit einem Ghetto-Blaster beschwor die "Südlichen Nächte". Na dann gingen wir halt schlafen. In dieser Nacht stank es in Viktorias Kabine nicht, denn die Quelle der Geruchsbelästigung, ein Windelkind, nächtigte heute beim Papa, und mit dem teilte ich die Kabine. Das arme Wurm kriegte die verpißten Windeln nämlich nicht gewaschen, sondern nur getrocknet. Puh.

10.5.1982
Etwas nachdrücklicheres Klopfen weckte die Viktoria heute auf. O Wunder, beim Gang an Deck fanden wir die Deckenlampe im großen blauen Zimmer angeknipst! Backbord voraus die Gestade Griechenlands, und das Frühstück schmeckte gleich nochmal so gut. Dann brach allgemeine Hektik aus, alle wollten als Erste bei ihren Dosen sein und wuselten panisch durch die Gänge, und der wepsige Sepp lief seit Sonnenaufgang in der Lederkombi rum, um ja nix zu verpassen. Wir packten in Ruhe unseren Krempel, gingen noch mal aufs Klo, packten die Koffer noch mal aus, um die Reiseschecks zu suchen, und waren immer noch zu früh im Schiffsbauch, weil sie Methusalix hinter einem Bus eingekeilt hatten. Beinahe fahrplanmäßig passierten wir um halb 12 die Paßkontrolle von Patras, und dann wurden wir auf Ελλάδα losgelassen.
Es war heiß. Herrlich.
Gleich am Hafen schlugen wir einen Haken nach rechts, Richtung ΟΛΙΜΠΙΑ. So stand's auf dem Wegweiser. Es rollte ganz gemütlich, der Verkehr war bald sehr dünn, und die Gegend lud zum Schauen. Das rechte Handgelenk litt unter keinem nervösen Drehdrang, und nach entspannenden zwei Stunden über Hügel und um Buckelchen herum hatten wir die letzten Kilometer der alten Straße hinter uns. Pinien und Zypressen ("uffjeklappte und zujeklappte Rejenschirme"), gemischt mit Eichen und Ölbäumen machten aus jedem bewaldeten Berglein einen Hintergrund für eine antike Tragödie.
In Olympia schlugen wir unser Zelt auf. Die trotz Müllsack-Hülle naßgewordenen Schlafsäcke waren im Nu trocken, und an der Temperatur war nun wirklich, wirklich nichts mehr auszusetzen. Ein paar prüfende Blicke in die Runde sagten uns: FREMDENFALLE. Die antiken Sportstätten waren geschlossen, das Museum auch, nur die Tavernen und Andenkenbuden waren offen. In einer erfuhren wir ein bissel was und erstanden einen Mitbringsel-Silberring mit Oύζο. Auf unsere Frage nach einer guten Eßkneipe verwies uns Christos der Höker an seinen Vetter Ouzoglas, bei dem wir ein teures, mittelmäßiges Mahl kauften. Hätt aber auch schlimmer sein können. Und so endete der Tag. Beziehungsweise: Hätte enden sollen. Das Einschlafen wurde uns nämlich durch ein beeindruckendes Froschkonzert erschwert. Hätten wir mal mehr Alk eingießen sollen.

- - das war noch nicht alles, bald geht's weiter

decet Offline




Beiträge: 7.690

30.11.2011 11:33
#4 RE: Hellas für Anfänger Antworten

11.5.1982
Die Museen hatten immer noch zu. Vorsaison. Also schliefen wir lang, kauften ein Gebinde δραχμές (Drachmen, 10 GRD waren ungefähr 6 Pfennig), schlemmten ein feudales Frühstück und gingen zur Ausgrabung. Es war ein Fehler gewesen, spät aufzustehen, denn in der schattenlosen Sonnenglut wollte kein rechtes Interesse aufkommen. Also im Schweinsgalopp durch, um wieder ins Kühle zu kommen. Orangen und Wasser waren unser labendes Mittagsmahl, und wir hatten keine große Lust, den Schatten zu verlassen. Erst als der etwas länglich geworden war, setzten wir uns aufs Moped und wollten zum Baden fahren. Ich fand allerdings nicht das richtige Loch und gurkte 50 km in der Gegend herum, war zwar kein Schaden, denn die Straße war gut, und die Landschaft reizvoll, aber für mal eben zum Schwimmen war's doch ein ziemlicher Umstand. Der Strand von Kaiafa ist schön und halbwegs sauber, aber das Meer war noch zu kalt, um zu erfrischen, brrr. Beim Rückweg fand ich dann das Loch, da waren's nur noch 20 km, und der Weg endete genau beim Campingplatz. Dumm gelaufen.
Das Nachtmahl nahmen wir gegenüber dem von Christos empfohlenen Lokal, und siehe da! Plötzlich waren die Portionen größer, der Salat nicht versalzen, und die Preisgestaltung beim Retsina war nachgerade erstaunlich. Geht doch. Voll wankten wir zu Bett, und auf dem Heimweg fanden wir das Froschorchester - das war fast einen Kilometer vom Zeltplatz entfernt. Donnerwetter.

12.5.1982
Wir waren ja lernfähig: Aufgestanden wurde zeitiger, und um zehn Uhr interessierten uns die Ruinen noch erheblich mehr als zu Mittag. Sehr eindrucksvolle Anlage mit turmhohen, Jahrhunderte alten Kiefern, und wenn ich mir dazu noch Asterix, Obelix und die gallischen Schlachtenbummler vorstellte, fühlte ich mich gleich vom olympischen Geist durchdrungen. Jetzt wohnten statt der Priester nur noch Eidechsen und gigantische Ameisen in den heil'gen Hallen. Rechtzeitig vor 20 Busladungen olympiagieriger Besucher wandelten wir hinüber ins Museum, wo alles Wesentliche in kühlen Räumen ausgestellt war. Ich wies Viktoria mit Genugtuung darauf hin, daß der marmorne Apoll ganz schöne Speckröllchen an der Taille hatte. Nach dieser Bildungsoffensive belohnten wir uns zu Mittag mit Orangen und selbstgemachter Limonade. Die Mittagsruhe fiel wieder etwas länger aus, weil die Hitze wie Griessbrei im Tal lag und die Gehirnwindungen verstopfte. Aber wir wollten ja weiter, und stöhnend brachen wir unser Lager ab. Zelten ist Arbeit, und Arbeit ist krebsfördernd (alte Camperweisheit).
Dann war alles verpackt, aufgestrapst und in den diversen Taschen eingesteckt. Vor der Abfahrt machte ich dem Methusalix schnell noch die rechte Bronchie (wegen Verschleimung), und den linken Gaszug (wegen Verklemmung) wieder frei, dann konnten wir uns auf den Weg nach Kalamata machen. Waren ja bloß 120 km auf meist guter Straße, und es war erst halb sechs. Eine schöne Etappe, aber es war gut, daß wir die Straße fast für uns allein hatten, denn mit meinem in der Hitze schläfrig gekochten Hirn wollte keine rechte Konzentration aufkommen. In Kalamata war wieder mehr Verkehr, und alles durcheinander. Der Zeltplatz lag etwas außerhalb, am Strand, und wurde von einem freundlichen, bärtigen jungen Griechen und seiner entzückenden spanischen Frau (die Heimweh hatte, und bei ein paar spanischen Sätzen von mir förmlich schmolz vor Freude) geleitet. Nach Erledigung der Pflichtübung Zelt aufstellen speisten wir im Restaurant "Zum übersichtlichen Menü" zu Abend. Diesmal sangen uns nur zwei Frösche in den Schlaf. Das ging ja noch.

- - natürlich geht's noch weiter, nur Geduld

decet Offline




Beiträge: 7.690

30.11.2011 14:54
#5 RE: Hellas für Anfänger Antworten

13.5.1982
Die griechischen Wochentage werd' ich schon auch noch lernen. Montag heißt Δευτέρα oder so. Es war aber schon Donnerstag, und wir ließen das Duschen zugunsten eines Luxusfrühstücks ausfallen. Das zu finden war aber nicht ganz einfach. Der erste Tavernist sagte uns bedauernd, er hätte kein Zubehör für Frühstück, und der zweite - nachdem wir ein Viertelstündchen dagesessen waren, ging ich mal kucken, und da saß er, gramzerfurcht über seiner zerlegten Registrierkasse, und stocherte mit einem Schraubenzieher drin rum. Nach einer kurzen Debatte gabs aber dann doch Frühstück, und wir konnten unseren Ausflug nach Σπάρτη (Sparti) beginnen. Die Straße dorthin war aber nicht so ganz einfach zu finden. Als günstig erwies sich der Umstand, daß nur vier Straßen aus Kalamata herausführen, und die hat man ja bald alle durch. Ziemlich schnell waren wir in dem großartigen, wilden Ταΰγετος (Taygetos-Gebirge), durch das sich die einigermaßen gut ausgebaute Straße hinauf und hinunter wand. Kaum ein Fahrzeug war unterwegs, und die würzige Luft kitzelte unsere Nasen mit dem Duft von Liebstöckel, Kiefernharz und anderen wohlriechenden Essenzen. Am Eingang zur Provinz Lakonia verriet uns eine neben der Straße aufgestellte Straßenkarte eine Abkürzung, die dann zwar ein bißchen nach Maultierpfad aussah, uns aber dafür mit dem großartigen Anblick von Mistras über den Bäumen belohnte. Methusalix fand ein Plätzchen im Schatten, wir gaben unsere Jacken dem obligatorischen Siebzig-Drachmen-Zerberus (der Eintrittspreis für die meisten Sehenswürdigkeiten war 70 GRD) am Parkplatz zur Aufbewahrung, und wir stiefelten los. Das Städtchen Μυστράς mußte einst reizvoll gewesen sein, mit einer dräuenden fränkischen Zwingburg auf dem hohen Bergzug über der Ebene von Sparta, mit all den an den Berg hingedrängten Häusern und Kirchlein, und mit schmalen, steilen Gäßchen, durch die niemals ein Wagenrad rollte. Alles war grün wie ein Garten, tausende Bienen summten geschäftig durch die blühenden Büsche, ohne sich um uns dumme Menschen zu kümmern, die nur Augen für die Steine und keinen Sinn für die köstlichen Blüten hatten. Leider war die Stadt bereits verfallener, als es unser Reiseführer wußte, aber die wenigen erhaltenen Fresken ließen uns einen Schatten vergangener Pracht erahnen. Insgeheim hoffte ich ja, bei einem neugierigen Blick in eins der Ruinchen noch eine vergessene Antiquität zu finden, ein Goldringlein oder einen Dolch - aber da waren wir wohl einige hundert Jahre zu spät dran...
Zwei der Kirchen waren noch in Betrieb, und dort konnten wir sehen, was dazugehört: Ikonen, Teppiche, Leuchter, Chorgestühl und mannigfaltiges andere Liturgiezubehör. Ein Brünnlein im Pantanassa-Kloster spendete uns einen Schluck frischen Wassers, dann wagten wir den Aufstieg zur Festung.
Es waren schon einige hundert heiße Höhenmeter, aber der Ausblick lohnte die Mühe, und wir fanden sogar in der sonst sehr verschlissenen Ruine eine halbgefüllte (also noch dichte) Zisterne, allerdings mit unerreich- und -genießbarem Wasser. Wir fühlten uns von dem Ausflug beinahe überfordert, aber beim Abstieg trafen wir eine französische Touristin, die's noch schlechter vertragen hatte, sie saß mit Hitzschlag in der Kirche und erholte sich mühsam.
Spät verließen wir die Stätte und belohnten uns in Tripi mit einer kräftigen Mahlzeit, bevor wir uns auf den Rückweg übers Gebirge machten. Die Wirtschaft hatte keine Wasserleitung, sondern bezog das köstliche Wasser direkt aus dem Berg. Entsprechend gut war der καφές ελληνικός (türkischer Mokka - aber so heißt er nur außerhalb Griechenlands), mit viel Umph drin. Wir schliefen aber trotzdem gut.

14.5.1982
Der Tag begann mit Hausaufgaben: Suche nach Warmwasser, einer Bank, einer Buchhandlung, einem Frühstück, einer Apotheke (Vitamin B gegen die Mücken). Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge, aber auch nicht durchweg von Erfolg gekrönt. Viktoria zeigte außerdem Anzeichen einer beschleunigen Verdauung. Zwei Wunderriegelchen aus unserem Erste-Hilfe-Vorrat taten zwar ihre Wirkung, aber das Frühstück fiel etwas schlampig aus. Eine zeitraubende Suche nach dem Loch in der Luftmatratze, und eine Siesta verbrauchten die Hälfte des Nachmittags. Wegen des unzulänglichen Frühstücks packte uns allerdings zu früh der Hunger, bevor noch die griechischen Wirte Warmes zu bieten hatten, und wir schlangen kalte Moussaka mit kaltem Öl hinunter. Hätten wir nicht tun sollen, denn die geplante Κοκορέτσι-Fresserei (Kokoretsi, das ist am Spieß gebratenes, mit Kräutern pikant gewürztes Hammelgekröse, und den Tipp hatte uns der SR-Sepp gegeben) wurde dann wegen Appetitmangels ersatzlos gestrichen. Na, nicht ganz ersatzlos, denn die überfetteten Mägen nahmen eine Alkoholtherapie dankbar zur Kenntnis. Damit ließ sich auch der einsetzende Regen leichter ertragen, obwohl wir in der Nacht einige Male von dem Getrommel auf der Zeltplane geweckt wurden. Das konnte ja morgen heiter werden...

- - das geht jetzt so lange weiter, bis jemand "Halt" sagt, oder bis wir wieder zuhause sind

decet Offline




Beiträge: 7.690

30.11.2011 19:17
#6 RE: Hellas für Anfänger Antworten

15.5.1982
Langsam klarte es am Morgen auf, und wir machten dann doch den Ausflug nach Πύργος Διρού (Pyrgos Dirou), um die berühmten Grotten zu besichtigen. Die Zeltnachbarn hatten uns vorgeschwärmt: "Das is toll, da kannste mitm Boot in der Höhle rumfahren, fast ne ganze Stunde lang!" Hörte sich nicht schlecht an, und obwohl das Wetter um elf noch nicht so überzeugend aussah, fuhren wir los. Aber nicht ohne ein nahrhaftes Frühstück mit Schafsjoghurt und Nutella. Den Fehler vom Vortag wollten wir nicht wiederholen. So gestärkt, wurden wir leichtsinnig: Trotz tief in den Bergen hängender Wolken und des nächtlichen Regens fuhren wir in Jeans und Turnschuhen, Viktoria sogar ohne Nierengurt. Schon nach der halben Strecke bereuten wir's, denn selbst in der Sonne war es kalt. Fahrt nach Griechenland, hatten sie gesagt, da haltet Ihr's vor Hitze nicht aus, hatten sie gesagt. Pah. Nach einem Starkstromkaffee mit Erdnüssen, und einem leidenschaftlich vorgetragenen politischen Bekenntnis des Cafetiers ("Willi Brandt? Ah-ah. Strauss - gutt. Παπανδρέου - σοσιαλιστικός. Χάιλ Χίτλερ!") ging's gestärkt und gewärmt weiter. Von weit unten schimmerten die sonnenüberfluteten Buchten golden und blau herauf, aber auf der Höhenstraße rollten wir unter einer Wolkendecke dahin. Bis wir die Bucht von Diros erreicht hatten, erlebten wir außer den großartigen einsamen Bergen mit den allgegenwärtigen Ziegen und einzelnen Eseln am Straßenrand nur die Angst: wird's wieder regnen?
Bei den Höhlen traf uns fast der Schlag: Es wimmelte nur so von Besuchern. Ein Aushang informierte uns, daß wir 2 1/2 Stunden würden warten müssen. Diese Geduldsprüfung konnten wir mit einem gepflegten Imbiß (Roastbeef und Spaghetti, gottlob warm), einem Spaziergang und einem bißchen Gekraxel abkürzen. Dann waren wir dran und begaben uns zum Höhleneingang. Dort wurden gerade die Nummern bis 75728 aufgerufen. Wir hatten 75743/4, sollten also bei der nächsten Gruppe dabei sein. Wie schön. Doch was war das? Wie ein Unwetter erschien am Horizont ein καλυμμαύχιον (Popenhut) mit dem dazugehörigen Schwarzrock drunter, dicht gefolgt von dessen Reisegruppe. Der Würdenträger segelte elegant zum Eintrittsfuzzi, sträubte seinen Bart, runzelte die Stirn über der Hornbrille, murmelte immer wieder in hoher, durchdringender Tonlage mit seinen ängstlich dreinblickenden Schutzbefohlenen, und erzeugte allgemeine Unruhe. Das war nämlich so gewesen: Die waren zur Kasse gekommen, hatten trotz der langen Wartezeit ihre Eintrittskarten gelöst, und waren dann mit ihrem Bus geschlossen über Land, j.w.d. zum Essen gefahren, weil der "Fettige Löffel" vor Ort zu sehr nach Nepp ausgesehen hatte. Und die Schäflein des Herrn pflegen ja auf frommen Pilgerreisen ihre Gottgefälligkeit auch dadurch herauszukehren, daß sie sich nicht mit dem Zeug fürs ungläubige Fußvolk abspeisen lassen, da muß schon was Besonderes auf den Tisch.
Kurz und gut: Als sie gespeist und getränkt und tischgebetet wieder ankamen, waren ihre Nummern schon längst aufgerufen und verfallen. Der brave Pope konnte aber so einen Affront gegen die Auserwählten nicht hinnehmen und machte einen Riesenzwergenaufstand, drohte wohl auch, ein Erdbeben herbeizubeten, oder eine Heuschreckenplage, jedenfalls debattierten sie endlos (und hielten den Betrieb auf), setzten sich nach jeder Verhandlungsrunde erschöpft in gegenüberliegende Ecken des Rings und bekamen völlig unnötige Kühlung zugefächelt. Irgendwann gab der Kerberos nach und ließ die Gerechten ein ins Höhlenparadies.
Auch wir durften dann etwas später hinein, und die Warterei hatte sich gelohnt. Eine halbe Stunde lang gondelte unser Kahn durch immer neue, prächtige Tropfsteinsäle, nicht sehr hoch, aber vollkommen unangetastet, stellenweise mit flaumfeinem Kristallpelz bewachsen, widerhallend von dem in der Stille sehr lauten Tropfenfall. Die rechte Weihestimmung stellte sich allerdings nicht ein, denn der Gondoliere rechnete uns immer wieder vor, wieviel Jahre Knast das gibt, wenn man einen Stein abbricht.
Beim Verlassen der Höhle drohte der Himmel mit herabsinkenden Tropfschleimwolken, und hektisch sattelten wir auf. Bis 15 km vor Kalamata war's nur kühl und neblicht, aber dann, Zickebumm! ging das Gewitter los und machte all die trockenen Kilometer bis dahin zunichte. Unser Regenzeug war leider im Zelt geblieben, wir waren augenblicklich vollgesogen, und die Blitze schlugen für meinen Geschmack viel zu nahe ein. Naß zeigte die Straße erst, was sie konnte, und die bei trockenem Belag vergnüglichen Kurven wurden zur glitschigen Horrorpiste. Ei weia, die Emotionen schlugen ebenfalls hoch, und erst als wir warm geduscht in trockenen Klamotten an einem prasselnden Kaminfeuer in der Bar des Campingplatzes die Zehen spreizen und uns einen Grog vom Siebenstern-Metaxa einfüllen konnten, war die Welt wieder in Ordnung. Wir fanden sogar noch die Nerven, uns an den Strand zu stellen, das prächtige nächtliche Feuerwerk über dem Meer zu bewundern und uns daran zu freuen, daß wir nicht dort waren.
"Morgen wird gutt." versicherte uns der Kapo, und seine süße Spanierin nickte und lächelte schüchtern dazu.

- - Schluß für heute, morgen mehr

decet Offline




Beiträge: 7.690

01.12.2011 07:00
#7 RE: Hellas für Anfänger Antworten

16.5.1982
Beim Erwachen war der Trockenraum eröffnet (Sonnenschein), die Wäscheleine kriegte Arbeit, und nach dem Frühstück waren Jeans, Handschuhe und Jacken so weit getrocknet, daß wir einen kleinen Ausflug nach dem nahen Μεσσήνη (Messenä) wagten. Wenn man den richtigen Weg nähme, wäre es auch nicht weit. 40 Straßenkilometer für 5 km Luftlinie zeugten allerdings nicht so von genialer Navigation... Das Beste an Messenä war das schnuckelige kleine, beinahe vollständig erhaltene Amphitheater im Ortszentrum. Das Urtümlichste war der Maultierpfad dorthin, den Methusalix mit Bravour nahm (obzwar dabei eine Schraube auf Nimmerwiedersehen aus dem Blinkerglas geschüttelt wurde). Viktoria rief: "Ich geh lieber zu Fuß!" und ich ließ sie absteigen. Ohne Sozia konnte ich sogar elegant ein vierhufgetriebenes Langohr mit Runterschluckvergraser auf dem felsübersäten Weg ausmüllern, aber als Viktoria mühsam storchend aufgeschlossen hatte, stieg sie zum Rückweg reumütig wieder auf, dieses Geröllbett war zu Fuß noch unangenehmer als hinten auf der Gummikuh. Das Gewaltigste an Messenä war das Stadttor, und der Rest, na ja, wie Travniçek sagt: "Wos wolln's, de san jo hinich, is ja ollas bauföllich." Übrigens: Leichtsinn macht kalte Füße, denn ohne Socken war's in den Latschen doch etwas zugig. Morgen wieder mit!
Abends wollten wir endlich unsere gegrillten Hammeldärme einnehmen, aber Kosta der Griller hatte Ruhetag. Dann eben morgen. Ersatzweise pilgerten wir im Stadtzentrum hinter Horden von frei herumlaufenden Soldaten zu einer Abfütterungsstation für Minderverdienende, und bestellten dort in Unkenntnis der Sitten und Gebräuche "δύο σουβλάκια, παρακαλώ" (zwei Souvlakis, bitte) - das ist ungefähr so, als ob man zwaa Nernbercher Broudwerschdla bestellt. Zu zweit. Gemeint hatte ich allerdings zwei Portionen. Zuerst blickte man uns ziemlich scheel an ("Das sind gewiß Kaledonier"), aber als wir dann noch mal ein Dutzend bestellten, und μπριζόλες αρνιών (Lammkoteletts), und μπιφτέκι (Hamburger) und ένα λίτρο του ρετσίνα (1 Liter Retsina), da zeigte sich der Mundschenk wieder etwas gnädiger. Allseitig Zufriedenheit hergestellt, konnten wir unseren neuen Zeltnachbarn noch eine Weile zusehen, wie sie an der Honda die Zündung einstellten, aber dann ward's Nacht.

17.5.1982
Diesmal aber richtig: Mit Socken! Erst zum Karageorgis-Büro, um uns in eine Zweibettkabine umbuchen zu lassen, aber da ging nix. Dieses verflixte in Deutschland gebuchte Billigticket hing uns an wie ein Kropf, umbuchen nur bei der ausgebenden Stelle, und das war der ADAC, der weit und breit keine Präsenz zeigte. Dann eben nicht. Dann werden eben die für diesen Zweck zurückgelegten Drachmen verfressen.
Und auf nach Nestors Palast. Der ist an der Westküste, und nach der gestrigen Glanzleistung hoffte ich, etwas besser zu navigieren. Tatsächlich gelang es, ohne übertriebene Umwege den Ausgrabungsort zu finden. Es war fast niemand außer uns da, und nach den vergleichsweise langweiligen Ruinen fuhren wir noch ein Stück zurück, um im zugehörigen Museum das antike Geschirr zu betrachten. Besonders angetan hatte's uns der große Öl- oder Weinkrug mit dem Oktopus. Wieder mal in der größten Hitze besichtigt, belohnten wir uns in Pilos mit ντομάτες γεμισμένες (gefüllte Tomaten) und καλαμαράκια (Tintenfischlein). Die Aussicht über die Bucht, die seit der Antike als sturmsicherer natürlicher Hafen dient, ist großartig, aber ebenso großartig fanden wir dann die Burg von Methoni, in deren schönen, wenn auch nicht ganz so antiken Steinen wir stundenlang herumstiefelten. Um die Tour um den Südwestzipfel des Peloponnes zu komplettieren, fuhren wir Richtung Gewitterwolken (d.h. Kalamata) durch einen künstlich angelegten, beinahe ausgetrockneten Bachlauf nach Koroni. Auf der Karte war diese Sonderprüfung übrigens schlicht als "unbefestigte Nebenstraße" markiert. Vor der schlimmsten Stelle begegneten uns zwei im Wohnmobil, die's schon hinter sich und einen etwas irren Blick hatten. Methusalix war in dem Bachbett ganz in seinem Element. An der schlimmsten Stelle standen dann zwei Amis neben ihren japanischen Vierzylindern (ich glaub eine Suzuki und eine Honda), die bei dem notwendigen Schritttempo zu heiß geworden waren. Ihre Batterien hatten sie mit den abgesoffenen, heißen Motoren leergeorgelt, anschieben ging in dem Geröll nicht, und Kickstarter - so was Antiquiertes gibts doch gar nicht mehr. Sie waren aber guten Mutes, zur Zivilisation waren's ja nur ein paar Kilometer, und Hilfe wollten sie von mir keine.
Dann fuhren wir dicht hinter Koroni in den Regen. Kehrt Marsch-'arsch! Kurz entschlossen fielen wir seitwärts in die erste beste Kneipe, um den Schauer auszusitzen. Es war ein Glücksfall, denn erstens gab's griechisches Bier, zweitens märchenhaft preiswertes Essen, und drittens lernten wir unter Mithilfe von vier bereits auf den spendierfreudigen Wirt eingesoffenen Ösis, was Fledermaus auf griechisch heißt: νυκτερίδα. Leider konnten wir aber an dieser gastlichen Stätte nicht verweilen, weil wir morgen reisen mußten, und so brachen wir auf, sobald die Straßen nach dem Regenguß begannen, zu trocknen. Es dämmerte bereits, und auf der unbekannten, tückischen, teilweise noch nassen Strecke fuhr ich im 2.Gang. Wir waren schon auf Reserve, aber es waren ja nur noch 40 km, so viel ist da noch drin. Die letzte Station vorm Zeltplatz war der Kosta im Hafen von Kalamata, oh Wunder, er hatte offen und noch reichlich Hammelinnereien am Spieß. Aaah, ein Genuß. Na also. Aber 200 m nach der Verköstlichung sagte Methusalix "BRRR-R-P-PP-FFT-FFT-FFT!" und hatte den letzten Tropfen Sprit durch die Düsen gegurgelt. Wenn nicht die Nachtluft so lau, die Straßen trocken, der Himmel voller Sterne und der Campingplatz nur noch 4 km weit gewesen wäre, hätten wir ziemlich alt ausgesehen. So war es nur ein ausgedehnter Verdauungsspaziergang. Und machte schöön müde.

- - und im nächsten Abschnitt verlegen wir unser Basislager noch einmal

decet Offline




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01.12.2011 11:21
#8 RE: Hellas für Anfänger Antworten

18.5.1982
Weil die Museen wieder alle geschlossen hatten, war Reisetag. Bis Megalopolis ging's im Sommeranzug, aber dann: Fahrt nach Griechenland, hatten sie gesagt. Und so sahen wir dann wieder feldmarschmäßig belederhost und -handschuht aus, der Regen meinte es nicht so richtig ernst, und wir ließen es gegen die Kälte beim Leder bewenden. Ja, ja.
Das verschlafene Städtchen Nauplion war - wie der dicke Hondafahrer in Kalamata berichtet hatte - nicht toll. Der Wind blies uns kalt durch die Jackennähte, und wir verließen den langweiligen Ort in Richtung Παλαιά Επίδαυρος (Palea Epidavros), im Folgenden kurz "P.E.".
Dort fanden wir einen hübschen Zeltplatz mit fließend (solarthermisch) lauwarmem Wasser, Orangenbäumen, direkt am Meer, mit blauem Himmel drüber! Nur ein kleines Detail störte: Die Klos waren in althellenischer Bauweise als Kauerklos eingerichtet. Nichts ist vollkommen. Abends tuckerten wir ins Dorf und fanden ganz unverhofft eine Wirtschaft, die uns zwar gemächlich, aber wohlfeil mit Souvlaki versorgte. Gut.

19.5.1982
Wir hatten noch einiges vor. So gegen halb elf machten wir uns gemütlich auf den Weg. Beim ersten Störfall (großer entgegenkommender LKW hatte rinks und lechts velwechsert) ging meine Hupe nicht mehr, aber weil wir nicht so breit waren wie ein Wohnmobil, hat er uns nur erschreckt und nicht rasiert.
Tiryns: große Steine und wirklich zyklopische Mauern. Der Lageplan im Polyglott-Führer schien allerdings nach dem Gedächtnis gezeichnet zu sein. Bevor der große Krach (zwei Busse näherten sich) losging, fuhren wir weiter nach Mykene, das nehmen wir schnell noch mit - dachten wir. In der Nähe von Mykene wurden die Busse immer zahlreicher und frecher, und am Parkplatz standen 30 Stück und würgten Leute aus. Hauptsächlich Franzosen und Niederträchtler, ein paar Deutsche und USAnianer, egal, es waren zu viele. In der Grabkammer des Atreus-Schatzhauses traten wir einander buchstäblich auf die Füße, und das Löwentor war heftiger umlagert als während der peloponnesischen Kriege. An den weniger bekannten Stellen wurde's dann dünner. Die Touristendichte schien exponentiell mit der Entfernung zum Löwentor abzufallen. Ganz hinten, wo die Zisterne in finstere, muffige Tiefen führte - zu finster und muffig, um hinabzusteigen - waren's noch 2 pro Quadratmeile: Wir zwei. So andächtig folgten wir Agamemnons Spuren, daß wir beinahe zu spät zum Pinkeln kamen, denn das Klo wurde um halb vier geschlossen. Überhaupt wurde alles um halb vier geschlossen, und die Siebzigdrachmen-Zerberusse schwärmten trillerpfeifend aus, um das Gelände vom Geschmeiß zu säubern. Dreieinhalb Stunden waren wir in dieser ehrwürdigen Kulturstätte herumgelungert, ein Schluck Zitronensaft aktivierte den Speichelfluß in unseren ausgedörrten Mäulern, und wir machten uns von hinnen. In Argos verirrten wir uns ein bißchen, weil die Straße nicht wiederzuerkennen war: In der Mittagspause hatten sie die komplett geteert. Alle Achtung.
In P.E. hatten wir unsere liebe Not, eine Erfrischung zu kaufen. Die erste Taverne wurde gerade geweißelt, aber wir merkten nur an der beharrlichen Nichtbedienung, daß sie κλειστόν (geschlossen) war. Die am Hafen war aber ανοικτόν (geöffnet), und man verkaufte uns was zu trinken. Ein riesenhaft bespringerstiefelter Großfuß vom Stamm der YAMAHAner saß auch dort und behauptete, das sei die beste Kneipe Griechenlands. Von der noch besseren, die wir gestern gefunden hatten, wußte er noch gar nix, obwohl er schon eine Woche da war. So ganz blöd waren wir also doch nicht.
Das mit dem Schwimmen ließen wir wegen niedriger Temperatur, hoher Wellen und zu vieler Quallen noch mal weg, und ich brachte meine stumme Täte wieder zum Tuten. Braucht man im Süden unbedingt. Heute gingen wir mal zu Fuß in die City, um uns mit fachmännisch gebratenem Fisch zu belohnen. Die Bedienung war allerdings etwas nachlässig, weil im Fernsehen das UEFA-Pokalendspiel übertragen wurde. Der HSV wurde von Göteborg derbe geknickt, sehr zum Leidwesen der anwesenden Hanseaten. Unter einem wundervollen Sternenzelt marschierten wir - etwas beklommen ob der unbeleuchteten Straße - zum Nachtlager.

- - wie es weitergeht, können sie demnächst in diesem Thread nachlesen

decet Offline




Beiträge: 7.690

01.12.2011 16:38
#9 RE: Hellas für Anfänger Antworten

20.5.1982
Ganz, ganz früh machten wir uns auf den kurzen Weg ins Ἀσκληπιεῖον (Äskulap-Heiligtum) des antiken Epidauros, um im Morgenlicht die Ersten zu sein. Laut Führer öffneten die Pforten um acht, laut Anschlag am Türchen um zehn. Kein Unglück, denn nun konnten wir das der Kultur geopferte Morgenmahl in Ruhe nachholen. Als wir von unseren Logenplätzen am Cafétisch aus sahen, daß der ans Tor anbrandende Mob nicht mehr zurückflutete, erhoben wir uns und fluteten ebenfalls hinein. Es war nicht so schlimm wie in Mykene, die Massen verliefen sich in der riesigen Theateranlage ganz zwanglos, und bei der Ausgrabung trieben sich außer einer Familie mit einem kleinen Hosenpisser (der etwas kläglich breitbeinig hinter seinen Eltern herstakste) nicht viele rum. Wir lernten, wie die antiken Kurärzte ihre Patienten (und sich) gesund gemacht hatten: Mit viel Stein, Ruhe und Gesundbrunnen (dessen Wasser schon damals von einer Super-Kläranlage chemisch, biologisch und physikalisch aufbereitet worden war). Kleinod: Von einem der freigelegten kleinen Behandlungsräume, vergleichbar mit großen Duschkabinen, war nichts übrig geblieben als der Mosaikfußboden, hinreißend schön, aber nur sichtbar, wenn angefeuchtet. Einer der Wächter hatte einen feuchten Lappen und zeigte uns das magisch erscheinende - und wieder verblassende - Bild. Erst als wir um die Mittagszeit die erhabene Stätte verließen, sahen wir, wie sehr sie sich aufgefüllt hatte: der Parkplatz, der im Frühtau leer gegähnt hatte (so früh pflege ich auch zu gähnen), war nunmehr unter einer geschlossenen Blechdecke verschwunden. Nur schnell weg hier. Wie schön war es dagegen in P.E., und eine Moussaka, die RICHTIG warm war, rundete den Besuch in der Wiege der Medizin wohlgefällig ab.
Was sollten wir mit dem angebrochenen Tag anfangen? Ein kleiner Blick in die Bremse, der Staub mußte raus. Und die Öltropfen, die sich an einigen Stellen verklemmt hatten, bekamen Gesellschaft. Viktoria tankte Ultraviolettes, weit und breit kein Streß. Wozu hat man Urlaub. Abends holten wir eine Flasche vom süßen Roten und spülten den Tag hinunter. Himmlisch ruhig war's, das Gebrüll der Spatzen und das Rascheln der Blätter waren die lautesten Geräusche.
Ach.

21.5.1982
Nach dem üblichen gemütlichen Aufstand fuhren wir noch mal Drachmen kaufen, und guckten dann die Festung von Ναύπλιο (Nauplion) an. Außer einer kleinen Wirtschaft mit schöner Aussicht und Φιξ-Bier (FIX-Bier aus Athen, von der damals kurz vor dem Konkurs stehenden deutschen FIX-Brauerei), sowie einem Haufen besichtigender Schulkinder hatte die Burg nur noch eine vollkommen erhaltene Zisterne zu bieten. Vollkommen erhalten war auch das seit den Türkenkriegen da drin stehende Wasser, und das roch entsprechend. Beim Hinausgehen knallte ich mit dem Hirn derartig an den niedrigen Bogen eines Durchgangs, daß mir das Glas aus der Brille sprang. Eine deftige Beule trug ich auch davon. Die krummbeinigen Eroberer, die sich zum Anfang des 18. Jhd. hier ausgetobt hatten, waren wohl klein genug gewesen für die niedrigen Türen. Beim anschließenden Gang über den weitläufigen Burghof kickte ich übellaunig nach einem Stein, der aber für seine Größe viel zu schwer war: Es war die größere Hälfte einer eisernen, wahrscheinlich türkischen Kanonenkugel, und die steckte ich als Entschädigung für die Beule ein. Entrostet und eingeölt, gibt das Ding einen prächtigen Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch ab.
Unten im Ort gab's auf dem Markt gefüllte Weinblätter und schönes Gemüse. Die Weinblätter aßen wir gleich am Marktstand, eine Honigmelone nahmen wir mit nach P.E., füllten die Hälften mit μαύρη δάφνη (Mavrodafni, süßer Dessertwein) und löffelten die Suppe aus. "Feinschmecker!" sagte neidisch der Harley-Zeltnachbar.
Abends wollten wir zum Essen, wo Lämmer sich am Spieße drehten, aber das war eine geschlossene Gesellschaft, und die ersatzweise verspeisten Souvlaki waren diesmal versalzen und verbrannt. Am Zeltplatz spülten wir den Ärger mit erheblichen Mengen Ouzo hinunter, während die Hamburger mit dem Münchner Harley-Mann verbissen Skat spielten. Die schmierten das Blatt allerdings mit tiefen Zügen aus einer Zweiliter-Metaxaflasche. Da wurde man schon vom Zuschauen bedrömmelt (noch viel mehr, wenn man als brav schweigender Kiebitz die Flasche hingestreckt bekam), und um Mitternacht gingen uns die Lichter aus.

- - Fortsetzung folgt (wenn der Ausdruck Fortz hier gestattet ist)

decet Offline




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01.12.2011 20:13
#10 RE: Hellas für Anfänger Antworten

22.5.1982
Vor Sonnenaufgang weckte mich die Blase. Bei der Gelegenheit konnte ich auch den Ouzokater begutachten. Gahnich schlimm. Bloß der Geschmack im Mund... Na, noch ein paar Stündchen Schlaf heilen das vielleicht auch. Sonnenaufgang kucken mach ma a anders Mal.
Gegen neun gab's wieder ein nahrhaftes Kaffee- Schafsjoghurt- Orangensaftfrühstück, und dann fuhren wir nach Πορτοχέλι (Portocheli). Die Straße dorthin ist wunderschön, zwar mit den üblichen Schlaglöchern, aber sonst beinahe vollkommen. Porto Cheli war zu dieser Jahreszeit noch nicht überlaufen, gerade richtig für ein paar Spinner mit kleinen Segelbooten, das Hafenrestaurant mit den Hummern war an der richtigen Stelle, und nach kurzer Suche fanden wir ganz in der Nähe auch eine wirklich einsame Badebucht, wo man schön schwimmen und anderen Sport treiben konnte. Endlich hatten wir mal so was gefunden, und bekamen nicht immer nur davon erzählt. Nachdem wir uns einige Stunden dort herumgetrieben hatten, und ich beim Hämmern mit dem großen Bügelschloß dessen Schlüssel abgebrochen hatte (die Strafe fürs Kristalle wildern), fuhren wir zurück ins Kaff und verdrückten je einen prachtvollen αστακός (Languste). Schmackofatz. Nur das νερό schmeckte wie Kartoffelsud. Mußten wir halt Wein trinken.
Gegen Sonnenniedergang ging's wieder heim. Es war ja noch eine halbe Flasche Mavrodafni und etwas Ouzo zu entsorgen. Außerdem rief die gesalzene und gedörrte Haut nach wässern und salben. Autsch. das zischte. Aber wir hatten uns ganz vorschriftsmäßig verfärbt. Ich sach ma: der erste Hochzeitstag hätt auch schlechter ausfallen können.

23.5.1982
Heute war aber nun wirklich Ruhetag. Der erste, dem das auffiel, war der Hamburger Michel. "Wäs'n däs? Nu is däs schon män hälb zehn, und iäh sitzt immä noch dä rum? Wollt iäh heute do blei'm?" - Wir wollten. Uns zog's nur spaziermäßig ins Dorf. Den Ausflug zu den hinter den sieben Bergen vermuteten sagenhaften einsamen Badebuchten hatten wir wegen Sonnenbrands und übermäßiger Hitze gestrichen. Wir setzten uns in eine kühle Taverne, ich ließ mir eine Riesenölsardine mit verschiedenen Getränken bringen, und wir hörten der original griechischen Stereoanlage zu: Die zwei angesäuselten παππούδες (Opas) der Wirtin sangen zweistimmig schwermütige Lieder, und die Wirtin wollte sie wegen uns zum Schweigen bringen, was ich ihr aber ausreden konnte. So was kriegt man schließlich nicht alle Tage geboten. Auf dem Rückweg drückte uns ein netter Bauer ein halbes Dutzend Orangen in die Hand und erzählte uns, daß er zweimal im Jahr erntete.
Jetzt hatten wir doch Lust auf eine Expedition bekommen und bestiegen den gelben Gaul, denn wir wollten auch hier eine einsame Badebucht finden, zu der eine breite Straße führt. Einen Weg Richtung Meer fanden wir zwar, aber der degenerierte nach höchstens 5 km zu einem Gemsen- oder Ziegenpfad, und nach weiteren drei km verdunstete auch der Saumpfad - pfft - obwohl man das Meer schon sah. Aber mit unseren Turnschühchen wurde es uns in dem felsigen, mit losem Geröll übersäten Gelände dann doch zu ungemütlich, und nachdem wir zum Motorrad zurückgefunden hatten, besuchten wir lieber Νέα Επίδαυρος (Nea Epidauros), wo wir ein ausgesprochen wohlfeiles Hammelmahl mit viel Öl und ohne viel Salat erstehen konnten. Wieder am Zeltplatz, ergänzten wir die Mahlzeit mit Ouzo, um das viele Öl zu binden. Ja, und dann hatten wir ein gutes Gespräch mit dem Harleyfahrer, der uns ein paar Tipps für unseren Ausflug nach Athen geben konnte. Doch davon später mehr.

- - nämlich morgen

Sukasta Offline




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01.12.2011 20:38
#11 RE: Hellas für Anfänger Antworten

knorri2 Offline



Beiträge: 4.674

01.12.2011 22:51
#12 RE: Hellas für Anfänger Antworten

Was ich morgens am 23.5.1982 gemacht habe, weiß ich ja noch.

Aber den Nachmittag krieg ich ums verrecken nicht mehr zusammen.

Scheiße.



Knorri

decet Offline




Beiträge: 7.690

02.12.2011 07:17
#13 RE: Hellas für Anfänger Antworten

24.5.1982
Weil die Museen ja landesweit am Dienstag geschlossen waren, hatten wir einen gerissenen Plan ausgeheckt: Montags ganz früh nach Athen fahren, das Museum besuchen, und abends nach Αίγινα (die Insel Egina), am Dienstag dann über Methana zurück nach P.E.
Nach Athen sind's 125 km, davon der größte Teil Schnellstraße durch ganz nette, aber nicht spektakuläre Gegend. Unterbrochen allerdings von dem sehr wohl spektakulären Kanal von Korinth, der sich wie eine vom Gigantenschwert durch die 50 m hohe Landenge gehauene Kerbe präsentierte. Wir gesellten uns zu der Horde Schaulustiger am Brückengeländer und bewunderten, wie sich tief unten der Schlepper "Ποσειδῶν" (Poseidon) mit einem italienischen Stückgutfrachter abstrampelte.
Tja. Das Museum wurde von sehr freundlichen Athenern bewacht, und die erklärten uns, daß dieses Museum am Montag geschlossen sei. Pause.
Aber weil wir ja nicht doof waren, fiel uns doch ein Ausweg ein: gleich nach Egina fahren und morgen ins Museum. ÄTSCH.
Die Fähre vom Πειραιάς (Piräus) zeigte uns wieder mal, daß die einzig menschenwürdige Art der Fortbewegung außer Motorradfahren die Seefahrt ist - WENN die Temperatur stimmt! Auf Egina angekommen, fuhren wir erst mal ein bißchen ziellos auf der Insel herum, bis wir den Tempel der Ἀφαία gefunden hatten. Die Aphaia ist eigentlich eine sehr sympathische Göttin, hat mit dem übrigen Drecksvolk des griechischen Olymp kaum etwas gemein als eben ihre Göttlichkeit, zu der sie auch noch gekommen war wie die Jungfrau zum Kind. Ich mag sie. Ihr Tempel gehört zu den schönsten Sakralbauten, die ich kenne. Die Ostseite ist beinahe vollständig erhalten (nur die Skulpturen aus dem Giebel stehen noch in München), und man spürt auch nach 2 Jahrtausenden noch die spirituelle Kraft, die von den Verehrern des göttlichen Mädels in Stein gehauen und gemauert wurde.
Nach dieser Erfrischung der Seele spürten wir den Wunsch, auch unsere Leiber mit einem Bad in einer außerordentlichen Badebucht zu erfrischen - aber wir wurden einfach nicht fündig. Ein kümmerliches Buchtlein konnten wir erreichen, die Straße versickerte noch einige 100 Meter vom Strand entfernt in Kies und Dreck, und der grobschlächtig geschotterte Strand muß noch einige 1000 Jährchen auf die Weide bzw. in die Wellenmühle. Da konnte auch nicht mal der tapsige Welpe was retten, der dort zwischen den Brocken herumschnüffelte.
Zurück nach Egina City, Hotel suchen. Das erste war das beste, und eine lauwarme Dusche machte uns so fit, daß beim Anziehen mein durch scharfen Männerschweiß zermürbtes Hemdchen in Fetzen ging. Also am Hafen die Andenkenbuden abgegrast, wo wir ein schickes Fischerhemd für mich und eine mit Goldplättchen bestickte Mullwindel für Viktorias angesengtes Dekolleté erstanden. Mit dem neuen Zwirn angetan, schmeckte das Abendmahl gleich noch mal so gut, obwohl uns eine (noch lebende) Riesenlanguste nervös auf die Teller glotzte. Wir verschonten sie aber, heute nur Oktopus und Lamm für uns. Nach einem kurzen Spaziergang zum zahnluckerten Apollotempel (eine Säule stand noch) sprang aus einer Gasse ein Kokoretsi und machte uns ein Angebot, das wir nicht ablehnen konnten. Schmatz Rülps. Nun aber schnell ins Körbchen, bevor uns noch was Eßbares anfällt!
Unter samtschwarzem Himmel mit dem nagelneuen Mond (im Hintergrund ratterte das Dieselschlagzeug der schwimmenden Disco) pilgerten wir in unsere feudalen Hotelbetten.

- - langsam geht's auf's Ende zu, aber ein paar Tage sind's noch

decet Offline




Beiträge: 7.690

02.12.2011 11:23
#14 RE: Hellas für Anfänger Antworten

25.5.1982
Im Vergleich zum Zelt hatte das Hotelzimmer allerdings den Nachteil, daß die Lüftungslöcher nicht mit Moskitonetz verschlossen waren, und ich hatte viel Spaß mit den kleinen Nachtjägern.
Zum Frühstück war keine Zeit, wir kauften für 68 Drachmen + eine Briefmarke eine Tüte Obst. Mit dem Delfin (Tragflügelboot) waren wir um 3/4 neun im Piräus, und mit dem Athener Verkehrsverbund (dessen Geheimnisse so ausgefuchsten Münchner ÖPNV-Adepten wie uns nicht lange verborgen blieben) um halb 10 im Museum. Das war allerdings nur halb so faszinierend wie im Reiseführer angepriesen, und nach einer Pflichtstunde zum Abgucken des Eintrittspreises beschlossen wir die Rückfahrt auf die Insel. Vermöge eines kurzen Schweinsgalopps erreichten wir auch tatsächlich noch den Ein-Uhr-Delfin und sahen auf- und schweratmend den Piräus im schwefelgelben Smog versinken. Kultur - fertig.
Der Delfin war ein heftiges Geschoß, ein 1100 PS 12-Zylinder Diesel in einer Aluminiumzigarre mit Flugzeugfensterchen, drunter die halbkreisförmigen Tragflächen, laut wie ein Rock-Konzert, in der Kabine stank's nach Diesel und nach dem Esbit-Kocher des Stewards, auf dem er im Ibrik - mit an der Kabinendecke seitwärts geknicktem Kopf - für den Piloten einen καφές braute. Aber schnell war das Ding.
Durch das Erwischen des Schnellbootes hatten wir eine Stunde gegenüber unserem Plan gewonnen und konnten bis zur Fähre nach Methana in Ruhe zum Essen gehen. Im Vergleich zu gestern lag der Wirt um einen Metaxa vorn. Dachte ich. Dabei hatte ich den versehentlich selber bestellt, als ich "Μεταξει" (Schnäpse) statt "εντάξει" (OK) gesagt hatte. Kaum gesagt, schon gebracht. Zum Nachtisch kriegten wir an unserem Hafenblicks-Tisch noch vorgeführt, wie man eine Segeljacht mit kollektiver Schiffsführung zum Hafen hinauswurschtelt - bei den wirren Manövern wären sie beinahe vom einlaufenden Halb-Drei-Delfin über den Haufen gekegelt worden, aber Poseidon hat wohl eine Schwäche für tappige Seeleute.
Pünktlich kam das ziemlich viereckige Fährschiff, hustete ein paar LKWs voller gebrauchter Telegraphenstangen aus, schlürfte uns samt ein paar anderer LKWs ein, und schon waren wir wieder auf der tintenblauen, von einem unverschämt himmelblauen Himmel überdachten Ägäis unterwegs. Als Reiseproviant hatten wir von einem Straßenhändler am Hafen ein Kilo (!) φυστίκια ψημένα (geröstete Pistazien) für 150 Drachmen erstanden, und die waren nicht nur spottbillig, sondern auch äußerst wohlschmeckend. Na ja, die wachsen ja dort überall.
Endlich begriff ich auch, warum über dem Kielwasser der Schiffe immer die Möwen schwärmen: Die lassen sich vom Propeller die Fische in den Schnabel wirbeln.
Das schwerste Stück an Bord war ein Laster mit grob geschätzt 30 Tonnen Bauholz, davon 10 Tonnen überladen, wie man nach der im Wellengang abwechselnd links und rechts aufsitzenden Federung vermuten konnte.
In Methana spielte sich der gleiche blitzschnelle Ein- und Ausladevorgang ab, ein Bauer, der wohl in Athen einen neuen gebrauchten Datsun-Pickup erstanden hatte, preschte als Erster von Bord, um im ersten, badewannengroßen Schlagloch BRUCH! seine Jungfernfahrt abrupt zu beenden. Dampfschwaden quollen aus der verstummten Motorhaube. Der schwere Balkenbrummi ächzte von dannen, während wir noch unsere Lenden gürteten. Die (einzige!) Straße nach P.E. hatte einer der griechischen Götter im Zorn erschaffen, durch eine herrliche Landschaft, aber schmal, unübersichtlich, kurvenreich, voller steiler Gefälle und Steigungen, schlaglöchrig und pro km Luftlinie jeweils an die 5 km Geschlängel. Den Holzfrächter hatten wir bald eingeholt, an überholen war nicht zu denken, aber im steilen Anstieg zu einem der verwinkelten Straßendörfchen schaltete der runter, runter, runter, runter... dann hatte er keinen kleineren Gang mehr und blieb taktisch günstig in einer engen Spitzkehre stehen. Wir konnten uns gerade noch vorbeizwängen, aber für die Dosen hinter uns war die Straße zu Ende. Der Brummos kratzte sich am Kopf, dann stapfte er davon, Richtung Dorf, um ein paar starke Männer zum Abladen anzuheuern...
Βασίλι (Wassili) am Zeltplatz freute sich wie ein Schneekönig, als ich ihm den auf Treu und Glauben ausgeliehenen Paß wieder zurückbrachte, denn die Rechnung war ja noch offen. Nach dem Begleichen derselben waren wir immer noch so flüssig, daß wir uns in der Hafentaverne mit Fisch und Retsina abfüllen konnten, denn morgen war Reisetag, und ob wir da was zu essen kriegen würden, war höchst ungewiß. Im kleinen Hafen wimmelte es nur so von Jachten, und - ei gucke da, bei Sonnenuntergang schipperte mit dem letzten Lüftchen auch das Bootsführerkollektiv von Egina zur Einfahrt herein. Sie hatten die 12 Seemeilen in 6 Stunden geschafft, na ja, sie hatten ja Urlaub.

- - aber der unsere neigte sich allmählich dem Ende zu...

decet Offline




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02.12.2011 15:50
#15 RE: Hellas für Anfänger Antworten

26.5.1982
Unter drohenden Wolkenfetzen wickelten wir unser Häuschen in verschieden große Päckchen und nahmen unser mangels Joghurt mit perfekt gekochten weichen Eiern verschöntes Frühstück ein. Die Wolken begleiteten uns pausenlos, berumpelten uns warnend bei der hastigen Mittagsbrotzeit am Straßenrand, bis wir kurz vor Patras die Nerven verloren und uns ins gelbe Zeug hüllten. Ha ha ha. Schwitzend ließen wir die grauen Gesellen hinter uns, keinen Tropfen ließen sie springen. Zeit genug war noch, ein mittelmäßiges Hotel zu finden, etwas zu rekognoszieren, χταπόδι (Oktopus) zu essen, und uns (zur Vorbeugung gegen nächtlich-levantinischen Lärm) mit Roséwein zu betäuben. καληνύχτα!

27.5.1982
Nach ausgedehnter, weil nötiger Morgentoilette verstauten wir - pünktlich wie die Maurer - unseren Kram in einer Ecke der Hotelhalle und gingen bummeln. Die große Andreaskirche war zwar erst neulich generalüberholt worden, aber von Experten - sah gut aus. Der weitläufige Kirchplatz hätte Austragungsmöglichkeiten für vier simultane Fußballspiele geboten. Zu Mittag aßen wir in einer schmuddligen Garküche eine Schüssel köstlicher Πάτσας (Patsas, saure Kuttelsuppe), und gesättigt pilgerten wir zum Hafen, mal kucken. Ich probierte zum Kaffee, was das "γλυκιά κουτάλιου" war: geschnipselte Orangenschalen in Honig, klebrig, aber die perfekte Beigabe zum καφές βαρύ γλυκός (schwer und süß).
Eine junge Frau in einer offenen Telefonzelle sagte ein ums andere Mal "...nee...nee...nee..." in den Hörer, ich dachte bei mir: Jetzt sag doch endlich mal "ja", du Luder! Dann ging mir auf, daß sie - natürlich - auf griechisch "...ναι...ναι...ναι..." (...ja...ja...ja...) gesagt hatte! Fremdsprachen.
Da saßen wir nun, die überpünktlichen Biker, und warteten darauf, daß wir aufs Schiff durften. Das war aber zu der Zeit noch irgendwo auf der Höhe von Bari. So schlugen wir den Nachmittag irgendwie tot, schlürften Limonade, Kaffee und ein, zwei Ouzos in einem halben Dutzend Bars, der Yamaha-Sepp war auch wieder zu uns gestoßen, aber als wir uns überlegten, daß wir eigentlich was zum Vespern mit aufs Schiff nehmen könnten, hatten alle Brotzeitverkäufer ihre Läden schon geschlossen. Also holten wir so gegen acht unser Gepäck und das Mopped und tuckerten - nach ein paar gezielten Fragen und einem kleinen φακελάκι (Bakschisch) an den Hotelportier - wieder zum Hafen. Der Karageorgis machte ja erst um 22 Uhr die Schalter auf, weil das Schiff vorher noch gar nicht einlief, also folgte ich der Beschreibung des Portners nach ganz, ganz weit hinten in den Hafen, wo köstlicher Bratfischgeruch von einer Bruchbude her wehte. "Ise beste Fische von ganze Patras!" hatte der Pförtner mit Verschwörermiene geraunt. Und er hatte recht gesprochen, wir sagten zu dem fettglänzenden Fischwirt: "ψάρια?" (Fisch?) und bekamen, was der Griller so da hatte, ein Prachtexemplar von irgendeinem Barsch, so kroß gebraten, daß die Flossen knirschend im Mund zerfielen und zergingen, aber der Rest war butterweich und genial gewürzt. Ich weiß bis heute nicht, was das für ein Tier war. Noch ein weiterer deutscher Motorradler war da, der hatte seiner schicken, stöckelbeschuhten Sozia offenbar versprochen, daß sie als Abschiedsmahl Oktopus bekommen würde - der Wirt hatte aber keinen, und das Mädel wollte sich mit "όχι!" (Nein!) einfach nicht zufrieden geben. Zoff lag in der Luft, als wir zahlten und zum mittlerweile bereits einlaufenden Dampfer zurückbummelten. Gesättigt konnten wir dem Gewurle bei der Einschiffung gelassen entgegensehen, und als das Schiff seine Klappe herniederließ und Massen von rallyegeilen Sportwägen, P- sowie LKWs und sonstige Blechwaren auswürgte, saßen wir auf einer Kiste und tauschten mit anderen Heimkehrern Erfahrungen aus.
Dann ging's R..U..C..K......Z..U..C..K..! und wir befanden uns an Bord, Methusalix war verzurrt, und wir waren - wie sich's gehörte - wieder bei den Ersten im Schiff. Allerdings wurden wir (weil wir die Zeit zum Duschen nutzten) um das Vergnügen betrogen, die Wohnmobilkapitäne um die besten Plätze raufen zu sehen, und mit kaum einer Stunde Verspätung stach HMS (Heizöl-Motor-Schiff) "Mediterranean Sea" in dasselbe. Gut, daß wir noch in Eigeninitiative genachtmahlt hatten, denn an Bord gab's diesmal nix. Na dann... in die Koje.

- - nicht verzagen, die nächste Abteilung ist die letzte

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