Früher war alles... anders. Da ist man Motorrad gefahren, weil man sich kein Auto leisten konnte. Die meisten Motorräder waren dementsprechend so gebaut, dass man (nach damaligem verständnis) gut und bequem Strecke machen konnte. Heute ist Motorradfahren (und besitzen) eher ein Hobby (na gut, bei manchen auch eine Zwangsstörung). Dementsprechend hat sich das Motorrad weg vom Transportgerät hin zum Spaßgerät entwickelt. Moderne Motorräder fahren (meist) besser als das, was Opa (oder Papa) vor 60 Jahren täglich auf die Arbeit gebracht hat. Dass diese Entwicklung bei modern konstruierten Zweirädern zu einigen Ärgerlichkeiten (wie fehlenden Hauptständern, unbequemen Sitzen für die Sozia, fast vollständige Unbeschraubbarkeit durch Verbaute Komponenten)geführt hat, ist aus meiner Sicht im Austausch gegen vernünftige Bremsen, haltbare Motoren und ordentliche Fahrwerke zu verschmerzen. Nachdem ich letztes Jahr unsanft von der Estrella abgestiegen bin, bin auch ich ja auf so ein modern konstruiertes Motorrad umgestiegen. Und dabei gleich in eine andere Leistungsklasse (um die 50 PS) aufgestiegen. Seitdem gewöhne ich mich mehr oder weniger an bis dato unbekannte Phänomene wie rutschende Hinterräder beim Rausbeschleunigen aus Kehren oder (sehr) leicht werdende Vorderräder beim Beschleunigen aus dem Stand. Geschwindigkeiten, die auf der Estrella Lohn konsequenten Ausquetschens und akrobatischer Körperhaltungen waren, sind mit einmal unspektakülär. Steigungen sind weg und Überholmanöver entbehren jeder Herausforderung. Noch dazu fährt man ewig zu schnell, wenn man den Tacho nicht im Blick behält. Für mich sind 48 PS bei nicht mal 170 Kilo Moppedgewicht Leistung im Überfluss. Aber für viele Andere ist das nicht einmal ein richtiges Ensteigerbike. Viel von dem, was einem diese Tage so an anderen Maschinen begegnet ist kaum schwerer, aber drei mal so stark. Es gibt mannigfache Stellrädchen an Gabel und Federbein. Es gibt ominöse Klappen im Auspuff, verschiedene Fahrmodi und Reifenluftdruckkontrolle. Und ich stehe daneben und fühle mich überfordert. Ich begreife es einfach nicht. Wofür? Für wen? Und: Warum? Bei der Estrella kannte ich jedes PS mit Vornamen und wusste genau, wann es auf der Bildfläche erscheint. Bei der Derbi weiß ich zumindest, wie voller Schub sich anfühlt und wenn ich Lust habe, dann wird die Leistung zwischendurch auch mal abgefordert. Meistens aber nicht, da wird geschaltet, sobald die Anschlußdrehzahl passt. Wofür brucht man noch mal 100 PS mehr? Wo kann ich in 3Komma Sekunden auf 100 beschleunigen und was nützen 250 kmh Topspeed auf der Landstraße? Bin ich so anders, als die anderen Motorradfahrer? Antischlupfregelung? Regenmodus? Alles im rechten Handgelenk. Wheelie-Control? Fest im Motor verankert. ABS? Ja, das wäre noch eine Option für einen Deppen wie mich. Ich begreife die moderne Welt manchmal einfach nicht mehr. Wo bleibt denn der Spaß, wenn man am Kurvenausgang nicht einfach mal den Hahn bis zum Anschlag spannen kann, ohne gleich in die Umlaufbhn geschossen zu werden?
Zitat Wo bleibt denn der Spaß, wenn man am Kurvenausgang nicht einfach mal den Hahn bis zum Anschlag spannen kann, ohne gleich in die Umlaufbhn geschossen zu werden?
Dünnling
Ich kenne genug, die würden sagen: Ja Sakra, wo bleibt denn nu der Spaß, wenn man am Kurvenausgang den Hahn bis zum Anschlag spannen kann und es kommt nix.
Junge, schmeiß dat neumodische Geraffel weg und kauf dir eine W.
Da hast du all das, was du nicht brauchst, aber wenigstens sieht die Kiste so aus, wie früher ein Motorrad und uns hast du zu allem Überfluß noch umsonst dazu.
Gruß, Norbert, der sich die letzten Tage doch wieder so richtig an seiner W erfreut hat.
Zitat von DünnlingFrüher war alles... anders. Da ist man Motorrad gefahren ... - Bin ich so anders, als die anderen Motorradfahrer? Ich begreife die moderne Welt manchmal einfach nicht mehr.
Muss man doch nicht! Man registriert das Treiben anderer und lebt nach seinem eigenen Selbstverständnis.
Mir genügen runde 50 PS völlig. Als das Ursprungsmodell meines Motorrades als R 75/5 im Jahre 1969 auf den Markt kam, war es die stärkste und schnellste BMW und ,für den erfahrenen Motorradfahrer gedacht.' Heute lächelt man allgemein darüber. Na und?
Du bist mit Deiner Einstellung keineswegs alleine, da kenne ich noch eine ganze Reihe von Leuten, die genauso denken.
Zitat Ich begreife es einfach nicht. Wofür? Für wen? Und: Warum?
Moin,
diese Frage geht ziemlich genau ins Zentrum - finde ich.
Das Spaßgerät muß ja zu den wenigen Kurven oder Steigungen oder Plätzen, wo es wirklich in seinen Bereich kommt, erstmal hin gefahren werden. Und auf dem Weg dahin kann man die vielen Pferdchen und Reibwerte und sonstige schlicht nicht nutzen.
Früher wurden solche Geräte auf dem Anhänger hinter dem VW-Bus oder (seltener auch) Porsche hinterhergezogen. Die hatten einfach keine Straßenzulassung .
Aber wenn Dich das überfordert, vielleicht ein Tip: Man muß nicht Vollgas fahren, das ist nicht vorgeschrieben. Auch mit Rennraketen darf man 30/50/70 fahren. Die Frage ist eher, ob mans auch kann, ob also in diesem Bereich sich das Fahren gut anfühlt und Spaß macht. Deswegen mein Reden seit anno pief: Im Drehbereich von 2000/min muß ein Motorrad auch Spaß machen. Wenn dem nicht so ist, wird man nervös, muß sich zwingen.
Mein Bruder ist lange die wassergekühlte YAMAHA 350 mit dem Power-Valve gefahren. Sie war sein Studentendienstmoped. Bei jedem, aber auch wirklich bei jedem Wetter ist er damit von Siegen nach Bonn gefahren am Wochenende. Ihm hat es auch bei langsamer Fahrt gefallen, die Kiste ist sogar recht alt geworden, aber es ist nicht jedermanns Geschmack im sechsten bei Nulldrehmoment durch das bergische zu eiern.
Fahr die Derbi mal noch ne Zeit und sammele Knöllchen. Wenn Du fünf zusammen hast, verkaufst Du sie wieder und holst Dir ein W-Forum-gemäßes Bike.
Zitat von DünnlingFrüher war alles... anders. Da ist man Motorrad gefahren, weil man sich kein Auto leisten konnte.
Ist noch immer unverändert. Ich als "armer Student" könnte mir vielleicht ein Auto kaufen, aber nicht erhalten. Unglaublich was Versicherung, Steuern, Benzin und Ersatzteile verschlingen, selber schrauben kann man da auch kaum mehr was.
Immerhin gibts ja Firmen wie Kawa oder Guzzi zum Beispiel, die Moppeds mit moderater Leistung anbieten. Aber so ist unsere Zeit nun mal. Auch bei den Dosen: immer mehr PS, immer mehr Airbags, immer schwerer, immer mehr Schnickschnack. Da ist sicher auch viel Prestigedenken dabei. Und ich überlege immer noch, ob ich meine XBR mit einem Flachschieber etwas frisieren soll? Dabei brauche ich sie bloß höher zu drehen, wenn ich mehr Leistung haben will ... Mich z.B. interessiert geringeres Gewicht weit mehr als höhere Leistung - wenn ich über was Neues nachdenke. Wobei die kleine Guzze mir durchaus gefällt.