In der heutigen Folge aus der Serie "Angewandte Fahrphysik" geht es um die Frage "Wie stark kann ich mit dem Motorrad in Kurven bremsen, ohne auf die Nase zu fallen?"
In diesem Zusammenhang war es leider nötig, etwas theoretische Physik aufzubieten, weil sich für praxisbezogene Fahrtests leider niemand zur Verfügung stellen wollte.
Um es vorwegzunehmen, das Resultat erstaunt sehr - der Gott der Schräglage meint es gut mit uns. Man kann auch in Schräglage bremsen, und noch recht heftig dazu. Das liegt im wesentlichen daran, dass die bei Kurvenfahrt wirksame Zentralkraft und die beim Bremsen auf den Boden übertragene Tangentialkraft im Reifenaufstandspunkt stets (nahezu) senkrecht zueinander stehen.
Es dürfte ein alter Hut sein, dass sich Kräfte stets vektoriell addieren, und das hat zur Folge, dass die Summe aus Zentral- und Tangentialkraft nie um mehr als 42% größer ist als die größere von den beiden Einzelkräften (Stichwort: Kammscher Kreis).
Rechnet man das Ganze durch, so erhält man bei einer Haftreibungszahl von µ=1 (trockene Straße, BT45) folgendes äußerst bemerkenswerte Diagramm:
Hierbei ist nach rechts die relative Schräglage in Prozent vom maximal möglichen Neigungswinkel abgetragen und nach oben die relative maximal mögliche Verzögerung in Prozent von derjenigen, die unter gleichen Bedingungen bei Geradeausfahrt möglich wäre.
Bei einer Schräglage von 25% kann somit noch mit 98% gebremst werden, bei 50% Schräglage mit 91%, und bei 75% Schräglage stehen immer noch 75% Bremskraft zur Verfügung. Erst, wenn man schon hart am Limit fährt (mehr als 90% Schräglage entsprechend 41°-45° Schräglage) fällt die einsetzbare Bremskraft auf unter 50%. Das ist schon sehr erstaunlich, wie ich finde!
Gruß Serpel
PS. Sinngemäß gilt fürs Beschleunigen natürlich genau das gleiche wie fürs Bremsen
Eine sehr löbliche Einstellung, Maggi und Paulle, denn nur wer nicht bremst, kann die Kurve mit maximaler Schräglage umrunden. Und dabei ist es sogar völlig wurscht, auf welchen Reifen man unterwegs ist.
So kommen wir auf natürliche Weise zum nächsten Bild, das ich extra für den TT100 angefertigt habe und dem ich eine Haftreibungszahl von 0.1 zu Grunde gelegt habe:
µ=0.1 bedeutet eine maximal erreichbare Schräglage von 5.7°, was beim TT bekanntlich ziemlich genau der Realität entspricht. Hier zahlt sich jetzt die Skalierung der Rechtswertachse in Anteilen der maximal möglichen Schräglage von Hundert aus, denn nur so ist eine direkte Vergleichbarkeit mit dem BT45 (oben) gegeben, obwohl bei dem die Haftreibungszahl mit µ=1 natürlich wesentlich größer ausfällt (max. Schrägl. 45°).
Wir sehen: Obwohl der TT absolut gesehen nur lächerliche 5.7° erreicht, ist das relative Verhalten auf dem Weg dorthin nicht wesentlich schlechter als beim BT!
So, und weil Du ausser Acht gelassen hast, dass die aktuelle Version des DUNLOP hinter der Typbezeichnung ein GP stehen hat, darfst Du den ganzen Schlamassel nochmal durchrechnen.
µ=0.1 ist natürlich frei erfunden () - das gilt normalerweise auf Schnee und Eis. Auch der TT dürfte µ=0.8 haben, im Sinne von mindestens (max. Schräglage mind. 39°).
Ich wollte mit dem unteren Diagramm nur demonstrieren, dass das obere (Diagramm) im Prinzip für alle Reibpaarungen Gummi/Asphalt in sehr guter Näherung stimmt (durch den Trick mit der relativen Skalierung).
Zitat von w-paoloSo, und weil Du ausser Acht gelassen hast, dass die aktuelle Version des DUNLOP hinter der Typbezeichnung ein GP stehen hat, darfst Du den ganzen Schlamassel nochmal durchrechnen.
GP steht ja für "GutsPluck", und das kommt daher, dass es mit diesem Spezialreifen äußerst heikel ist, die 50%-Hürde zu überwinden. Die speziellen Kerben des TT 100 GP-Profils widerspiegeln sich nämlich in einer ebensolchen Einkerbung im Diagramm:
Wer bei 50% Schräglage auch nur ans Bremsen denkt, fliegt unmittelbar ab. Diesen "Notch" zu überwinden ist die eigentliche Herausforderung und macht den Biker zum echten Motorradfahrer.
Aber eben nur, wenn er das GP an der Reifenflanke trägt ...
Hmmmm....mal überlegen....da gibts doch bei der Isle of Man diese eine Kurve beim Rennen, ich glaub Ballowbridge oder so, da gehts etwas hoch, über die Brücke, und unmittelbar auf oder hinter der Brücke in die Rechtskurve. Da heben die fixen Fahrer alle ab. Ist das dann der Notch, den es zu überwinden galt? Oder hab ich jetzt was falsch verstanden....beim bremsen....oder doch beim gasgeben....hat da vielleicht mal einer ein Video von der Stelle?
In Antwort auf:Bei einer Schräglage von 25% kann somit noch mit 98% gebremst werden, bei 50% Schräglage mit 91%, und bei 75% Schräglage stehen immer noch 75% Bremskraft zur Verfügung.
Danke für den Tip Serpel.
Ich freue mich schon auf den Moment, wo du den praktischen Beweis erbringst.
Gruß Norbert, der durchaus auch in Kurven bremst.
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Zitat von bochumerHmmmm....mal überlegen....da gibts doch bei der Isle of Man diese eine Kurve beim Rennen, ich glaub Ballowbridge oder so, da gehts etwas hoch, über die Brücke, und unmittelbar auf oder hinter der Brücke in die Rechtskurve. Da heben die fixen Fahrer alle ab. Ist das dann der Notch, den es zu überwinden galt? Oder hab ich jetzt was falsch verstanden....beim bremsen....oder doch beim gasgeben....hat da vielleicht mal einer ein Video von der Stelle?
Mensch, Nobby, da hast Du was angestellt! Nachdem meine Nachmittagsausfahrt buchstäblich ins Wasser gefallen war, hab ich jetzt stundenlang Filmchen zu TT und JD geguckt. Da gibt´s auf YouTube jede Menge.
Zu Ballaugh-Bridge gab´s auch einiges - ich hab leider den Überblick verloren. Interessant finde ich aber den hier: http://www.youtube.com/watch?v=QVXc29ZgutI&feature=related, wo man bei 3:49 zum ersten Mal erfährt wie "Ballaugh-Bridge" ausgesprochen wird und bei 7:54 sogar drüber fährt. Bei 0:20 ist auch ein rechter Sprung über diese Brücke zu sehen.
Anscheinend ist es für die Rundenzeit gar nicht ratsam, hier möglichst hoch zu springen. Einerseits sehr gefährlich, andererseits kommt das Motorrad für die anschließende Rechts-Links-Kombination in eine ungünstige Ausgangsposition, wie ich gelesen habe.
In Antwort auf:Außerdem bin ich ein gemächlicher Fahrer, der gerne die Landschaft genießt. Ich bin doch nicht so ein Ruhrgebietsheizer,wie der Herr A aus E.
Manche Leute lügen, ohne rot zu werden!
Serpel, wenn das wirklich so stimmt, was du da heraustheoretisiert hast, dann deckt sich das auch mit den Eindrücken, die ich im vergleich BT/TT in der Praxis gewonnen habe: Der Unterschied ist nicht sehr groß, in weiten Bereichen einfach zu vernachlässigen und nur in den Bereichen, wie sie Grenzwertbereichfahrer wie z.B. Windi nutzen, kommt er dann wirklich zum Tragen. Anders sieht es bei Nässe aus und vor allem dann, wenn der TT bei Nässe schon ziemlich abgefahren ist .
@ Serpel: hat mich früher mal sehr beeindruckt wie die da ums Eck geschossen sind, vor allem der Helmut Dähne auf seiner Kuh. Heute sind die Fahrwerke von den Mopeds ja auch schon weiterentwickelt als damals. Deshalb Hut ab vor den alten Herren. Kann sich da eigentlich jeder zum Rennen anmelden? Wär doch was für einige hier im Forum zum austoben.