29.9.1974 Sonntag war Waschtag. Gut, daß der Himmel die Stirn runzelte, da fiel die Hausarbeit und das Einkaufen nicht so schwer. Abends wollten wir ja grillen. Wir hatten im Supermarkt endlich eine große pierna de cordero (Hammelkeule) erwischt, die schon seit Mittag unter Mitwirkung einer lebensgefährlichen Menge Knoblauch das Hammeln vergaß, ein namhaftes Gebinde Salat geputzt und angemacht, und vom Campingplatzmeister die Genehmigung zum Anfeuern des Grills eingeholt. Die Keule war großzügig bemessen, und trotz bester Absichten und schlechtester Tischmanieren konnten wir zwei sie nicht ohne Mühe verputzen. Das heißt, wir hätten schon gekonnt, aber irgendwie hatten wir so eine Ahnung, die uns bremste… Richtig, da kamen sie wieder, die drei Kätzchen, tauschten mitgebrachte Granatäpfel, Trauben und geklaute Krachmandeln gegen "Pierna de cordero a la Cometa con ensalada mezclada", und als sie sich die Schnäuzchen saubergeleckt hatten, schlugen sie vor, gemeinsam noch einen Zug durch die Gemeinde zu machen. Dazu hatten wir zwei faulen Säcke allerdings gar keine Lust, also setzte ich mich heimtückisch hin und schlug so ein bissel für mich die Laute - da war von Kneipentour auf einmal keine Rede mehr. Im Rahmen der deutsch-spanischen Verbrüder- und schwesterung tauschten wir dann Lieder und anderen Unfug aus (drei muchachas sangen - nein grölten - aus vollem Hals "Ya souvans, dii oyyden Rittrersslait Hahahihihöhö…"), das Lied vom Holzknecht (mühsam übersetzt), der Birnbaum (ditto), die Zylinderhüte wechselten ebenso den Besitzer wie die Legende vom Pajaro Choqui, Ojos Negros, und ein paar sicher sehr unanständige - und unübersetzbare - Valencianer Gesänge (bei deren Vortrag die drei entzückend dreckig lachten). Das Lied von den Rittersleuten mußte ich ihnen ins Spanische übersetzen, was meine Fähigkeiten bis zum Anschlag beanspruchte, aber immerhin brachte ich den Refrain sogar im Versmaß zusammen ("Asi eran, los caa-balleerooos..."). Die Guantanamera und Cat Stevens' "Father and Son" brauchten wir nicht zu tauschen, die konnten wir alle. Und mit meinen unregelmäßigen Verben erntete ich zwar herbe Kritik, aber auch unmäßige Heiterkeitsausbrüche.
Dann kam die kalte Dusche. Die drei wollten am Montag früh wieder in Valencia sein, spät abends noch heimfahren (weit wars ja nicht), und bauten im Scheinwerferlicht ihres SEAT Seiscientos ihr Zelt ab (die drei Stooges hätten es nicht komischer hinkriegen können), knuddelten uns noch einmal zum Abschied, buen viaje, und röhrten in die Nacht hinaus. Gut, daß sie den Wein kaum angerührt hatten, den brauchten wir nämlich jetzt ganz arg.
30.9.1974 Ja, ja, Abschied. Trotz der deftigen Dosis Lethe schliefen wir kurz und schlecht, und nach dem muffig und maulfaul durchgezogenen Eilpacken machten sich vor Tau und Tag zwei verschlafene Gesellen davon. Man sollte öfter vor Sonnenaufgang eine Tour beginnen, denn: so schön wie im allerersten Morgenlicht sieht man die Welt sonst nur gelegentlich. Nachdem bei Licht dann noch die Fummelfinger an Peters Vergasern segensreich gewirkt hatten, verloren wir uns wegen eines sichtbehindernden LKWs in Valencia so dumm aus den Augen, daß wir uns erst nach zweieinhalb Stunden wieder fanden. Mobiltelefone waren damals ja noch Science Fiction, so wie der Star Trek Communicator… Ich fuhr deswegen 70 km zu viel, der Peter 120. Damit sich das nicht wiederholen konnte, und um die verlorene Zeit wieder einzuholen, nahmen wir die Autopista. Der Belag war für Moppeds das Letzte: Beton, längs rilliert. Zusammen mit meinem vorderen Weltrekordreifen fühlte sich das optimal an. Und dann kam der Wind, das höllische Kind. Von der Seite, böig und mit etwa 80 Sachen, wir verloren die Nerven und schlichen mit 60, dann etwas mutiger mit knapp 100 dahin, und die Fernreisebusse rauschten hochnäsig an uns vorbei. In Tarragona verließen wir die Schnellbahn, weil die Landstraße mit ihrer dichter bepflanzten Böschung wenigstens ein bißchen Windschutz zu bieten hatte. In Barcelona (auf dem Asphalt war platzsparend immer nur ein richtungweisendes BAR-NA aufgemalt) brach dann der Verkehr zusammen, und einer von den Verkehrsreglern drehte durch und kickte einer Bonner Ente, die seinen Stop-Pfiff ignoriert hatte und noch über die Kreuzung gefahren war, so heftig hinten ans Blech, daß
a) er seinen Kickerschuh meterweit über die Kreuzung schleuderte b) die Ente vor Schreck starb und von ihren Insassen von der Kreuzung geschoben werden mußte
Als es dem Offiziellen endlich gelungen war, das Chaos wieder aufzudröseln, das während seiner verblüfften Pause in die Kreuzung eingeströmt war, hatten die Entenschieber bereits das Weite gesucht und gefunden. Bis nach Figueras hielten wir tapfer durch, der Campingplatz war völlig leer, wir brachen mit 10 Minuten alle unsere Zeltaufbaurekorde und krochen ins Nest. Ein Glück, daß wir schon heute hier eingelaufen waren, denn ab 1. Oktober ist hier cerrado (geschlossen).
1.10.1974 Wir kamen beizeiten los, hinter uns rasselte das Tor des Campingplatzes ins Schloß, und bald überquerten wir Frankreichs Grenze. Dort wurde auch schlagartig die Landstraße um einige Kategorien schlechter, wir ließen unsere Peseten in Francs verwandeln, senkten die Hörner und stiegen in die Eisen. Hinter Narbonne kam die Scheiße von oben (Wolkenbruch), aber sie hatte nach ca. 50 km und 2 Stunden ein Ende. Mehr will ich mir davon gar nicht gemerkt haben. Die Französen bauen ja keinö schleschte Straßön, wenn sie mal Lust haben (und Maut kassieren wollen), aber den Wind verbieten können auch sie nicht. Der kam mit gut 55 Knoten von vorne. Bald waren meine Hände und Arme in einem anderen Land als mein Kopf, nur mein Kreuz war noch da. Aua. Und dann machte es RATSCH. Huh? War noch alles da? Zelt, Gitarre, Packtaschen, Auspüffe, Klamottentasche, Bekleidung vollständig, fehlte nix. Nach dem, was nicht mehr da war, suchte ich allerdings nicht. Erst als ich viel, viel später mal auf die Karte gucken wollte, ging mir ein Halogenlicht auf: Der Wind hatte mir die Karte samt dem Autobahnticket aus der Kartentasche des Tankrucksacks gelutscht. Das kostete zum Glück nur 8 Francs (die verlangten bei Verlust des Tickets die Gebühr für die längstmögliche Strecke, und viel weniger waren wir nicht auf der Bahn gefahren). Spät abends, völlig erschöpft und vom eiskalten Mistral (so heißt der Dreckswind) durchgefroren, fielen wir bei Meyrin, kurz vor Genf, in die Schweiz ein. Gut, daß hinter der Grenze gleich eine Tanke mit Change und Info war. Und daß ich immer schön brav meine Französisch-Hausaufgaben gemacht hatte. Denn auf Deutsch konnte der Dienstleister nur "Danke" und "Auf Wiedersehen". Auf Französisch konnte er Reiseschecks einlösen und sagen, wo ein billiges Nachtquartier war. Ich glaubte ihm jedes Wort, und wir bekamen dort ein warmes Abendessen und ein ebensolches Mansardenzimmer mit traulich gluckernder Zentralheizung. In der Wirtsstube saßen vier junge Arbeiter bei ihrem Abendschöppli Dôle, wir wurden gleich als Fremde erkannt und ausgefragt: "Wohnt Ihr hier? Mir hän Euch noch nit gsähe - isch dr Töff guet? Und es Haus hier: 's ischt büllig!"
2.10.1974 Auch das rothaarige Wirtstöchterlein, das uns der Tankwart augenzwinkernd versprochen hatte, und welches uns beim Frühstück erst mal mißtrauisch musterte, war recht ansehnlich, keine Schönheit, aber sehr apart, unbedingt Typ 1. Gutes Frühstück, und ab die Post. Wie das klingt: Gestern waren wir noch in Spanien. Stimmt, wenn auch nur marginal. Allez hopp, auf die Bahn bis Lausanne, det sind doch noch ma Schtrahß'n, und janz umsonst! Tja - kurz vor Bern erwischte uns wieder die Scheiße. Etwa knöcheltief. Die Autos kamen uns mit Licht entgegen, und dann schwappte sie mal höher, mal tiefer, von Sprühregen bis Hagel, bis St. Gallen. Verfroren und angepißt vertankten wir die letzten Fränkli, Mittagspause. 380 km in 5 Stunden (ich will nicht lügen, können auch 6 gewesen sein) durch dampfende Kacke, is schon OK. Deutschland betraten wir durchs Hintertürchen, wo die Grenzer zu faul waren, die Hände aus den Taschen zu nehmen, und uns nur mit einem sparsamen Kopfrucken vorbei winkten. Na ja, bei dem Regen… Bei Isny war dann aus dem Regen ein ausgewachsener Schneesturm geworden, und wir gaben uns in Großholzleute einen Kaffee und ein Stück Schrothkur-Deserteurstorte. In der Wirtschaft saßen reihenweise die Dosentreiber an ihrer Tasse Zwangskaffee, denen es draußen auch zu ungemütlich geworden war. Die letzten 70 km schafften wir dann auch noch. Irgendwie.
-- T-t-t-that's all, folks
Anzumerken ist noch, daß die Gitarre den ruppigen Transport beinahe unbeschädigt überstanden hatte, nur eine kleine Scheuerstelle von der Gepäckspinne war ihr geblieben, was dem Klang aber keinen Abbruch tat. Das Flamenco-Schlagbrett hab ich allerdings weggemacht, ich brauch so was nicht. Vor zehn Jahren war der Boden so geschrumpft, daß er riß. Bange brachte ich sie zu einem Gitarrenbaumeister in München. Der sah sie zuerst etwas geringschätzig an und sagte: "Des rentiert si fei nimma, des wissn's scho." Dann spielte er ein paar Akkorde, der Mund blieb ihm offen stehen, und geraume Zeit später murmelte er: "Aba schee klinga tuat's scho… I glab de richt ma no amoi." Sie bereitet mir auch heute noch hin und wieder einen Ohrenschmaus. Und zu Weihnachten schenkte ich mir ein Paar Konis und längere Gabelfedern. Aufgesetzt hab ich danach nie wieder, und hingefallen bin ich auch nicht mehr.
"Der Weg ist das Ziel" - der vielfach mißbräuchlich zitierte K'ung-fu-tzu soll diese tiefe Binsenweisheit abgesondert haben. Vielleicht hat er auch etwas anderes gemeint, als er schrieb: "Zhi yu Dao", was übersetzt werden kann mit "Ich habe meinen Willen auf das Dao (Weg) gerichtet." Dieses Dao hat aber den Stellenwert eines philosophischen Weges zu Weisheit und Erleuchtung. Für mich als Motorradfahrer erschließt sich jedenfalls der Sinn, daß auch ein unbedeutendes Ziel erreichenswert ist, wenn eine kurvenreiche Straße mit griffigem Belag durch eine schöne Gegend dort hin führt.
Zitat Für mich als Motorradfahrer erschließt sich jedenfalls der Sinn, daß auch ein unbedeutendes Ziel erreichenswert ist, wenn eine kurvenreiche Straße mit griffigem Belag durch eine schöne Gegend dort hin führt.
Das geht auch ganz ohne Ziel! Bzw. der Start kann das Ziel sein.
Sehhr schön! Danke, Dieter! Das hat etwas Kurzweil in den kalten nebeligen Tag gebracht. Eine Mistral-Rückfahrt mit anschließendem Schnee in vermutlich der gleichen Gegend hatten wir auch mal. Hätte nie gedacht dass der Wind so pfeift, dass man auf gerader Strecke eine beachtliche Schräglage fahren kann.
Zitat von UlfIch hatte wegen der Hammelkeule noch auf irgend etwas gewartet. Schwieg hier des Sängers Höflichkeit?
Meinst Du Montezumas Rache? Nee, der Fluch des Aztekenfürsten traf uns dieses Mal nicht, obwohl wir ziemlich ungehemmt alles ausprobierten, was wir so vor den Schnabel bekamen. Wir waren wohl vom Mensafraß abgehärtet...
Aber Deine Frage ist nicht unberechtigt. Ich werde zu gegebener Zeit noch mal darauf zurückkommen
Komm Du mal in mein Alter, dann wirst Du die kleinen Annehmlichkeiten des Alltags auch zu schätzen wissen. Nee, mal ernst, mit der langen Matte hatte der Peter abends immer seine liebe Not, weil ihm die unterm Helm rausflatterte, und da mußte häufig gewaschen werden...
Und, nur falls Du Dich fragst, wer uns immer geknipst hat:
"Wunderbar, der Dieter hat einen Fotoapparat. An diesem ist ein ominöser oft benutzter Selbstauslöser."
- aber wahrscheinlich hast Du Dich gar nicht gefragt.