Auf der britischen Insel ticken die Uhren anders: Wenn schwarzes Leder, pure Fahrleidenschaft und packender Rock'n'Roll zusammentreffen, schlägt die Stunde der Rockers. If I could turn back time…
"I kicked the bike into life." Ein Satz wie eine Hymne, nahezu eine Ideologie für ein ganzes Leben. Denn Mark Wilsmore weckt damit nicht nur die Lebensgeister seiner kernigen Triton. Vielmehr ist er der Motor für die Wiederauferstehung des Ace Cafe in London, der legendären Kultstätte, die seit den 50er und 60er Jahren für den "Black leather rebel cult" steht. Rock'n'Roll, Motorcycles, Leather-Jackets und Jeans als Attribute für eine ganze rebellische Generation.
>>>The Ton
Sie treffen sich am Ace, hören ihren Rock'n'Roll und "burn up the road doing The Ton (100 mph) - the magic speed - through the city streets of London." Die Ton-Up-Boys, wie sie zunächst genannt werden, hungern nach dem Geschwindigkeitsrausch, dem adrenalinen Speed. Sie wollen die magische Grenze knacken, die "100 miles per hour" auf der Uhr sehen, wenn möglich noch mehr. Quasi die Schallmauer mit dem Cafe-Racer durchbrechen. Dort von der North Circular Road im Nord-Westen Londons aus die Straßen für sich erobern, die trägen Bürgermassen mal richtig aufmischen. Die englische Presse fokussiert all ihr Interesse auf die Rebellen im schwarzen Leder, presst den Jungs den Stempel "The Rockers" auf. "We're always blamed," protestieren die Angefeindeten. Sie werden von der Exekutive gejagt, dargestellt als potentielle Kriminelle, diffamiert von der tumben Bevölkerung. (Siehe folgenden Ausriss von 1961 hier drunter!) Wegen ihrer schwarzen Klamotten, ihrer röhrenden Maschinen, wegen ihres gemeinschaftlichen Auftritts, wenn sie als "Ton-Up-Boys" durch die Straßen Londons stürmen.
>>>Heydays
Die brisante Kombination von "Motorcycles, Speed, black Leather and Rock'n'Roll" trieb der braven Bevölkerung den Angstschweiß auf die Stirn. Oder führte zu aufgebrachten Protesten und polizeilichen Manövern, bei denen hartes Durchgreifen angesagt war. Doch schließlich strebte gerade das "The New Generation" an: Nonkonformismus, Rebellion, Individualität, Authentizität - also das Abgrenzen von den anderen, der ganzen stupiden Normalität. Eben das ewige Recht der Jugend. Weg von der bloßen Blindverkostung des Lebens. Die Auflehnung gegen das Althergebrachte, das Eingeschliffene, gegen den Tod der Eigenständigkeit durch Anpassung. Nur bis dahin noch nie da gewesen und eben symptomatisch für die "Post-War-Generation": Kleidung, Musik und vor allem die Fahrmaschine dienen als Medium zum Erreichen der ganz eigenen Freiheit: durch die Fortbewegung - und damit auch zur Flucht vor dem ganzen bürgerlichen Mief - das sind die einschlägigen Mittel um sich abzugrenzen, zu entkommen! Getrieben durch die Möglichkeit der Mobilität. Fließende Energien, sozusagen direkt am Puls eines wahrhaftig kraftvollen Lebensstroms.
>>>No All-Time-Hit
Aber bereits Ende der 60iger Jahre ist der Ofen aus für die Rockers. Rock'n'Roll wird für tot erklärt. Mit dem Aufkommen der Beatles-Generation endet die Ära der nietenbewährten Revoluzzer. Bereits Mitte dieser euphorischen Dekade kloppen sich die Rockers mit den Mods in aller Öffentlichkeit am Strand von Brighton bis Blut fließt, allen bekannt durch den Film "Quadrophenia" mit der wahrlich charismatischen Band "The Who". Der Umbruch der Gezeiten deutet sich an, das Pulver geht aus. Das Ace Cafe dort an der Stonebridge nahe Wembley wird 1969 von den Behörden geschlossen, verfällt zusehends und in einem Tiefschlaf, der ein Viertel-Jahrhundert andauern soll. Währenddessen verläuft die "Rocker"-Bewegung in Amerika und dann auch in unserem Land - im Gegensatz zu den "Rockers" in Großbritannien - in gänzlich anderen Bahnen. Die Geschichte ist bekannt: Filme wie "Easy Rider" prägen das Phänomen "Rocker", ganze Jugend-Kulturen in Amerika greifen zum Chopper und recken sich zum Ape Hanger. Das amerikanische "Diners" ist das englische Gegenstück zum "Roadside Cafe". James Dean, Hollister, das 1%er Image, American Graffiti und Pulp Fiction - bei all diesen Begriffen fällt keinem in unseren Breitengraden die Zunft der englischen Ton-Up-Boys ein. Unsere Nation wird weiter in den Siebzigern geprägt durch die amerikanischen Einflüsse. In England nimmt die Entwicklung einen ganz anderen Verlauf, natürlich auch als Spiegelbild zu der schlechten wirtschaftlichen Lage Großbritanniens. Mitte der Siebziger nimmt die eiserne Lady Margaret Thatcher das Zepter in die Hand, der Punk regiert das Land. Musik als Ausdruck des Aufbegehrens. Die expandierende Autoindustrie Englands fordert ihren Tribut, zu Ungunsten des immer teurer werdenden Luxus-Gegenstandes ‚Motorrad'. Weitere Restriktionen greifen um sich, Geschwindigkeitsbegrenzungen beschränken persönliche Freiräume, "The Ton" ist mit dem Stempel der Illegalität behaftet, wird damit zum Aussterben verurteilt.
>>>Rocker? Rockers!
Wenn man in Deutschland über den "Rocker" spricht, fallen einem landesüblich eher die Bilder von gediegenen V2-Treibern ein, die sich in einem Motorrad-Club unter einem gemeinsamen Color zusammenfinden. Abgeleitet aus der amerikanischen Geschichte heraus, in der die Hells Angels als ehemalige Kampf-Piloten das Motorrad für sich entdeckten, um nach den Kriegsaktivitäten den Mangel an Aufregung und Abenteuer - "a lack of life" - zu kompensieren, einfach mal wieder so richtig Gas geben wollten. Solch hierarchische Strukturen wie die der MCs mit Prospect und Presi waren den englischen Rockers völlig fremd. Solch originäre Treffpunkte wie das Ace Cafe mit einem derartig authentischen Charakter findet sich wiederum nicht in dieser Form bei den Amis. Die Jungs, die zu den Rockers der englischen Szene zählen, waren relativ jung, die Szenezugehörigkeit endete zumeist mit einem Lebensalter von Mitte zwanzig, sobald Familien gegründet wurden. Außerdem behandelten sie ihre Mädchen eher partnerschaftlich, wobei in der englischen Gesellschaft generell Frauen sowieso mit eher angemessen hohem Respekt behandelt werden. Und die Motorräder gehörten ohnehin immer mit dazu. Vincent, BSA, Norton, Triumph und Co. verkümmerten nicht etwa im urbanen Mief innerhalb Londons, sondern bewährten sich auch gerne als Langstrecken-Raketen bei den Wochenendtrips runter zur Küste nach Brighton und ähnlichen Turns. Dabei eher im Rennstil über Distanzen, die locker an die 300 bis 400 Meilen betragen konnten, hin zu vorher festgelegten Zielen, wettkampfmäßig vorangetrieben. "Drop the coin right into the slot and race to a given point and back before the record finished" - die "Record-Races" quasi als Sprintrennen der Ton-Up-Boys, die gut als Übungslauf für die Endurance-Rennen der Rockers übers ganze Land durchgehen. Schließlich gibt es da noch kein MTV, kein Extasy, keine Playstation und all den Kram der Neuzeit. Den Kick holen sich die Jungs pur, indem sie sich ihren Kaffee oder Tee reinziehen, völlig "coffinated" die Music-Box anschmeißen und hernach das hochgeschätzte Triebwerk seiner wahren Bestimmung zuführen. "Exciting life!" Der Schlag des Twin-Motors passt zum speedigen, vorwärts treibenden Rhythmus des Rock'n'Roll, gleichbedeutend mit dem beschleunigten Herzschlag, mit exaltierten Lebensgenuss.
>>>Ride with the Rockers
Beinahe ein Naturgesetz: Der Lebens-Zeitraum zwischen 16 und 26 Jahren, voll von Begierden und Auflehnung, benötigt eine Bühne. Ein britisches Phänomen: Diese ganz spezielle Youth-Generation in der Rock'n'Roll-Ära Englands schaffte sie sich selber, gehörte unumstritten der Gruppierung " known as Rockers". Und die ganze Sehnsucht nach solch einer authentischen Epoche wie die der "Fifties and Sixties" lebt genau in dieser Generation fort. "Die Legende des Ace Cafe lebt weiter in den Gedanken derer, die dort waren, derer, die sich gewünscht haben, dort jemals gewesen zu sein und in denen, die zu jung waren, um es je gesehen zu haben." 1993 ist es endlich soweit: Mark Wilsmore stellt sich die Aufgabe, zusammen mit den Gefährten aus seiner Zeit das Ace Cafe aus seinem 25-jährigen Tiefschlaf wieder zu erwecken. Die Ace Cafe-Re-Union bildet das entscheidende Komplott zum gemeinsamen Kampf gegen Behördenunlust und chronischen Geldmangel, setzt eine Druckwelle an Ideen und Überzeugungskraft frei.
>>>The Return
Das erste Treffen an der Road Site der North Circular Road zieht bereits an die 12.000 Enthusiasten an. Die jährlichen Treffen auf dem Madeira Drive in Brighton vervielfachen diese Zahlen noch, bis im September 2001 das Re-Opening erfolgt. Seitdem gehört das zweite Wochenende im September dem Treffen am Ace Cafe zum Ace Day. Am Sonntag geht es beim "Ride with the Rockers" von London nach Brighton zum "Brighton Burn Up", bei dem sich 2003 an die 80.000 "Riders and Visitors" den Gasgriff, woher und welchen auch immer, in die Hand geben. Wenn Marc heute die Triton mit gezieltem Tritt ins Leben kickt, dann lautet sein klar definiertes Motto: "See you at the Ace!"
59 Club
Gegründet wurde dieser einzigartige Motorradclub im Jahr 1959 von "Father Bill Shergold", der selbst begeisterter Motorradfahrer war. Als Leiter der "Eaton Mission in Hackney Wick in London's East End, dem armen Stadtteil von London, wollte er die Jugend von der Straße holen und ihnen auch die Kirche zum Heim machen. Er traf sich mit den "Rockers" am Ace Cafe und lud sie zu seinen Gottesdiensten ein. Und die Jungs kamen scharenweise, selbstredend mit ihren Motorrädern, sogar bis in den Dom rein. Der Club war ursprünglich in Paddington beheimatet und wuchs im Laufe der Zeit zum größten Motorrad-Club der Welt (vom HOG abgesehen). Heute zählt er 28.000 Mitglieder, befindet sich in Plaistow, London. Soziale Aktivitäten stehen immer noch im Vordergrund. Die Rockers treffen sich immer mittwochs und samstags.
>The Fifty Nine Club, The Swift Centre, 387a Barking Road, Plaistow, London, E13 8AL
>Photos von Bill Shergold, Gründer des 59 Club, sind in Mike Clay's exzellentem Buch "Cafe´ Racers" zu sehen, veröffentlicht bei Osprey Publishing Ltd. in 1988 ISBN0-85045-677-0
>Alles über das Ace Cafe: http://www.ace-cafe-london.com
Text: Sabine Welte - Fotos: Welte/Archiv Ace Cafe London
damals
wie heute
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-you`r gonna break another heart, you
gonna tell another lie....