Meine Garage, die zugleich als kleine Werkstatt fungiert, liegt gute 50 Meter abseits vom Haus. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich nicht dorthin pilgere, auch wenn ich gar nicht fahren will (so wie heute, bei dem Pisswetter) oder wenn ich mal nichts zu schrauben habe. Es ist so, wie wenn ein Vater abends nochmal ins Kinderzimmer schaut, um zu sehen ob auch alles in Ordnung ist. Ok ..im Kinderzimmer wird er kaum eine rauchen und dann doch noch anfangen hier und da rum zu werkeln ...das ist aber halt so. Es hat sich in den Jahren zum Ritual entwickelt, das höchstens in den Wintermonaten seltener stattfindet.
Bei den meisten Ritualen schwingt nach einiger Zeit immer auch eine gewisse Routine mit.... man macht es einfach ..ohne groß drüber nachzudenken oder besonders ergriffen zu sein.
Heute sollte es anders sein...... als ich das Garagentor aufschwinge war er wieder da.... dieser Geruch der mein Leben irgendwie geprägt hat. Diese unvergleichliche Melange aus Gummi, Öl, Benzin, schmierigen Lappen und Metall. Ich will nicht sagen, dass ich ihn in all den Jahren nie wahrgenommen hätte ...aber ewig nicht mehr so intensiv, wie heute .... Mit dem Geruch kam auch die volle Dosis Erinnerungen zurück. Man stand am Anfang seines (richtigen) Lebens ..es war die Zeit der 50er Kreidler, Hercules und Zündapp ..ich war damals 16 ..alt genug, um zu wissen, dass da draussen das Leben wartet und noch zu jung, um mich den Fängen meines Elternhauses entreissen zu können. Mehr als eine 50er Bravo konnte ich meinem Vater nicht abringen ...und so blieb jede Menge Platz für Träume und Begehrlichkeiten.
Es waren Träume, die auf wundersame Weise gar nicht nur mit dem Fahren einer solchen, in unerreichbare Sphären entrückten, Maschine zusammen hingen. Vielmehr als das erzeugten sie verlockende Bilder in mir, von den tollen Erlebnissen, die man dabei (wohl) unweigerlich hätte, ja fast zwingend haben müsste. Denn das Motorrad war zu dieser Zeit noch der Inbegriff des Unangepassten, des Wilden und Freien, der Inbegriff eines Lebens, das man bis dato nur aus Filmen kannte und das man dann mit den Auswüchsen seiner pubertären Phantasien weiter sponn: Unabhängigkeit, Mädchen, Mondnächte, die verschworene (Rocker-)Clique, die Flucht vor bürgerlichen Werten und spießigem Kleinbürgertum....
Die "Zentrale" dieses Lebenselexiers war unser örtlicher Mopedladen. Natürlich hatte der auch eine Werkstatt. Und obwohl nicht gerne gesehen, lungerten wir oft dort auf dem kleinen Gelände rum. Und in der Werkstatt da standen sie ..die chrom- und lackgewordenen Inkarnationen meiner Träume. Aber alles, was ich von dort mitnehmen konnte, war leider nur dieser Geruch ..Es war der gleiche, der mir heute abend entgegenschlug und mich an eine Zeit erinnerte, als ich zu leben begann und ich mich anschickte, auf einem Bravo-Mofa die Welt zu erobern.
Die Erfüllung des großen Traums habe ich allerdings nie erlebt . ... viel zu schnell hatte mich das reale Leben mit seiner unbarmherzigen Bedingungslosigkeit eingeholt und von den überzogenen Erwartungen blieben bald nur noch Fragmente übrig. Rückblickend weiß ich natürlich, dass 95 Prozent meiner Träume pure Illussion waren, bereits damals gespeist von einer manipulierenden Werbeindustrie und einer Zeitgeistbewegung, die mich zum willigen Opfer machte. Natürlich gab es tolle Erlebnisse, die ich nie und nimmer missen möchte, gab es sowas wie die flüchtigen Mini-Erfüllungen einiger Traum-Details .... aber war das der Traum vom Leben, den ich mit 16 geträumt hatte ?... Nein..eher nur ein rudimentärer Abklatsch dessen und aus dem Stoff liesse sich statt eines Kinofilms eher ein 5-Minüter machen.....
Mein erstes richtiges Motorrad kam leider erst 10 Jahre später ............ Jetzt hätte es aber doch funktionieren müssen mit dem großen Traum? Aber ach ... es war zu spät ..... ich war erwachsen geworden (zumindest erwachsener als mit 16) .... abgeklärt, vernünftig (vernünftiger als früher jedenfalls) und irgendwie musste ich feststellen, dass, wollte ich mich heute gegen das Establishment auflehnen, ich mich zu allererst selbst zur Zielfigur machen müsste.....
Motorräder sind ein zentraler Lebensinhalt für mich geblieben .... die Gefühle jedoch sind andere als damals. Wirklich geblieben ist nur dieser Geruch, der in ganz bestimmten Momenten einen Hauch dessen transportiert, was mich einst zu dem geformt hat, was ich heute bin.
Was das zum Teufel mit Weinachten zu tun hat ... dazu im Hochsommer? Na gut ..für alle, die nur Bahnhof verstanden haben : Gibt es hier irgendjemanden, den beim Geruch von Tannennadeln, Wachskerzen und Lebkuchen keine wehmütigen Kindheitserinnerungen überfallen? Und genau so geht es mir halt mit dem Öl- Benzin-Gummigemisch, garniert mit dreckigen Lappen.
Meine Frau empfindet das alles übrigens wieder ganz anders. Ihr einziger Kommentar, wenn sie in die Garage kommt ist meist: "Hier stinkts"
Zitat ...war er wieder da.... dieser Geruch der mein Leben irgendwie geprägt hat...
Kenn' ich .
Es gibt aber 'ne ganz profane Erklärung - das Langzeitgedächnis funktioniert/reagiert ganz stark über Geruchseindrücke . Geht mir z.B. so, wenn ich Kohleöfen in Betrieb rieche (zuletzt in GB, da waren die noch länger in Gebrauch als bei uns). Oder einmal im Urlaub, in Frankreich: da wurde in einer Stadt ein altes Mietshaus abgerissen - da herrscht auch ein ganz spezieller Geruch, den ich aus meiner Kindheit gut kenne (wir haben ja viel in Abbruchhäusern gespielt), den es heute kaum noch gibt, weil die alten Häuser eigentlich alle bereits weg sind, oder saniert. Oder der hefige Geruch, der früher über halb Dortmund lag, wg. der vielen aktiven Brauereien seinerzeit.
Wenn im Frühjahr der erste Oldtimermarkt stattfindet, freue ich mich auch immer auf diese spezielle Duftmischung aus Altöl, schimmeligem Leder und dem ersten frischgemähtem Gras ...
"Das Streicheln eines Hundes senkt den Blutdruck und baut Streß ab."
Ich fahre seit meiner Mofazeit mit Ausnahme der Bundeswehrzeit ununterbrochen Motorrad, hatte und habe viele der schönsten Erlebnisse im Zusammenhang mit ebendiesem.
Zitat Die "Zentrale" dieses Lebenselexiers war unser örtlicher Mopedladen. Natürlich hatte der auch eine Werkstatt. Und obwohl nicht gerne gesehen, lungerten wir oft dort auf dem kleinen Gelände rum
Was hatteste denn dem Lehmann getan? Der war doch echt gutmütig. Eher musste man sich mit dem nörgeligen Wicke auseinandersetzen, aber das ging doch auch. Ich war da immer gut gelitten und hab viel gelernt. Dinge, die ich mein ganzes Leben gut gebrauchen konnte - bis ich es hier im Forum anders beigebracht bekam ...
Hast schon recht, mit dem Chef wars nicht so schlimm, wie mit den Schraubern, deren Namen mir entfallen sind .... Na ja..unsere Clique hatte nicht umsonst die Bezeichnung "Mülltonnen-Joes" von denen bekommen. Wir haben immer den Müllcontainer nach "Schätzen" durchsucht, die wir dann stolz wegschleppten ...Meine fetteste Beute war ein leicht krummer M-Lenker - der bald darauf meine Vespa Bravo zierte.... Mann..muss das bescheuert ausgesehen haben ...
Aber es war der Schlüsselmoment dafür, dass ich auf meiner W heute auch einen habe ... sogar einen, der nicht ungewollt verbogen ist...man steigert sich halt.
Der alte Lehmann hatte mir sogar mal eine hochwertige, verstellbare Reibahle geliehen, mit der ich ein neues Kolbenbolzenlager in meinem Pleuel aufgerieben habe ..mit eher landwirtschaftlichem Spiel, versteht sich ...hielt aber bis zum Schluß ..