Kennt Ihr vielleicht schon. Hab ich eben entdeckt.
Oldtimer erfreuen sich nicht nur in unserem Land stetig wachsender Beliebtheit. Oldtimer-Zeitschriften, Clubs und regelmäßige Treffen gibt es jede Menge, so daß den Anhängern der Fahrzeuge von damals reichlich Möglichkeiten geboten werden, sich mit Ihrem Hobby zu beschäftigen. Nun bringen aber nicht nur diejenigen den Oldies Interesse entgegen, die Lust haben zum Schrauben und Jagen nach Ersatzteilen. Es ist einfach die optische Erscheinung dieser Autos und Motorräder, die dafür sorgt, daß es bei den vielen Treffen und Ausfahrten immer wieder reichlich Schaulustige gibt. Früher sahen Kraftfahrzeuge nun mal nicht so steril aus wie heute. Verspielte Optik und tollen Sound findet man bei den modernen Fahrzeugen nicht mehr. Für Auto-fans, die alte Optik mit moderner Technik verbunden haben möchten, gibt es bereits diverse Kleinhersteller, die sich derartige Fahrzeuge kräftig bezahlen lassen. Jetzt haben auch die Motorradhersteller diese Zielgruppe entdeckt. Sich ohne Ersatzteilsorgen, hohem Pflegeaufwand und technischer Anfälligkeit mit einem nach Oldtimer aussehenden Motorrad fortzubewegen, das wünschen sich anscheinend viele Zweiradfreunde, wie man am Interesse an der W 650 von Kawasaki erkennen kann. Auch ich bin von der Optik dieses Motorrades begeistert. Auf der rechten Seite beherrscht der im Stahlrohr-Doppelschleifenrahmen aufrecht sitzende Königswellenmotor das Bild. Technisch war dieser aufwendige Nockenwellen-Antrieb, der bis vor knapp 20 Jahren in den Ducatis verbaut wurde, sicher nicht nötig, deshalb geht mein ganz besonderer Dank an die Kaufleute bei Kawasaki, die den Technikern diese Spielerei erlaubten. Laut Aussage der Techniker soll die Königswelle der W 650 sehr wartungsarm sowie leicht demontierbar und einstellbar sein. Chrom wohin man schaut: Schutzbleche, Scheinwerfer, Tankembleme, Ballonauspuffrohre, Speichenräder und Blinkergehäuse glänzen in der Sonne. Auch die klassisch aussehenden Instrumente sind mit Chromringen eingefasst. Ein Stilbruch ist hier lediglich das im Drehzahlmesser sitzende Digitaldisplay für die Kilometerzähler. Als Trost kann man diese Anzeige auf Wunsch auf die Uhrzeit umstellen, was durchaus seinen praktischen Wert hat. Klassische Motorräder haben zwei Federbeine, so auch die W 650. Diese sind nur in der Federvorspannung fünffach einstellbar. Die Faltenbälge der Telegabel, Gummikniekissen am Tank und die mit einem weißen umlaufenden Zierkeder versehene Sitzbank passen hervorragend zum Gesamtauftritt dieser Kawasaki. Nachdem ich mich satt gesehen habe und diverse Male um die Maschine geschlichen bin, nehme ich auf der 80 cm hohen Bank platz. Aufgrund der schmalen Tank-/Sitzbank-Kombination stehen die Füße platt auf der Straße. Ganz anders als bei modernen Motorrädern sitzt man nicht „in” der Maschine, sondern hat irgendwie das Gefühl „oben drauf” zu hocken, eben ganz wie damals. Ich muß unwillkürlich an meine BMW R 26 denken, mit der ich 1971 duch die Gegend kurvte. Ungewohnt ist für mich auch der sehr breite stark gekröpfte Lenker. Sollte die W etwa ein verkappter Cruiser sein? Das Einstellen von Kupplungs- und Handbremshebel auf meine Bedürfnisse schlage ich mir aus dem Kopf, nix da, irgendwo mußte wohl doch gespart werden. Nun soll´s los gehen. Soll ich oder soll ich nicht? Diese Kawasaki hat natürlich einen Kickstarter. Zwar ist der Start auch per Knopfdruck möglich, meine R 26 mußte ich allerdings auch antreten und so nehme ich mir vor, den 676 ccm -Langhuber (83 mm Hub) anzukicken. Geschichten von Leuten, denen ein zurückschlagender Hebel das Bein lädiert oder sie gleich komplett in den heimischen Apfelbaum befördert haben soll, kenne ich zwar auch, die W 650 soll hier aber extra eine Sicherung haben, die beim Zurückschlagen die Zündung unterbricht. Ich habe Vertrauen darauf, daß dies auch schnell genug geht und ziehe zunächst den am linken Vergaser angebrachten Chokehebel. Zündung an, Kolben auf die richtige Stellung gebracht und erster Tritt. Ich begreife sofort, daß ich meine Jacke zukünftig getrost vorher anziehen kann, den der Parallel-Twin springt sofort an, obwohl das Motorrad bereits seit ein paar Tagen nicht bewegt wurde. Als erstes fällt mir das deutliche schleifartige Laufgeräusch der Königswelle auf. Sobald ich aber etwas am Draht ziehe, beherscht das dumpfe Brummeln der Auspufftöpfe die Geräuschkulisse. Welch ein Klang, daß so etwas noch erlaubt ist, oder etwa wieder, oder wie? Der Motor ist jetzt knapp eine Minute gelaufen und ich schiebe langsam den Choke zurück. Der Vierventiler geht nicht aus und pendelt sich auf eine Leerlaufdrehzahl von 500 U/min ein. Ohne Krachen läßt sich der erste Gang einlegen und ab geht die Post. Knapp über Leerlaufdrehzahl kommt Kraft. Kaum höher als 4.000 U/min müssen die Gänge hochgezogen werden, der Anschluß zum nächsten paßt immer. Dabei lassen sich alle Gänge butterweich und völlig ohne Geräusche schalten. Ich staune über die extrem gute Gas-annahme im unteren Drehzahlbereich. Der am rechten Vergaser angebrachte Drosselklappensensor macht seine Sache gut. In den ersten drei Gängen sorgt er dafür, daß sich der Zündzeitpunkt nach oben verschiebt. So jedenfalls hat es mir ein Werkstattmeister erzählt. Ich will wissen, was geht und lasse mich im fünften Gang auf Tempo 30 km/h zurückfallen. Bei ca. 1.200 U/min gebe ich langsam Gas und bin platt, wie der nur 50 PS starke Motor langsam, aber stetig kräftiger anzieht. Nicht der geringste Ansatz von Hacken ist spürbar. Laut Motordiagramm liegt das höchste Drehmoment von 56 Nm bei 5.500 U/min an. Was will ich mehr bei diesem Motorrad. Bis zur Drehzahl von 7.000 U/min, bei der die 50 PS anstehen, muß man wirklich nicht gehen, obwohl die Maschine durchaus als drehfreudig zu bezeichnen ist. Da der Motor in Gummi gelagert ist und eine mit Kurbelwellendrehzahl rotierende Ausgleichswelle eingebaut wurde, läuft er dabei fast vibrationsfrei. Ehemalige XS 650-Fahrer könnten daran Anstoß nehmen. Habe ich jahrelang nur moderne Motorräder bewegt, so muß ich mich an das Fahrwerk erst gewöhnen. Die W 650 fällt nicht einfach so in die Kurve, etwas Körpereinsatz ist nötig. Zwar läßt sie sich sehr zielgenau fahren, man muß aber darauf achten, daß die Knie möglichst am Tank anliegen, wenn man zügig um die Ecken kommen will, ohne daß die Fuhre wackelt. Dafür läßt sie sich sehr agil von einer Kurve in die andere umlegen. Die für heutige Zeiten recht schmalen Bridgestone-Reifen (vorne 100/90 - 19 Zoll, hinten 130/80, 18 Zoll) sorgen dafür. Sollte mal eine Korrektur nötig sein, so kann man getrost kräftig in die Bremse gehen, die Kawasaki stellt sich kaum auf. Der Hase, der mir plötzlich vor das Vorderrad läuft, kann das jederzeit bezeugen. Man muß allerdings auch etwas kräftiger als gewohnt am Bremshebel ziehen, um die Geschwindigkeit stark zu reduzieren. Das Vorderad trägt nur eine 300 mm große Bremsscheibe mit einer Doppelkolbenzange, völlig ausreichend, wie ich meine. Um die Hinterradbremse zum Blockieren zu bringen, muß man schon mit aller Kraft auf den Hebel treten. Sehr erfreut bin ich darüber, das die W 650 mich nicht mit unangenehmen Lastwechselreaktionen ärgert, wie einige moderne Motorräder von heute. Zum Heizen ist diese Kawasaki nicht gebaut, deshalb wurde die Vorderradgabel auf Komfort ausgelegt, was das Fahren auch auf Landstraßen niedrigerer Ordnung angenehm macht. Längeres Schnellfahren macht sowieso keinen Spaß. Ich hänge auf dem Motorrad praktisch wie ein Segel im Wind. Bereits ab 100 km/h beginnt der Winddruck lästig zu werden. Ab 120 km/h werden die Knie vom Tank abgedrückt. So pendelt sich mein Tempo zwischen 80 und 120 km/h ein. Dabei ist es eine wahre Freude, ab und zu einen Gang zurückzuschalten und beim Beschleunigen dem herrlichen Sound aus den Rohren zu Lauschen. Hin und wieder gibt es auch mal eine Fehlzündung und es knallt, wie damals meine alte BMW. Das schönste Stück auf meiner Fahrt ist die lange Allee, die ich mit 80 km/h durchfahre und dabei die Bäume betrachte, die sich im wuchtigen Chromscheinwerfer spiegeln. 231 Kilometer stehen auf dem Tacho, als ich den Benzinhahn in die Reservestellung drehen muß. Kurz darauf rolle ich auf die nächste Tankstelle. Unter gräßlichem Gekreische der vorderen Bremsklötze stoppe ich die W 650 langsam vor der Zapfsäule und hebe sie auf den serienmäßigen (wie damals) Hauptständer. 10,9 Liter lasse ich in den gesamt 15 Liter fassenden Tank laufen, was einem Verbrauch von 4,7 Litern auf hundert Kilometern entspricht. Da kann man nicht meckern. Jetzt wiegt sie übrigens wieder 215 kg. Kein Zweifel: Die DM 11.990,- kostende W 650 ist ein großer Wurf, mit dem Kawasaki sicher einige Fahrer von damals nochmal auf das Motorrad locken kann. Aber auch jüngeren Motorradfreunden, die Spaß haben an klassischen Motorrädern, aber keine Lust zum Schrauben, kann ich dieses Motorrad wärmstens empfehlen. Fragt sich jetzt nur noch, welche Hersteller mit ähnlichen Modellen nachziehen. Warten wir´s ab.
Gruß Soulie
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