Hallo zusammen! Heute komme ich mal mit einem etwas ungewöhnlichen Beitrag. Ein guter Freund eines Arbeitskollegen hat ein Buch geschrieben über seine Zeit als "Journalist und Junkie". Wie der Titel schon sagt, beschreibt er dort seine ziemlich harte Zeit als er drogenabhängig war. Das Buch hat bisher sehr(!) gute Kritiken bekommen. Eine Kollegin hat es in 1,5 Tagen verschlungen. Meine Ausgabe ist noch unterwegs - daher kann ich noch kein eigenes Urteil abgeben. Bisher habe ich nur einen Ausschnitt aus dem Spiegel gelesen - das war schon sehr beeindruckend. Falls Interesse besteht, stelle ich diesen Abschnitt gerne hier ins Forum. Ansonsten wird das Buch auch nächsten Montag bei Beckmann vorgestellt.
Wenn's denn hier Junkies jedweder Provenienz, Hintergrund und Erfahrung heranspült, kann's schon was werden. Ein wichtiger Tastatur-Junkie ist ja schon an Bord, wie ich sehe
Aber wart ma's mal ab, was der 'Threadvorsitzende' aus seiner Wundertüte zu vermelden hat.
In Antwort auf:Warum tust Du das nicht? Sonst sagt/fragt ja hier auch keiner: "Darf ich mal was fragen bzw. sagen?".
Ich möchte ja nicht der "Forumsvermüllung" beschuldigt werden. Sonst bekomme ich vom Guru noch eins auf den Deckel. Auf der Arbeit habe ich den Text. Dann kopiere ich ihn hier mal rein. Der ist wirklich heavy.
dirk O. & wilm A. _______________________________ W650 - besser is das ! http://www.w650.offweb.de (ich will mehr sterne)
Freihandelszone find ich gut. (frei nach einem bekannten Werbespruch) Also stell mal rein was der Junkie-Journalist zu sagen hat. Vielleicht finde ich ja eine Lösung wie ich die W-Sucht wieder los werde (oder zumindest mit dem Rauchen aufhören kann). Gruß Jupp
ich werde mich doch im Allgemeinen Forum nicht darin einmischen was für themen hier auf den Tisch kommen !!!
ich misch mich hier nur ein wenn jemand persönlich unfair angegriffen wird ... und wenn ich meine meine meinung zu etwas kunzutun dan ist diese meinung auch nicht mehr wert als jede andere
In Antwort auf: ...auch nicht mehr wert als jede andere...
Na endlich hast Du Dir's mal gesagt !
PAULLE. -------------------------------------------------- Fährst Du schon, oder schraubst Du noch ?? --------------------------------------------------
Der folgende Beitrag im Spiegel war der Ausgangspunkt für das Buch:
Zwei Tage vor Weihnachten versuchte ich, meine Freundin zu erwürgen. In den letzten Jahren waren es immer wieder diese Wochen um den Jahreswechsel, in denen mein Leben aus den Fugen geriet. NebenWeihnachten, Neujahr und Sylvester fällt auch mein Geburtstag in diese Zeit. Vielleicht ist das einfach zu viel. Möglich, dass all diese Tage so überladen sind mit Bedeutung und Erwartung, mit Sehnsüchten und Ängsten und all diesen unterschwelligen Fragen nach Herkunft, Heimat und Alter, nach dem Woher und Wohin, dass darunter alles, was nicht wirklich fest ist und stark und sicher einfach zusammenbrechen muß. Wie ein morscher Ast unter zuviel Neuschnee. An diesem 22 Dezember 1999 war ich von jedweder Stärke und Sicherheit Welten entfernt. Ich war drauf. Drogensüchtig. Schon wieder. Seit 15 Jahren schlug ich mich schon mit meiner Heroinabhängigkeit herum, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Jahrelange Cleanphasen wechselten mit heftigen Abstürzen. Dutzende Entgiftungsversuche und zwei stationäre Langzeitherapien hatte ich hinter mir, die letzte lag noch nicht all zu lange zurück. Seit einigen Monaten spritze ich wieder täglich Heroin, oft zusammen mit Kokain. Beinahe zwei Jahre war alles gut gegangen, diesesmal. Zwei drogenfreie Jahre, in denen ich ein gutes Stück voran gekommen war mit meinem Leben, vor allem beruflich. Ich schrieb mitlerweile für einige der renomiertesten Zeitschriften des Landes und verdiente ziemlich anständig, im Sommer war ich in eine geräumige Altbauwohnung gezogen. Und, vielleicht das wichtigste, ich hatte mich wieder verliebt. Mit allem, was verliebt sein für mich ausmachte - verzauberte, zeitentrückte Augenblicke, in denen Vergangenheit und Zukunft sich in der Gegenwart auflösen und die Grenzen zwischen zwei Körpern verschwinden. An diesem Abend kurz vor Weihnachten lag der Körper meine Freundin auf dem hölzernen Dielenboden und wand sich unter mir, meine Hände an ihrem Hals.
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Wenige Stunden zuvor hatte ich mich noch krampfhaft bemüht, diese Hände zu verbergen. Ich saß in einer exclusiven Hotelsuite und interviewte einen der renomierstesten Regisseure Deutschlands (berühmten Kulturschaffenden). Seit einiger Zeit hatte ich dazu übergehen müssen, in die kleinen Adern auf meinem Handrücken und den Fingern zu injizieren. Die Venen an meinen Armen, mehr als ein Jahrzehnt mit Spritzen malträtiert, waren völlig zerstört. Mitlerweile sahen meine Hände aus wie Requisiten aus einen Horrorfilm - geschwollen, entzündet, zerstochen. Ich trug nur noch Pullover mit sehr langen Ärmeln, unter denen nur die Fingerkuppen hervorsahen. Glücklicherweise war es Winter und solche Pullover gerade angesagt. Der Regisseur hatte schöne schlanke Hände. Hände, die ständig in Bewegung waren. Die mit meinem Aufnahmegerät spielten, wenn er nachdachte und seinen Worten Form verliehen, wenn er redete. Hände, mit denen er seine Welt zu gestalten schien. Ich sah dem Spiel dieser Hände zu und fühlte mich verkrüppelt.
Es fiel mir irrsinnig schwer, mich auf unser Gespräch zu konzentrieren. Ich hatte mit dem Flugzeug anreisen müssen, war seit dem frühen Morgen unterwegs und meinen letzten Druck hatte ich mir vor vielen Stunden gesetzt, vor dem Abflug. Heroin und eine Spritze an Bord zu schmuggeln war mir zu riskant erschienen. Außerdem gelang es mir so gut wie nie, einen ausreichenden Drogen-Vorrat mit auf eine Reise zu nehmen. Je mehr Heroin ich besaß, jeh häufiger nahm ich es, in immer größeren Mengen. Also versuchte ich, meinen Konsum wenigstens ansatzweise zu kontrollieren, indem ich jeden Tag nur eine bestimmte Menge kaufte. Am Ende des Tages wurde es daher oft eng. Langsam spürte ich, wie die Wirkung der Droge nachließ. Ich wurde unruhig, litt unter Schweißausbrüchen. Ich wollte nach Hause. Jetzt gleich. Es bereitete mir beinahe körperliche Anstrengung, meine Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes zu richten. Es gelang mir dennoch, das Interview durchzustehen. Mir blieb keine Wahl. Denn wenn es etwas gab, dass ich noch mehr fürchtete als die Entzugsqualen, dann war es die Vorstellung, meinen Job zu verlieren. Seit meinem 17ten Lebensjahr hatte ich davon geträumt, mit Schreiben mein Geld zu verdienen. Vor beinahe 10 Jahren war dieser Traum tatsächlich wahr geworden. Ich konnte nichts anderes, wollte nichts anderes. Und ich hatte hart dafür gearbeitet. Die Vorstellung, auch diesen Traum meiner Sucht zu opfern, war mir unerträglich. Manchmal schien es mir, als sei meine Arbeit der letzte Rest von Leben, der mir noch geblieben war. Die letzte Sicherheitsleine, die mich mit der Welt da draußen verband. Meinen Sport hatte ich schon lange aufgegeben, Filme sah ich mir nur noch aus beruflichen Gründen an und war im Kino die meiste Zeit damit beschäftigt, gegen meinen Schlaf zu kämpfen. Ich verlor ziemlich oft. Manchmal schleppte ich mich noch in Konzerte, ein sinnloser, verzweifelter Versuch die Taubheit, die mich gefangen hielt, zu durchdringen. Ich sah nur auf die Uhr, wartete darauf, nach Hause zu meinem nächsten Druck zu kommen. Am nächsten Tag wußte ich meist nicht mehr zu sagen, was ich gehört hatte. Mein Leben rann mir wie Sand durch die Finger, irgendwann würde nichts mehr davon übrig sein.
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Also klammerte ich mich an meine Arbeit. Mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte. Gleichzeitig haßte ich sie. Bei jedem neuen Auftrag zerfrass die Angst, alldem nicht mehr gewachsen zu sein, meine Eingeweide. Oft verstand ich selbst nicht, wie es mir gelang, Recherche-Reisen durchzustehen, Interviews zu führen, Texte zu schreiben. Jeden Tag dachte ich daran, alles hinzuwerfen. Einfach den Kopf in den Sand stecken, mich der Sucht ergeben. Toter Mann spielen. Es war pure Verzweiflung, die mich weitermachen ließ. Denn, abgesehen davon, dass die Arbeit meine Wohnung, meinen Wagen und vor allem meine Sucht finanzierte und mich so vor der Kriminalität bewahrte, spürte ich, sollte diese letze Sicherheitsleine aus meinen Händen gleiten, ich würde viel mehr verlieren als nur meinen Job. Also saß ich in diesem Hotelzimmer und redete, zerfressen von Versagensangst, Scham, Selbsthaß und Drogengier. Reiß dich zusammen, dachte ich immer wieder. Halte durch. Nur diese verdammten 45 Minuten. Dann hast du es überstanden. Wenn es mir tatsächlich gelang, alles an den Rand zu schieben und mich nur auf das Interview zu konzentrieren, ging es mir besser. Wenn es mir gelang, mich alldem, was mein gesamtes Denken und Fühlen überschattete und mein Leben beherrschte, kurzzeitig zu entziehen. Wenn ich für Augenblicke eine Ahnung davon bekam, dass trotz allem noch etwas anderes existierte als die Sucht, fühlte ich beinahe so etwas wie Erleichterung. Ich sah dem Regisseur dabei zu wie er mit seinen Gesten seine Sätze rahmte. Stunden später sah ich meinen Händen zu, die den Hals meiner Freundin würgten.
Der Rückreise nach dem Interview war eine Tortur gewesen. Schon im Taxi war ich weggedämmert, ein flacher, fiebrigen Erschöpfungsschlaf aus dem ich ständig hochschreckte. Ein Film von kaltem Schweiß bedeckte meine Haut. Jeder Pulsschlag dröhnte in meinem Körper und bereitete mir Übelkeit. Die Fahrt zum Flughafen dauerte beinahe eine Stunde, ich war spät dran. Es sah danach aus, dass ich meinen Flug verpassen und eine spätere Maschine würde nehmen müssen. Allein die Vorstellung machte mich schier wahnsinnig. Noch Eineinhalb Stunden länger auf meinen nächsten Druck warten zu müssen schien mir unerträglich. Ich sah alle 90 Sekunden auf die Uhr, litt mich durch die Zeit. Die Minuten zogen sich endlos. Drogensucht macht dir die Zeit zum Feind. Du wartest. Ständig, in endloser Wiederholungsschleife, immer wieder aufs neue. Auf das Ende der Schmerzen, deinen Dealer, das nächste Geld, einen Platz in der Entgiftung oder einfach nur darauf, dass der Tag endlich zu Ende geht. Das alles endlich zu Ende geht. Und dieses Warten macht dich krank. Zerrt an deinem Verstand, zerrüttet deine Nerven, treibt dich um wie ein Tier im Käfig. Nie ist die Zeit so wenig auf deiner Seite, ihr Fortschreiten macht nichts besser. Nur die wenigen Momente, in denen die Droge dem Bewußtsein mit Macht kurz die Augen zudrückt, verschaffen Linderung. Aber nur für einen flüchtigen Augenblick. Nach jedem Druck läuft die Uhr wieder unaufhaltsam gegen dich, du zählst die Stunden, bis die Entzugserscheinungen zurück kommen. Und mit jeder Stunde wächst der Berg an Unerledigtem, Beiseitegeschobenem, der sich drohend an den Rändern diener Wahrnehmung auftürmt und Schatten wirft, die irgendwann sogar der Rausch nicht mehr zu vertreiben vermag. Vielleicht ist das das hinterhältigste an der Sucht - sie macht dir alles und jeden zum Feind. Die Zeit, deinen Körper, der nur durch lästige Bedürfnisse und Entzugsschmerzen auf sich aufmerksam macht, Freunde und Familie, deren Fragen du nicht beantworten, deren Sorgen du nicht zerstreuen kannst, eine Welt, die nur Forderungen stellt, denen du dich nicht gewachsen fühlst, die dich mit Dingen belästigt, von denen du nichts wissen willst. Bis irgendwann nur noch die Droge bleibt. Sich festsetzt, in deinem Geist, deinem Körper und dein komplettes Leben beherrscht. Zum Mittelpunkt deiner Welt wird und all dein Handeln bestimmt. Eine eifersüchtige Geliebte, die nichts und niemanden neben sich duldet. Und dich dafür mit seltener Klarheit belohnt. Nichts strukturiert das Leben mit solcher Eindeutigkeit wie die Sucht. Sie läßt keinen Raum für Zweifel, nicht mal für Entscheidungen. Jeder Tag hat ein klar umrissenes Ziel, alle Energie und Aktivität richtet sich darauf, das übrige ist Makulatur. Zufriedenheit mißt sich an der vorhandenen Drogenmenge. Sucht ordnet die Welt. Die Beziehungen zwischen Junkies folgen klar umrissenen Regeln, nichts muß mehr verhandelt werden. Auch die Fronten sind stechend klar, Feindkennung kein Problem. Gerade darin liegt eine der großen Schwierigkeiten der Abstinenz - so klare Strukturen, dieses genaue Wissen um deinen Platz und deine Rolle in der eigenen sozialen Nischee sind in einer normalen Lebensrealität, im suchtfreien Alltag, kaum zu erreichen. Ein unterschwelliges Gefühl von Fremdheit bleibt ein Leben lang.
Ich war nur einige hundert Kilometer von Zuhause entfernt, aber es schien mir wie das Ende der Welt. Zu Hause, dass war da wo die Drogen auf mich warteten. Vielleicht waren auch die Drogen selbst der kümmerliche Rest von Zuhause, der mir noch geblieben war. Dass ich den Flieger noch erreichte, konnte meine Unruhe nur kurzfristig zügeln. Der Start verzögerte sich, ich dämmerte wieder vor mich hin, wäre gern fest eingeschlafen, aber den Gefallen tat mir mein Körper natürlich nicht. Jedesmal, wenn ich die Augen öffnete und sah, dass die Maschiene immer noch auf dem Rollfeld stand, hätte ich heulen können. Ich wand mich in den BusinessClass-Schalensitzen, fand keine Position, die auch nur halbwegs angenehm gewesen wäre. Aber das wäre mir wohl auch in einer Corbussier-Liege so gegangen, der Entzug kroch langsam in meine Glieder und biss sich in den Knochen fest. Ein inwendiges Reißen in Armen und Beinen, als seien Muskeln und Sehnen zu kurz. In meiner Wohnung wartete Monika auf mich. Sie war Nachmittags bei unserem Dealer gewesen, einem jungen Schwarzen, und hatte Heroin und Kokain gekauft. Das nötige Geld hatte ich ihr vor meinem Abflug gegeben. Das war unser ganz persönlicher Deal - ich verdiente das Geld, und sie ging los, Drogen besorgen. Ich haßte alle Junkies, wollte mit der Szene so wenig wie möglich zu tun haben. Wohl, weil ich viel mehr mit ihnen gemein hatte als mir lieb war. Meine Wohnung verließ ich überhaut so selten wie möglich. Konnte es einfach nicht ertragen, unter Menschen zu sein. Wenn es irgend ging, beschränkte ich meine Kontakte mit den zuständigen Redakteuren, für die ich arbeite, auf e-mail und Fax, ging erst ans Telefon, wenn die Nachricht auf dem Anrufbeantworter keinerlei Aufschub mehr zuließ. Mit meinen Freunden redete ich schon lange nicht mehr, ich hatte ihnen sowieso nichts zu sagen.
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